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"Der schlechteste Trainer, den ich je gesehen habe": Als ManUnited-Legende Gary Neville sich beim FC Valencia bis auf die Knochen blamierte

Der 8. Dezember 2015 war für die Fans des FC Valencia der Tag der großen Überraschung: Der Engländer Gary Neville, legendärer Verteidiger von Manchester United, wurde als der neue Trainer des Vereins offiziell präsentiert. Dabei hatte Neville bis dato keinerlei Erfahrung als Cheftrainer, nie in LaLiga gespielt und sprach nicht Spanisch.

Er bekam den Job einzig aufgrund seiner Geschäftsbeziehung zu Peter Lim, dem singapurischen Eigentümer des Vereins. Neville erklärte später, dass er die Job-Offerte auch deshalb angenommen hatte, um Lim einen Gefallen zu erweisen - weil dieser beim heutigen Viertligisten Salford City, wo Neville bis heute Eigentümer ist, investiert hatte. Neville arbeitete damals bereits als TV-Experte bei Sky Sports und war plötzlich Trainer des sechsmaligen spanischen Meisters und zweimaligen Champions-League-Finalisten. Es wirkte wie ein Experiment, das sich Reality-TV-Produzenten ausgedacht hatten – und sorgte für spannende Unterhaltung, die man sich nicht entgehen lassen konnte. Zehn Jahre nach Nevilles Amtsantritt blicken wir auf das Schlamassel zurück.

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    Santago Canizares: "Kein Verein für Anfänger"

    Nevilles Vorgänger hatten sich den Posten in Valencia durch jahrelange harte Arbeit an der Seitenlinie verdient. Für Neville hingegen war es ein erster Job, der nach eigenen Angaben zu gut war, um ihn nicht anzutreten. Bei seiner Vorstellung, bei der zahlreiche britische Journalisten vor Ort waren, sagte er: "Hätte ich diesen Job abgelehnt, hätte ich mich von meiner Glaubwürdigkeit im Fußball verabschieden können. Denn es ist ein großer Verein, und ich bin stolz und fühle mich geehrt, hier zu sein. Nachdem ich in den letzten Jahren im Fernsehen über Trainer geurteilt habe, war es nun an der Zeit, selbst tätig zu werden." 

    Zuvor hatte Neville nur als Athletiktrainer bei seinem Ex-Klub ManUnited (2011 bis 2012) und als Co-Trainer der englischen Nationalmannschaft (2012 bis 2015) Erfahrungen als Coach gesammelt. Doch der damalige Sportdirektor der englischen Nationalmannschaft, Dan Ashworth, ermutigte Neville, dass dies "der perfekte Schritt" sei, um Roy Hodgson eines Tages als Trainer der Three Lions zu beerben, vielleicht schon im folgenden Sommer nach der EM 2016.

    Deutlich skeptischer war dagegen Valencias Klublegende Santiago Canizares: "Ein guter Analyst zu sein, bedeutet nicht, dass man auch ein guter Trainer ist. Valencia ist kein Team für Experimente, es ist kein Ort, an dem ein Trainer seine Lehrjahre absolvieren kann. Es ist eine Sache, seine Meinung zu sagen, und eine andere, die Dinge auf dem Platz zum Laufen zu bringen." Canizares sollte bald Recht behalten. Der FC Valencia verlor das erste Spiel unter Nevilles Regie mit 0:2 gegen Olympique Lyon und schied damit aus der Gruppenphase der Champions League aus. Nevilles mangelnde Erfahrung zeigte sich, als er beim Stand von 0:1 seine 4-3-3-Formation auf ein 4-2-4 umstellte, um den Ausgleich zu erzwingen. Doch damit gab er das Mittelfeld an Lyon ab und verlor mit 0:2.

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    Luis Enrique verweigert Gary Neville den Handschlag

    Auch in LaLiga erlebte Neville damals einen besorgniserregenden Start und holte in den ersten drei Spielen nur zwei Punkte. Im vierten Spiel gelang Valencia dann aber ein Achtungserfolg: Gegen Real Madrid holte einen Punkt (2:2), der Entlassung von Rafa Benitez bei den Blancos führte.

