Djibril Sow Sevilla 2025Getty Images

Einst Mythos, jetzt Chaos: Beim FC Sevilla ist es mittlerweile so schlimm, dass die Polizei eingreifen muss

Die Abschlusstabelle der LaLiga-Saison 1999/2000 kommt wirklich aus einer anderen Zeit: Deportivo La Coruna, aktuell im unteren Tabellenmittelfeld der zweiten Liga zuhause, wurde Meister. Real Madrid schaffte es einen Platz hinter Real Saragossa lediglich auf Rang fünf und die drei Absteiger hießen Betis Sevilla, Atletico Madrid und FC Sevilla. Drei der zehn namhaftesten Klubs des Landes mussten runter in die zweite spanische Liga.

Dass der FC aus Sevilla abstieg, war seinerzeit am wenigsten überraschend. Denn die Andalusier durchlebten gerade ohnehin eine der schwierigsten Phasen ihrer langen Vereinsgeschichte, waren 1997 schon einmal abgestiegen und dadurch erstmals seit 22 Jahren wieder zweitklassig. Auf den Wiederaufstieg 1999 folgte im Frühjahr 2000 dann der erneute Abstieg. Sang- und klanglos als Tabellenletzter, mit 17 Punkten Rückstand auf das rettende Ufer.

In den 25 Jahren seitdem hat Sevilla viel dafür getan, dass es mittlerweile ein sensationeller Absturz wäre, sollte man mal wieder in der zweiten Liga an den Start gehen müssen. Doch die abgelaufene Saison hätte tatsächlich beinahe mit dem ersten Abstieg seit einem Vierteljahrhundert geendet. Schleichend ging es in den vergangenen Jahren bergab, nach Platz 11 (2022/23) und 13 (2023/24) landete Sevilla in 2024/25 am Ende auf Rang 17. Erst zwei Spieltage vor Schluss sicherte ein 1:0-Heimsieg gegen Las Palmas den Klassenerhalt und ließ eine völlig verkorkste Spielzeit doch noch versöhnlich enden.

Dass in Sevilla so Einiges im Argen liegt, daran ändert aber auch das Happy End nichts. Der Präsident des Traditionsklubs ist höchst umstritten, die Fans gingen in der Endphase der Beinahe-Abstiegssaison auf die eigene Mannschaft los und das Geld ist extrem knapp. Kurzum: Es braucht jetzt viele kluge Entscheidungen, um Sevilla wieder auf den erfolgreichen Kurs zu bringen, auf dem man seit 2000 gut 20 Jahre lang konstant unterwegs war und der dem Verein acht internationale sowie drei nationale Titel einbrachte.

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    FC Sevilla: Lange ging es stetig bergauf

    Es passt, dass der Trainer Sevilla dabei half, den Hals aus der Schlinge zu ziehen, unter dem der Weg zurück in bessere Zeiten vor 25 Jahren angefangen hatte: Joaquin Caparros. Der 69-Jährige sprang schon zum dritten Mal in einer Saison-Endphase als Interimscoach ein, diesmal in der wohl gefährlichsten Lage. Mitte April hatte sich Sevilla auf Platz 14 liegend nach einer 0:1-Niederlage in Valencia von Xavier Garcia Pimienta getrennt, Caparros sollte in den verbleibenden sieben Partien dafür sorgen, dass der Klassenverbleib nicht mehr in Gefahr gerät.

    Doch auch der Erfolgstrainer von einst war nicht in der Lage, den Karren umgehend aus dem Dreck zu ziehen. Hatte Sevilla bei Pimientas Aus noch sieben Punkte Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz, waren es nach den ersten vier Spielen unter Caparros (zwei Niederlagen, zwei Unentschieden) nur noch deren vier. Erst das hart erkämpfte 1:0 gegen den späteren Absteiger Las Palmas, der einzige Sieg unter Caparros, sorgte für die Erlösung. "Wir haben alle gelitten, auch meine ganze Familie - genau wie alle Sevilla-Fans", sagte Caparros nach der Rettung.

    Für ihn wäre ein Abstieg umso bitterer gewesen, da er es war, der einst die wahrscheinlich beste Epoche des Klubs einleitete. Im Sommer 2000, also zu Saison eins nach dem Abstieg in Liga zwei, hatte Caparros Sevilla als damals noch junger Trainer übernommen. Nach zahlreichen Stationen bei kleineren Vereinen und einem kurzen Intermezzo beim damaligen Zweitligisten Villarreal war Sevilla sein erster wirklich großer Trainerjob. Doch er lieferte, führte die Andalusier zuerst zum direkten Wiederaufstieg und stabilisierte sie daraufhin in LaLiga. Besser noch: Caparros legte das Fundament für die späteren Erfolge.

