Giovanni Leoni Liverpool 2025Getty Images

"Ein Schatz des italienischen Fußballs": Warum der FC Liverpool mehr als 30 Millionen Euro für einen Teenager mit 17 Erstligaspielen hinblättert

Nach erfolgreichen Spielzeiten verändern Mannschaften oft nur wenig an ihrem Kader - was sich im Nachhinein dann gerne als Fehler herausstellt. Premier-League-Champion FC Liverpool geht einen anderen Weg: Nach Florian Wirtz (125 Millionen Euro), Hugo Ekitike (95 Millionen), Milos Kerkez (46 Millionen) und Jeremie Frimpong (40 Millionen)* haben die Reds mit Giovanni Leoni von Parma Calcio nun schon den fünften Neuzugang für über 30 Millionen Euro verpflichtet. Aber wer ist der Innenverteidiger, der bisher gerade einmal 17 Serie-A-Spiele absolviert hat? Hat er das Zeug zum Nachfolger von LFC-Kapitän Virgil van Dijk?

 *Quelle: transfermarkt.de

  • Wochenlang war in Italien über einen möglichen Transfer von Leoni spekuliert worden. Ob Inter, Milan oder Juve: Nahezu alle Top-Klubs der Serie A galten als interessiert an einer Verpflichtung des Defensiv-Talents. Als besonders wahrscheinlich erschien ein Wechsel zu Champions-League-Finalist Inter Mailand. Die haben angesichts einer alternden Abwehr nicht nur dringend Bedarf, sondern mit Cristian Chivu auch einen neuen Trainer: Jener Chivu war in der vergangenen Saison noch in Parma tätig und machte den Youngster trotz seiner erst 18 Jahre in der Rückrunde zum Stammspieler. Der Wechsel zu seinem Mentor erschien also als logischer Schritt.

    Doch es kam anders: Wie schon bei Wirtz schafften es die Reds, einen Transfer im Verborgenen in die Wege zu leiten. Kaum waren die ersten Gerüchte um einen Wechsel auf die Insel aufgekommen, da konnte der englische Meister schon Vollzug melden. Für kolportierte 30 Millionen Euro, die mit Bonuszahlungen offenbar auf 35 Millionen ansteigen könnten, schloss sich der 1,96 Meter große Innenverteidiger dem FC Liverpool und unterschrieb dort einen Vertrag bis 2031.

  • Werbung
  • Bocelli And Zanetti Night - HospitalityGetty Images Entertainment

    Kritik in der italienischen Presse: "Heute reichen schon 17 Serie-A-Spiele und du landest beim Premier-League-Champion"

    Nun ist die Enttäuschung in Italien groß, ähnlich wie vor einem Jahr, als sich Riccardo Calafiori nicht wie erwartet dem italienischen Rekordmeister Juventus anschloss, sondern zum FC Arsenal wechselte. 

    Dass der Spieler selbst so früh diesen Schritt wagte und nicht in der Heimat bleiben wollte, sieht manch einer schon als Zeichen für einen Werteverfall. Früher habe man sich noch durch die Knochenmühle der zweiten und dritten Liga gekämpft und sich langsam einen Namen gemacht, doch diese Zeiten seien vorbei. "Heute reichen schon 17 Serie-A-Spiele und du landest beim Premier-League-Champion", schrieb der Journalist Luigi Garlando in der Gazzetta dello Sport. Das sei ein Symbol für "die Generation, die alles und sofort" haben wolle.

    Etwas anders sieht das Trainer-Legende Arrigo Sacchi. Der 79-Jährige zeigte sich in der Gazzettaebenfalls enttäuscht darüber, dass kein italienischer Verein den Zuschlag erhalten habe, traut Leoni den Schritt aber trotz seiner noch fehlenden Erfahrung zu: "17 Spiele sind nicht wenige, denn bei diesen Gelegenheiten hat er die Qualitäten gezeigt, die notwendig sind, um es weit zu bringen. Ob jemand ein guter Spieler ist und den richtigen Kopf hat, merkt man sofort. Du kannst 200 Serie-A-Spiele in den Beinen haben, aber nicht über die Fähigkeiten verfügen, die Leoni schon in seiner ersten Saison 'als Erwachsener' gezeigt hat."

