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Ein "Schlag ins Gesicht" passt genau ins Bild: Warum der FC Bayern nicht erst seit Vincent Kompany seinen Nachwuchs nicht eingebaut bekommt

Vincent Kompany stieß 2003 im Alter von 17 Jahren zu den Profis von RSC Anderlecht. Trainer Hugo Broos gab dem Innenverteidiger-Talent sofort einen Stammplatz. Am Ende der Saison feierte Anderlecht den Meistertitel und Kompany wurde zu Belgiens Fußballer des Jahres gewählt. Für Kompany war es der Start einer Weltkarriere.

  • So schnell kann es gehen. Könnte es bei einem der aktuellen Toptalente des FC Bayern vielleicht ähnlich laufen? Beim 19-jährigen Linksverteidiger Adam Aznou beispielsweise, beim 17-jährigen Offensivallrounder Lennart Karl, beim 18-jährigen Stürmer Jonah Kusi-Asare oder beim 19-jährigen Mittelfeldspieler Paul Wanner?

    Dafür müssten sie aber erstmal echte Chancen bekommen. Es muss ja nicht gleich ein Stammplatz sein, regelmäßige Spielpraxis auf Profiniveau würde schon reichen. Die Verantwortung dafür trägt der einstige Schnellstarter Kompany, zeigt diesbezüglich bis dato aber kaum Bestrebungen. Dieser Verdacht deutete sich schon im Laufe der vergangenen Saison an und erhärtete sich nun bei der Klub-WM.

    Die Bilanz: Karl durfte beim Schützenfest gegen die neuseeländischen Amateure von Auckland City in der zweiten Halbzeit mitspielen, Aznou kam für die letzten acht Minuten. Und das war es auch schon. Kusi-Asare blieb genau wie die anderen mitgereisten Talente - Cassiano Kiala, Maurice Krattenmacher und David Santos Daiber - ganz ohne Einsatz.

    Ja, der FC Bayern wollte den Titel unbedingt gewinnen. Ja, eine eingespielte Mannschaft ist dafür von Vorteil. Und ja, jeder Punktgewinn brachte wichtige Millionen-Einnahmen. Trotz Kompanys vermeintlich risikoärmeren Herangehensweise scheiterte der FC Bayern aber im Viertelfinale an Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain.

    Trainer Luis Enrique setzt bei PSG nicht nur auf eine grundsätzlich jüngere Startelf als Kompany beim FC Bayern, sondern führt dazu auch noch Toptalent Senny Mayulu (19) mit regelmäßigen Einsätzen heran. Im Halbfinale gewann PSG gegen Real, wo bei der Klub-WM Eigengewächs Gonzalo Garcia das Vertrauen bekam und es Trainer Xabi Alonso mit vier Treffern dankte. Im Finale wartet Chelsea, das ebenfalls auf zahlreiche Talente setzt - kein Kaderspieler ist älter als 26.

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    Dieses Spiel steht symbolisch für die Kritik an Vincent Kompany

    Damit zurück zum FC Bayern: Gerade gegen Auckland oder beim abschließenden Gruppenspiel gegen Benfica Lissabon (die Münchner standen da bereits als Achtelfinalist fest) hätte es hervorragende Möglichkeiten gegeben, den eigenen Talenten Spielpraxis und somit auch grundsätzliche Wertschätzung zu schenken.

    Gegen Benfica rotierte Kompany sogar auf sieben Positionen. In die Startelf rutschten unter anderem die Transferflops Joao Palhinha und Sacha Boey. Und Leroy Sane und Thomas Müller, deren Abschiede längst feststanden. Als einer der wenigen von der Rotation ausgenommen wurde derweil Linksverteidiger Raphael Guerreiro, obwohl er bei den ersten beiden Spielen nicht überzeugt hatte.