    2004/05, in seinem vorerst letzten Jahr bei Sevilla, landete man auf Platz sechs und qualifizierte sich für den UEFA-Cup. Damit hatte auch Caparros irgendwie seinen Anteil am Start des Mythos Sevilla in UEFA-Cup und später in der Europa League. Denn 2005/06, in Jahr eins nach Caparros, gewann man im UEFA-Cup seinen ersten internationalen Titel, wiederholte den Erfolg dann 2007, 2014, 2015, 2016, 2020 und 2023 und avancierte zum Rekordsieger des Wettbewerbs. Dazu prägten der UEFA-Supercup-Triumph 2007 und die beiden Copa-del-Rey-Trophäen 2007 und 2010 die so erfolgreiche Ära.

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  • FC Sevilla: Aus von Julen Lopetegui der Anfang vom Ende?

    Doch schon der bis dato letzte Europa-League-Titel 2023 fiel in den Anfang des schleichenden Abstiegs. In LaLiga landete man in jener Saison erstmals seit 20 Jahren nicht auf einem einstelligen Tabellenplatz, wurde nur Elfter.

    Möglicherweise machte Sevilla den größten Fehler der jüngeren Vergangenheit im Oktober 2022. Überraschend und auf ziemlich unwürdige Art und Weise wurde seinerzeit mit Julen Lopetegui der bisher letzte Trainer entlassen, unter dem es für die Andalusier nachhaltig gut lief. Nachdem er im Sommer 2019 übernommen hatte, führte Lopetegui Sevilla dreimal in Folge auf Platz vier und damit in die Champions League, zudem gewann er 2020 die Europa League.

    Doch nachdem Sevilla aus den ersten sieben Spielen der Saison 2022/23 nur fünf Punkte geholt hatte und auf Platz 17 rangierte, musste Lopetegui gehen. Wohl schon kurz vor einem Champions-League-Spiel gegen Borussia Dortmund, das mit 1:4 verloren wurde, bekam Lopetegui von der Vereinsführung die Mitteilung seiner Entlassung. Dass er die 90 Minuten gegen den BVB dann noch verantworten musste, war ein Indiz für das Chaos, das bei Sevilla nach und nach die Zügel in die Hand nahm. Und die Fans waren mächtig sauer auf die Bosse, da Lopetegui bei ihnen hohe Wertschätzung genoss. Unter tosendem Jubel wurde der Coach verabschiedet, während der damalige Präsident Jose Castro Carmona gnadenlos ausgepfiffen wurde. Der ist mittlerweile nur noch Vizepräsident, die Fans erlebten seit Lopeteguis Entlassung derweil mit Ausnahme des Europa-League-Triumphs 2023 eine Enttäuschung nach der anderen.

    Vielleicht hätte Sevilla etwas mehr Geduld mit Lopetegui haben sollen. Dass es unter keinem seiner Nachfolger wirklich viel besser wurde, stützt diese Vermutung. Weder Jorge Sampaoli oder Jose Luis Mendilibar noch Diego Alonso, Quique Sanchez Flores oder dann Garcia Pimienta konnten nachhaltig Ruhe reinbringen. Sechs verschiedene Trainer hatten in den letzten zweieinhalb Jahren in Sevilla das Sagen - ein Trainerverschleiß, der nie ein gutes Zeichen für die Gesundheit eines Vereins ist.

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    FC Sevilla: Kein Geld mehr, sportliche Talfahrt und Anfeindungen der Fans

    In der abgelaufenen Spielzeit stürzte die bröckelnde Fassade rund um den FC Sevilla dann beinahe ein. Zu den sportlichen Negativtendenzen gesellten sich mehr und mehr auch finanzielle Schwierigkeiten, enorme Schulden drücken auf die Kassen. Und weil Sevilla zunehmend Verluste machte, schränkte LaLiga die Gehaltsobergrenze drastisch ein. Dem ehemaligen Sportdirektor Victor Orta, der vor kurzem gehen musste, erschwerte das die Arbeit natürlich enorm.

    Kostspielige Transfers wie in früheren Jahren waren nicht mehr möglich, zum Vergleich: Hatte Sevilla in der Saison 2019/20 noch fast 190 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben, waren es 2024/25 gerade mal 16 Millionen Euro. Sevilla kann nicht mehr in den oberen Regalen fischen und braucht bei Transfers umso mehr auch ein bisschen Glück, das man im vergangenen Sommer allerdings nicht hatte. So wurde beispielsweise Torjäger Youssef En-Nesyri, der 2024 zu Fenerbahce wechselte und in der Saison zuvor 16 Ligatore für Sevilla erzielt hatte, durch Kelechi Iheanacho ersetzt, der ablösefrei von Leicester City kam. Iheanachos ernüchternde Bilanz: Keine einzige Torbeteiligung in neun LaLiga-Einsätzen, im Februar wurde er an den englischen Zweitligisten Middlesbrough verliehen.

