Jobe BellinghamGetty Images

Er ist eine Personalie mit Konfliktpotenzial: Jobe Bellingham hat beim BVB auch aus unglücklichen Gründen einen schweren Stand

Man soll ja in der Lage sein, auch über sich selbst lachen zu können. Dann also mal los: Der Autor dieser Zeilen hat in den SPOX-Thesen zur neuen Bundesliga-Saison vor fast zwei Monaten folgende heiße Meinung kundgetan: "Jobe Bellingham wird beim BVB sofort unumstrittener Anführer."

  • Neun Pflichtspiele später weiß man, dass der 30,5 Millionen Euro teure Neuzugang vom AFC Sunderland nicht "auf Anhieb zu einem Kopf dieser kopflosen Mannschaft und schnell unverzichtbar" wurde. Bellingham ist vielmehr (wohlgemerkt: noch!) das genaue Gegenteil.

    Borussia Dortmunds Trainer Niko Kovac gab dem 20-Jährigen zwar in allen Spielen Einsatzzeit, doch das waren durchschnittlich nur 33 Minuten. Über die komplette Spieldauer ließ er Bellingham noch gar nicht ran, erst dreimal stand er in der Startelf.

    Dass dies nun durchaus ein Thema ist, liegt unvermeidlich an Bellinghams Nachnamen und der blitzartigen Integration seines Bruders Jude, der nach seinem Wechsel zum BVB 2020 einen Start hinlegte, auf den die obige These viel eher zutreffen würde. Doch es liegt auch an der hohen Ablösesumme.

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  • Borussia Dortmund v 1. FC Union Berlin - BundesligaGetty Images Sport

    Jobe Bellingham beim BVB "Wir denken in Jahren"

    Blickt man auf die Spieler, die der BVB jemals für 30 Millionen Euro oder mehr verpflichtet hat, lässt sich festhalten: Sowohl Ousmane Dembele als auch Sebastien Haller, Mats Hummels, Bellinghams Bruder, Karim Adeyemi, Donyell Malen, Andre Schürrle und Felix Nmecha waren nach ihren Transfers zur Borussia allesamt mehr oder weniger auf Anhieb Teil der Anfangsformation.

    Will sagen: Hätte sich Bellingham im vergangenen Sommer für die stark interessierte Eintracht aus Frankfurt entschieden und würde er dort dasselbe Schicksal wie aktuell beim BVB erleiden, die Debatten wären relativ sicher exakt die gleichen. Denn einen 30-Millionen-Euro-Spieler holt man in aller Regel als Soforthilfe und nicht als langfristiges Projekt.

    Als solches versuchen die Verantwortlichen des BVB Bellingham mittlerweile zu verkaufen. "Schade, dass wir alle drei oder vier Tage vor und nach dem Spiel das Thema Jobe haben", sagte Sport-Geschäftsführer Lars Ricken Ende September bei DAZN. "Wir denken nicht in Tagen oder in Wochen, sondern wir denken in Jahren. Jobe hat einen Fünfjahresvertrag und wir sind vollkommen überzeugt, dass er hier bei uns seinen Weg macht."

  • Personalie mit Konfliktpotenzial: Bellinghams Vater erweist seinem Sohn einen Bärendienst

    Diese Haltung ist bis zu einem gewissen Grad natürlich auch nachvollziehbar. Nur weil er einen prominenten Nachnamen trägt und viel Geld kostete, überspringt ein Spieler nicht automatisch den Anpassungsprozess, den ein Wechsel in ein neues Land mit einer neuen Sprache und einem neuen Umfeld mit sich bringt. Und es gibt erst recht keine Garantie dafür, dass man vom einem Zweitligisten kommend sofort das Niveau eines Champions-League-Klubs mitgehen kann.

    Dass Bellingham schon zu diesem frühen Zeitpunkt zu einer Personalie mit Konfliktpotenzial geworden ist, daran trägt zudem der BVB keine Schuld. Diesen Bärendienst hat ihm sein eigener Vater Mark erwiesen, der sich nach dem 3:3 am 1. Spieltag beim FC St. Pauli nach Spielschluss mit Sportdirektor Sebastian Kehl darüber zoffte, weshalb sein Sohn bereits zur Pause ausgewechselt wurde.

    Diese Episode wurde anschließend öffentlich. Dadurch fiel das Kind gewissermaßen in den Brunnen, wenngleich die Dortmunder seitdem alles tun, um die Brisanz in der Geschichte klein zu halten. Als "Quatsch" bezeichnete Kehl weniger Wochen später einen Bild-Bericht, wonach Bellinghams Vater Coach Kovac "intensiv nachstellen" würde.