    Die Positionen von Guerreiro, Sane und Müller hätten auch Aznou, Karl und Kusi-Asare übernehmen können. Sie wurden aber nicht einmal eingewechselt. Obwohl der FC Bayern genau auf diesen Positionen in den kommenden Monaten sowieso Bedarf haben wird: Linksverteidiger Alphonso Davies und dessen Alternative Hiroki Ito fehlen noch länger verletzt, für die offensiven Außenbahnen wird fieberhaft nach Neuzugängen gefahndet, für Harry Kane fehlt ein Backup. Kompany entschied sich gewissermaßen gegen die Zukunft, der Dank war eine 0:1-Pleite. Dieses Spiel steht symbolisch für die nun aufkommende Kritik an Kompanys Umgang mit den hauseigenen Talenten.

    Letztlich riskiert Kompany mit diesem Vorgehen, dass der FC Bayern seine größten Nachwuchshoffnungen verliert. Aznou sagte bereits während der Klub-WM: "Ich möchte spielen. Wenn ich bei Bayern keine Spielminuten bekomme, werden wir eine Lösung suchen müssen." Dem Vernehmen nach steht der marokkanische A-Nationalspieler nun unmittelbar vor einem Wechsel zum spanischen Erstligisten FC Getafe. Die Verträge von Karl und Kusi-Asare laufen im kommenden Sommer aus. Sofern sie beim FC Bayern keine Perspektive erkennen, werden sie den Klub ablösefrei verlassen. Paul Wanner, der die Klub-WM wegen seiner Teilnahme an der U21-EM verpasste, soll trotz Musialas Verletzung wieder verliehen werden - anstatt ihm in München eine klare Perspektive zu bieten.

  • FC Bayern: Die Bosse fordern mehr Vertrauen in die Talente

    Kompanys Verhalten widerspricht den Ansagen der Klub-Führung. Vor kurzem forderte der mächtige Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge in einem Welt-Interview größeren Fokus auf die Entwicklung der eigenen Talente: "Der FC Bayern muss in der Lage sein, in der Zukunft mehr Spieler wie Aleksandar Pavlovic oder Josip Stanisic herauszubringen. Idealerweise bringen wir jedes Jahr einen Spieler raus, der es in die erste Mannschaft schafft."

    Sportdirektor Christoph Freund betonte im Interview mit SPOX, dass die Talente "realistische Chancen auf Spielminuten bei den Profis" brauchen. Speziell Aznou "wollen wir bei der Klub-WM näher an unsere Profis heranführen", sagte Freund vorab. "Wir", damit meinte er letztlich Kompany und sein Trainerteam. Präsident Herbert Hainer und Patron Uli Hoeneß, der den Bau des 70 Millionen Euro teuren Campus entscheidend vorangetrieben hatte, äußern sich regelmäßig ähnlich. Einzig: Es ändert sich nichts.

    Louis van Gaal war der letzte Bayern-Trainer, der ganz bewusst auf die Jugend gesetzt hat. Er förderte unter anderem die späteren Stammspieler Thomas Müller, Holger Badstuber und David Alaba. Legendär seine Aussage: "Müller spielt immer." Van Gaals Nachfolger zeigten bisweilen eine durchaus fragwürdige Ignoranz gegenüber der eigenen Jugend. Gewissermaßen setzt Kompany somit nur eine traurige Tradition fort.

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  • ANGELO STILLER BAYERN MÜNCHENGetty Images

    FC Bayern: Angelo Stiller und der "Schlag ins Gesicht"

    Ein kurzer Rückblick: Angelo Stiller führte die Reserve des FC Bayern 2020 in beeindruckender Manier zur historischen Drittliga-Meisterschaft. Berechtigterweise hoffte der damals 19-Jährige auf eine Chance bei Hansi Flicks Profimannschaft. Doch stattdessen kamen für seine Position mit Marc Roca und Tiago Dantas zwei externe Neuzugänge. Einen "Schlag ins Gesicht" nannte Stiller diese Transfers, verweigerte eine Vertragsverlängerung, wechselte im darauffolgenden Sommer 2021 ablösefrei zur TSG Hoffenheim und später nach Stuttgart. "Ihn im VfB-Dress zu sehen, zerreißt mir ein bisschen das Herz", klagte Reserve-Trainer Holger Seitz später.

    Stiller ist mittlerweile Nationalspieler. Das aktuelle Mittelfeld des FC Bayern würde er mit seinen Qualitäten verstärken, tatsächlich wird er bisweilen sogar mit einer kostspieligen Rückkehr in Verbindung gebracht. Gleiches gilt für Malik Tillman. Von Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel bekam er keine echten Chancen, bei der PSV Eindhoven startete er durch, nun steht er vor einem 35-Millionen-Euro-Transfer zu Bayer Leverkusen.