    Weitere namhafte Verstärkungen waren nur per Leihe möglich, hier gaben Brighton-Talent Valentin Barco und der ehemalige spanische Nationalspieler Saul Niguez Sevilla aber bei weitem nicht das, was man sich von ihnen versprochen hatte.

    Die sportlich zunehmend schwierige Saison befeuerte die kritische Gemütslage der eigenen Anhänger indes weiter. Diese sind auf den aktuellen Präsidenten Jose Maria del Nido Carrasco, seit Ende 2023 an der Spitze des Klubs, ohnehin überhaupt nicht gut zu sprechen. Immer wieder fordern sie mit Sprechchören dessen Rücktritt, trauriger Höhepunkt war im Mai eine geschmacklose Drohung der Fans, die eine Puppe, die del Nido Carrasco darstellen sollte, von einer Brücke hängen ließen.

    Schon kurz zuvor war es zu einem weiteren Eklat gekommen: Nachdem Sevilla am 35. Spieltag trotz einer ganzen Halbzeit in Überzahl mit 2:3 bei Celta Vigo verlor und damit weiterhin in akuter Abstiegsgefahr schwebte, lauerten am Abend 400 teilweise vermummte Anhänger der Mannschaft bei der Rückkehr am Trainingszentrum auf. Sie bewarfen den Team-Bus mit Eiern und Steinen, verschafften sich später dann Zutritt zu der Anlage. Security-Personal konnte glücklicherweise verhindern, dass sie in die Räumlichkeiten des Trainingszentrums eindringen konnten, die Spieler sollen laut The Athletic ob der Situation jedoch verängstigt gewesen sein. Erst das Einschreiten der Polizei sorgte dafür, dass sich die Eindringlinge wieder von der Anlage entfernten und die Spieler mussten die Nacht im Trainingszentrum verbringen, ehe sie sich erst am nächsten Morgen auf den Weg nach Hause machen konnten.

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  • Der neue Trainer kennt LaLiga kaum

    Wenige Tage später war Offensivspieler Suso dann den Tränen nahe, als er sich nach dem durch den Heimsieg über Las Palmas endlich geglückten Klassenerhalt vor das DAZN-Mikrofon stellte. "Wir hatten eine sehr schwierige Zeit in den letzten Monaten", sagte der ehemalige spanische Nationalspieler, der Sevilla diesen Sommer in Richtung Cadiz verlässt. "Es war eine schlechte Saison. Die Fans haben das nicht verdient, wir auch nicht. Heute müssen wir stolz sein und zufrieden mit der Arbeit des Teams. Wir haben die Fans gebeten, uns heute zu helfen und sie haben die Antwort gegeben, die sie immer geben."

    Zu dem Eklat nur rund 72 Stunden zuvor sagte Suso nichts mehr. Zu groß war wohl die Erleichterung, dass der Albtraum nun vorbei und man mit einem blauen Auge davon gekommen war. Umso mehr gilt es nun, die Voraussetzungen zu schaffen, eine solche Seuchensaison nicht noch einmal zu erleben.

    Da Sevilla die letzten beiden Saisonspiele gegen Real Madrid und bei Villarreal erwartungsgemäß verlor, hatte man am Ende nur einen einzigen Punkt Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz. Caparros hatte seine Mission dennoch erfüllt und verabschiedete sich dann wie verabredet wieder. Wer Sevilla in die Zukunft führen soll, steht mittlerweile fest.

    Neuer Sportdirektor ist Antonio Cordon. Der 61-jährige Spanier hatte einst den FC Villarreal (1999 bis 2016) von einem Zweitligisten zu einem Topklub in LaLiga geformt, der 2006 sogar mal bis ins Halbfinale der Champions League vordrang und dieses Kunststück 2022 wiederholte. Die Fähigkeit, langfristig etwas aufzubauen, hat er also schon nachgewiesen. In seinem Bestreben, das auch in Sevilla zu schaffen, musste Cordon aber schon einen Rückschlag einstecken.

    Als neuen Mann an der Seitenlinie wollte er nämlich wohl Real Sociedads Erfolgscoach Imanol Alguacil nach Sevilla lotsen. Jener sagte allerdings ab - und statt Alguacil, der LaLiga in- und auswendig kennt, kommt nun ein Trainer, der das spanische Oberhaus als Coach noch gar nicht kennt. Der Argentinier Matias Almeyda übernimmt, hat einen Dreijahresvertrag bis 2028 unterschrieben.

    Der 51-Jährige war zwar als Spieler mal ein Jahr beim FC Sevilla und ist daher im Klub kein Unbekannter. Doch als Trainer hat er bisher nicht in Spanien gearbeitet, zuletzt coachte er von 2022 bis Mai dieses Jahres AEK Athen. In Sevilla will sich Almeyda nun erstmals in einer Top-5-Liga Europas beweisen - möglicherweise ja das passende Credo für den erhofften Neuanfang.

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