    In der Copa del Rey folgte eine regelrechte Demütigung. Im Halbfinal-Hinspiel im Camp Nou wurde Valencia vom FC Barcelona mit 7:0 verprügelt. Nevilles Expertenkollege Jamie Carragher verfolgte das Spiel von der Pressetribüne aus und lachte sich bei jedem Tor kaputt, während Barca-Trainer Luis Enrique an der Seitenlinie keine Gnade zeigte, Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar bis zum Ende auf dem Platz ließ und Nevilles Versuch, ihm nach dem Spiel die Hand zu geben, zurückwies.

    Neville hatte das Gefühl, dass Enrique ihm "damit klarmachen wollte, dass ich nicht dazugehörte". Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gab es erstmals Fragen nach einem möglichen Rücktritt. Enttäuschte Valencia-Fans skandierten "Gary go now", die Stimmung war am Boden. 

    Ein Anhänger erwartete Neville zudem nach einem Auswärtsspiel beim Aussteigen aus dem Bus und forderte ihn auf, den Verein zu verlassen. "Ich habe mein Selbstvertrauen verloren", erinnerte sich Neville später. "Es kam zu dem Punkt, an dem ich nicht einmal mehr Trainingseinheiten leiten wollte – ich übergab sie meinen Co-Trainern. Es war mir peinlich, die Einheiten auf Englisch zu leiten. Alles wurde über einen Dolmetscher abgewickelt."

  • Valencia v Rapid Vienna - UEFA Europa League Round of 32: First LegGetty Images Sport

    Valencia-Fans verbrennen Neville-Puppe

    Der Abwärtsstrudel war längst in Gange. Valencia blieb in LaLiga zehn Partien in Serie sieglos, ehe gegen Espanyol Barcelona der erste Dreier gelang. Es folgten ein Sieg in Granada und ein 10:0 in der Gesamtabrechnung gegen Rapid Wien in der Europa League. Auch deshalb war Neville Anfang März 2016 optimistisch, dass der Turnaround gelungen war. Doch dies sollte sich als trügerischer Hoffnungsschimmer erweisen. Valencia verlor fünf der nächsten sieben Spiele und schied unter anderem aufgrund der Auswärtstorregel gegen den Athletic Club aus dem Europapokal aus. Der Tropfen, der für Klubchef Lim das Fass zum Überlaufen brachte, war eine 0:2-Heimniederlage gegen Celta Vigo Mitte März, durch die Valencia nur noch sechs Punkte Vorsprung auf die Abstiegszone hatte. Zur Erinnerung: Als Neville das Amt übernommen hatte, lag Valencia nur fünf Punkte hinter den CL-Rängen und die Qualifikation für die Königsklasse war das erklärte Ziel.

    Die Niederlage gegen Celta ereignete sich am Tag nach den Las-Fallas-Feierlichkeiten, bei denen die Einwohner Valencias traditionell Puppen verbrennen. Diesmal war darunter auch eine Puppe mit Nevilles Gesicht und dem 0:7-Ergebnis gegen Barca. Lim informierte seinen Kumpel, dass sein Ende gekommen ist - auch, wenn Neville erst zehn Tage später offiziell entlassen wurde.

  • Gary Neville ValenciaGetty

    Ein Engländer in Spanien: "F*ck off"

    Neville hatte während seiner kurzen Zeit in Spanien nur wenige Verbündete." Ich kam aus vielen Pressekonferenzen mit dem Gefühl heraus, dass ich richtig in die Mangel genommen worden war", so Neville später. "Auch andere Trainer gaben mir keine Unterstützung." Ernesto Valverde beispielsweise, damals wie heute Trainer des Athletic Club, änderte sein System dreimal in einem Spiel - Neville hatte keine Antwort darauf: "Er spielte mit mir wie mit einer kleinen Marionette. Ich konnte das an der Seitenlinie spüren. So fühlt sich Unerfahrenheit an." Dann war da noch Diego Simeone, von dem Neville das Gefühl hatte, dass er ihn "sanft erwürgte, er quälte mich fast 90 Minuten lang in fußballerischer Hinsicht".