    Den Sprung vom neuen Campus zum unumstrittenen Stammspieler der Profis schaffte bisher nur Jamal Musiala, der übrigens den Großteil seiner Jugend bei Chelsea verbracht hatte. Aufgrund seines unübersehbaren Talents war seine Entwicklung in München wohl kaum zu verhindern. Aleksandar Pavlovic und Josip Stanisic arbeiteten sich immerhin in den erweiterten Stammspieler-Kreis, mussten dafür aber unnötige Hindernisse überspringen.

  • Stanisic und Pavlovic mussten unnötige Hindernisse überspringen

    Stanisic wurde im Sommer 2023 nach Leverkusen verliehen, wo er direkt das Double holte. Aufgrund akuter Personalnot in der Defensive mussten die Münchner im Winter reagieren: Sie liehen Eric Dier aus und holten Boey für 30 Millionen Euro fest von Galatasaray Istanbul. Wohl nur weil Boey floppte und andere Spieler verletzt ausfielen, bekam Stanisic zuletzt derart viel Spielzeit. Hätte man direkt auf Stanisic gesetzt, hätte man sich Boeys Verpflichtung sparen können - längst gilt er als Verkaufskandidat.

    Während Stanisic im Sommer 2023 abgegeben wurde, bettelte Tuchel förmlich um eine neue "Holding Six". Erst als Palhinhas Transfer in letzter Minute platzte und anschließend eine Verletzungsmisere ausbrach, bekam Pavlovic seine Chance und nutzte sie in beeindruckender Manier.

    Es folgte ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Tuchel und Hoeneß über des Trainers Umgang mit Talenten. "Er meint nicht, dass er einen Alphonso Davies, Aleks Pavlovic oder Jamal Musiala verbessern kann. Wenn es nicht klappt, sollte man einen anderen kaufen. Ich meine, man sollte hart an ihnen arbeiten und ihnen Selbstvertrauen geben", sagte Hoeneß. Tuchel erwiderte: "Das ist so meilenweit an der Realität vorbei, ich weiß gar nicht, wie ich darauf antworten soll."

    Tuchels Nachfolge trat im Sommer 2024 Vincent Kompany an. Er wurde bei seiner Ankunft zwar durchaus als Talente-Förderer betitelt, aber wie war es wirklich bei seinen vorherigen beiden Stationen RSC Anderlecht und FC Burnley?

  • Paris Saint-Germain v FC Bayern München: Quarter-final - FIFA Club World Cup 2025Getty Images Sport

    Wie war es bei Anderlecht? Vincent Kompany und die Talente

    Nach einer kurzen Schnupperzeit als Spielertrainer übernahm Kompany 2020 schließlich den Cheftrainerposten bei Anderlecht. In seiner ersten Saison arbeitete er mit einer sehr jungen Mannschaft. Von den 13 am häufigsten eingesetzten Spielern war keiner über 24, drei waren sogar erst 18. Etliche Eigengewächse bekamen von Kompany reichlich Spielpraxis, den meisten davon war der Durchbruch aber schon vor Kompanys Amtsübernahme gelungen.

    In seiner zweiten Saison bei Anderlecht war der Kern an Stammspielern älter. Eigengewächse bekamen zwar weiterhin vereinzelte Chancen, Kompany förderte nun aber eher extern dazugeholte Talente. Etwa Joshua Zirkzee, den Nagelsmann beim FC Bayern nicht brauchte, Sergio Gomez von Borussia Dortmund oder Harwood-Bellis von Manchester City.

    Keeper Bart Verbruggen (damals 18) und Verteidiger Zeno Debast (18) ermöglichte Kompany erste Einsätze, anschließend bekamen sie aber kaum noch Spielpraxis. Ausgerechnet in der Saison nach Kompanys Abschied stiegen die beiden zu Stammspielern auf und starteten groß durch. Verbruggen wechselte 2023 für 20 Millionen Euro zu Brighton & Hove Albion, ist mittlerweile niederländischer Nationalkeeper und wurde auch schon beim FC Bayern gehandelt. Debast ging für 15,5 Millionen Euro zu Sporting Lissabon und spielt längst auch für die belgische Auswahl.