  • Borussia Dortmund v Athletic Club - UEFA Champions League 2025/26 League Phase MD2Getty Images Sport

    Bankplatz für Jobe Bellingham hat auch mit Pech zu tun

    Seitdem köchelt das Thema, zuletzt tauchten sogar erste Gerüchte um einen blitzartigen Abschied des Mittelfeldspielers auf. Die sind zwar dem Reich der Fabeln zuzuweisen, doch einer Beruhigung der Situation freilich auch nicht zuträglich.

    Dass die in sportlicher Hinsicht so ist, wie sie nun ist und Bellingham vermutlich auch beim Top-Spiel gegen den FC Bayern zunächst von der Bank aus zugucken muss, hat ein wenig auch mit Pech zu tun.

    Zwar hatte der Neue unmittelbar nach seinem Wechsel bei der Klub-WM durchaus überzeugend und selbstbewusst agiert, in seinen vier Auftritten zudem einen Treffer sowie eine Vorlage beigesteuert, doch der BVB war gerade im Zentrum weiterhin auf der Suche nach größerer Stabilität. Die haben die Dortmunder seit Pflichtspielstart jetzt weitestgehend gefunden, schließlich ging noch kein Spiel verloren und man blieb fünfmal ohne Gegentor.

  • Rot-Weiss Essen v Borussia Dortmund - DFB Cup: Round OneGetty Images Sport

    "Wir sind beim BVB": Niko Kovac nimmt auf Namen keine Rücksicht

    Kovac hätte gegen St. Pauli zur Halbzeit gewiss auch einige andere Kandidaten auswechseln können, doch auch Bellinghams Herausnahme war nachvollziehbar. Im Dortmunder Trikot bemühte er sich bei seinen Auftritten zwar stets um Präsenz, agierte lauf- und kampfstark, doch war häufig zu sehr um Sicherheit in seinem Spiel bemüht. Marcel Sabitzer, den Kovac qua Erfahrung und Aggressivität zum Sechser auserkoren hat, macht seine Sache dort derzeit einfach zu gut und hat mehr Einfluss auf das Spiel. Es gibt schlicht keinen Grund zu wechseln - Stichwort Leistungsprinzip.

    Kovac moderiert die Personalie eigentlich ganz gut und wie von ihm gewohnt unaufgeregt. "Ich verstehe natürlich diese Fragerei, doch wir sind beim BVB. Hier ist sehr viel Konkurrenz und Qualität in der Mannschaft", sagte er kürzlich hinsichtlich Bellinghams Reservistendasein. "Er ist 19 Jahre jung und neu bei uns. Da müssen wir jetzt nicht irgendetwas schreiben, was total unwichtig ist."

    Zumal Bellingham, der im Mittelfeld mehrere Positionen bekleiden könnte, nicht der einzige prominente Akteur ist, der momentan meist draußen sitzt. Ganz ähnlich ergeht es Pascal Groß, auch 20-Millionen-Einkauf Carney Chukwuemeka oder Julian Brandt kommen meist nur als Joker zum Zug. Weil Kovac auf Namen keine Rücksicht nimmt. "Wenn man hier einen Vertrag unterschreibt, ist der nicht nur gut dotiert, sondern er sagt auch, dass es verdammt viel Konkurrenz gibt", sagte er.

  • Borussia Dortmund v 1. FC Union Berlin - BundesligaGetty Images Sport

    "Das wird alles kommen": Jobe Bellingham muss die Ruhe bewahren

    Was helfen würde: Bellinghams Familie sollte tunlichst vermeiden, wieder Bestandteil von Schlagzeilen zu werden. Und der Spieler muss Ruhe bewahren, für sich selbst den Druck heraus- und die Situation annehmen. Letzteres scheint bereits der Fall, laut Sport Bild ist Bellingham top-fit und fleißig, schiebt oft noch Extra-Einheiten nach dem Training.

    "Wir können nicht erwarten, dass ein Spieler innerhalb von zwei Monaten schon alles intus hat, was ich will. Das ist ein Prozess", sagte Kovac und berief sich auf seine Erfahrung, wonach "junge Spieler immer mal wieder bis zu einem halben Jahr" dafür Zeit benötigen.

    Er ist sich sicher: "Das wird alles kommen, davon sind wir überzeugt." Die Saison ist schließlich noch lang - da könnte sogar zumindest noch ein Teil der SPOX-These eintreten.

  • BVB, Spielplan: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund

    TerminSpiel
    18. Oktober, 18.30 UhrFC Bayern - BVB (Bundesliga)
    21. Oktober, 21 UhrFC Kopenhagen - BVB (Champions League)
    25. Oktober, 18.30 UhrBVB - 1. FC Köln (Bundesliga)
    28. Oktober, 18.30 UhrEintracht Frankfurt - BVB (DFB-Pokal)