    Neville stimmte zu, dass Valencia im Februar 2016 den ehemaligen Liverpool-Assistenten Pako Ayesteran einstellte, um ihm bei der Vermittlung seiner Ideen zu helfen. "Garys größtes Problem, dass er sich nicht ausdrücken konnte", sagte Ayesteran später. "Mit einem Übersetzer ist es nicht dasselbe: Man kann nicht dieselbe Leidenschaft, dieselben Emotionen vermitteln." Tatsächlich machte sich die spanische Fernsehsendung El Dia Despues fast wöchentlich über Nevilles Kommunikationsprobleme lustig. Es gab zum Beispiel einen urkomischen Wortwechsel mit dem Trainer von Granada, Jose Sandoval, der Neville vorwarf, "das ganze Spiel über zu lamentieren". Neville antwortete ikonisch: "No protesta, no protesta. F*ck off."

  • Peter Lim protest ValenciaGetty

    Der FC Valencia ist ein Schatten früherer Jahre

    Ayesteran wurde Nevilles Nachfolger und rettete Valencia in der Saison 2015/16 vor dem Abstieg. Er wurde jedoch zu Beginn der folgenden Saison entlassen - weil er noch weniger Punkte als Neville holte. Nachfolger Cesare Prandelli trat nach nur drei Monaten im Amt zurück - seit Nevilles Weggang hatte Valencia neun Trainer, von denen nur zwei länger als ein Jahr im Amt blieben. Marcelino, der die Copa del Rey gewann und zweimal hintereinander unter den ersten Vier landete, war der einzige Coach, der den Erfolg zurückbrachte. Doch auch er verließ den Verein, weil er sich mit Lim überwarf. Der Eigentümer ist zur Hassfigur der Fans geworden, die unzählige Proteste gegen ihn organisierten. Lim derweil hat seit 2019 kein Spiel mehr seines Vereins im Stadion verfolgt.

    Valencia schrammte 2022/23 knapp am Abstieg vorbei und landete schließlich auf Platz 16. In der Saison 2024/25 schien der Abstieg unvermeidlich, bis Carlos Corberan kam und für eine Wende sorgte. Man könnte glauben, dass Neville die Misserfolge seiner Nachfolger nur recht kamen. So wurde seine sicherlich schwache Trainer-Leistung nachträglich etwas freundlicher eingeordnet. Allerdings könnte man auch resümieren, dass mit Neville auf lange Sicht alles den Bach herunterging - mit Ausnahme der beiden Spielzeiten zwischen 2017 und 2019.

  • Wolverhampton Wanderers v Leeds United - Premier LeagueGetty Images Sport

    Seine Lektion gelernt

    Einige ehemalige Spieler von Valencia haben sogar versucht, Neville in ein besseres Licht zur rücken. "Taktisch haben wir verstanden, was er wollte, aber wir konnten es nicht umsetzen und keine Ergebnisse erzielen", sagte der brasilianische Linksverteidiger Guilherme Siqueira im Interview dem Mirror. "Letztendlich waren die Spieler nicht gut genug, wir übernehmen die Verantwortung dafür." Stürmer Alvaro Negredo zeigte sich kürzlich überrascht, dass Neville nicht weiter in England als Trainer tätig war: "Vielleicht hatte er damals in Spanien aufgrund der Sprachbarriere nicht mehr Möglichkeiten, aber in der Premier League hätte ich ihm mehr Chancen gegeben. Für mich war er ein guter Trainer, der eine sehr gute Einstellung und den Willen hatte, sich zu verbessern."

    Allerdings waren nicht alle, die mit dem Verein zu tun haben, so wohlwollend. Der ehemalige Präsident Fernando Roig sagte beispielsweise: "Der Experte, der kam, der Engländer, war der schlechteste Trainer, den ich je gesehen habe." Neville bekam nie die Gelegenheit, Roig das Gegenteil zu beweisen. Als er Anfang dieses Jahres gefragt wurde, warum er nie wieder als Trainer gearbeitet habe, sagte er, er habe seine Lektion gelernt: "Die Vorstellung, dass ich alle Geschäfte, die Medienkarriere und den Job als Cheftrainer unter einen Hut bringen könnte, war Unsinn, absoluter Unsinn. Bleib in deiner Spur, bleib bei dem, was du gut kannst."

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