    Zu seinem Debüt verhalf Kompany bei Anderlecht dem damals 16-jährigen Julien Duranville. Im Januar 2023 nannte er ihn sogar einen künftigen Ballon-d'Or-Sieger. Mittlerweile ist Duranville 19 Jahre alt, bei Borussia Dortmund reichte es bisher auch aufgrund zahlreicher Verletzungen nur zu Kurzeinsätzen.

  • Der FC Burnley kaufte Kompany teure Talente ein

    Während seiner zwei Jahre in Burnley setzte Kompany ebenfalls zahlreiche junge Spieler ein. In der Aufstiegssaison handelte es sich dabei vorrangig um Leihgaben von großen Klubs wie beispielsweise dem bereits aus Anderlecht bekannten Harwood-Bellis (20, von Manchester City) oder Ian Maatsen (20, von Chelsea). In der Abstiegssaison dann um teure Neuzugänge wie Wilson Odobert (18, für 12 Millionen Euro), James Trafford (20, für 17,3 Millionen) oder Aaron Ramsey (20 für 16,45 Millionen). Spieler also, die bereits mit gewissen Ansprüchen antraten und nicht frisch aus der eigenen Jugend kamen.

    Wegen der hohen Ablösesummen spottete Trainer-Vorgänger Sean Dyche nach Burnleys Abstieg und Kompanys überraschendem Wechsel zum FC Bayern: "150 Millionen Euro für 24 Punkte - und er hat den Job bei den Bayern bekommen. Ich weiß nicht, wie das geht! Ich wünschte, ich wäre das gewesen. Ich wünschte, ich hätte den Verein mit 150 Millionen Euro Schulden zurückgelassen und dann den Job bei den Bayern bekommen."

  • HoeneßGetty Images

    Die grundlegenden Probleme beim FC Bayern München

    Kompany bewies in seiner bisherigen Trainerlaufbahn durchaus, dass er mit jungen Spielern erfolgreich arbeiten kann. Vielleicht aber eher aus Opportunismus, denn aus echter Überzeugung. Beim FC Bayern brachte er noch kein Talent entscheidend voran - während beim FC Barcelona Pau Cubarsi aufblüht, bei Real Madrid Raul Asencio oder beim FC Arsenal Myles Lewis-Skelly. Kompany vertraut im Zweifel lieber bewährten Routiniers. Aus seiner Sicht ist dieses Vorgehen übrigens sehr nachvollziehbar.

    Seit Guardiolas Abschied 2016 war beim FC Bayern jeder Trainer nach weniger als zwei Jahren schon wieder weg. Trotz aller Ansagen der Bosse zählt letztlich die Anzahl an gewonnenen Titeln und nicht die an eingebauten Talenten. Warum als Trainer also die aktuellen Erfolgschancen mit Experimenten für die Zukunft gefährden, wenn man selbst rein statistisch betrachtet kein Teil dieser Zukunft sein wird? So eine Wette gehen wohl nur Idealisten wie van Gaal ein.

    Als der FC Bayern in van Gaals zweiter Saison strauchelte, wurde der Trainer übrigens trotz aller Nachwuchsförderungen entlassen. Kurioserweise diente ausgerechnet eines der Talente als Mitgrund für die Trennung - der junge Keeper Thomas Kraft, den van Gaal für Routinier Hans Jörg Butt ins Tor stellte. "Damit ging die ganze Scheiße los", polterte Hoeneß - und fordert von van Gaals Nachfolgern seitdem vehement mehr Einsatzzeiten für Talente.

    Nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile (Ersparnis von Ablösesummen für externe Neuzugänge) haben die Bosse des FC Bayern berechtigterweise großes Interesse daran, dass hauseigene Nachwuchsspieler von den jeweiligen Trainern mehr Vertrauen bekommen und den Durchbruch schaffen. Vielleicht würde es dabei helfen, wenn die Trainer ihrerseits mehr Vertrauen und Zeit bekommen würden.

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