  • Parma v Napoli - Serie AGetty Images Sport

    Romelu Lukaku macht gegen Leoni keinen Stich

    Tatsächlich hat Leoni im vergangenen halben Jahr mit den von Sacchi gerühmten Defensivleistungen viele Fußballfans begeistert. War er in der Hinrunde nur selten berücksichtigt worden, profitierte der groß gewachsene Abwehrspieler von der Entlassung des ehemaligen Trainers Fabio Pecchia. Unter Chivu gelang ihm der Durchbruch, zunächst als linker oder rechter Teil einer Dreierkette, am häufigsten aber als zentraler Part. Dass ein junger Spieler auf Anhieb eine derart zentrale Rolle einnimmt, ist – nicht nur in Italien – ungewöhnlich. Leoni aber zahlte das Vertrauen zurück und durfte mit seinem lange abstiegsbedrohten Team am Ende der Saison als Tabellen-16. den Klassenerhalt feiern.

    Sowohl beim 1:0-Erfolg gegen Juventus als auch beim 0:0 gegen den späteren Meister SSC Neapel. Dabei scheute der Youngster gegen den körperlich präsenten Belgier keinen Zweikampf und entschied fast alle für sich. "Persönlichkeit, Entschlossenheit, Qualität. Er ist erst 18 Jahre alt, ein Schatz des italienischen Fußballs", adelte ihn die Gazzetta anschließend.

  • Liverpool FC v Tottenham Hotspur FC - Premier LeagueGetty Images Sport

    Leoni: "Ich orientiere mich an Virgil van Dijk und Chris Smalling"

    Eine ähnlich erinnerungswürdige Performance im direkten Duell mit dem bulligen Mittelstürmer war zuvor Giorgio Chiellini gelungen, im Viertelfinale der Europameisterschaft zwischen Italien und Belgien 2021. Logisch, dass bereits erste Vergleiche mit den vielen italienischen Abwehrgrößen der Vergangenheit gezogen werden. Der Spieler selbst hingegen hat ein anderes Vorbild: Virgil van Dijk, den Kapitän seines neuen Klubs. Schon nach seinem Debüt am 19. März 2023 für Calcio Padova in der Serie C mit nur 16 Jahren und drei Monaten sagte er : "Ich orientiere mich an Virgil van Dijk und Chris Smalling."

    Laut seinem Förderer Carlo Sabatini, bei Padova für den Jugendbereich zuständig, träumt Leoni, obwohl großer Fan der Roma, seit langem von der Premier League. "Die englische Liga ist seine Leidenschaft, dort will er eines Tages spielen. Er liebt van Dijk und will so werden wie er", erzählte dieser unmittelbar nach Leonis Profi-Debüt.

    Geboren ist der Innenverteidiger, dessen Eltern beide professionell Wasserball spielten, in Rom, aufgewachsen aber ab seinem fünften Lebensjahr in Padua. Nachdem er dort schon früh den Sprung in die erste Mannschaft schaffte, zog er im Januar 2024 weiter zum Zweitligisten Sampdoria Genua, wo er unter Trainer Andrea Pirlo spielte und mit 17 Jahren sofort Stammspieler wurde. "Er ist ein fantastischer Junge, ich war mir sicher, dass er es in die Serie A schaffen würde", sagte die Mittelfeld-Legende später gegenüber ParmaToday.

    Nachdem Sampdoria in den Aufstiegs-Playoffs scheiterte, wurde das Talent nach nur einem halben Jahr wieder verkauft. Schon damals galten große Klubs wie Inter und Juventus als interessiert, den Zuschlag für rund acht Millionen Euro erhielt jedoch Aufsteiger Parma, wo Ende der Neunziger auch der letzte italienische Ballon-d’Or-Gewinner, Fabio Cannavaro, kickte. Dort konnte man sich über den auch dank Leonis starker Leistungen erreichten Klassenerhalt freuen - und nun über ein sattes Transferplus.

  • Leoni und die Premier League - das könnte passen

    Nach seinem steilen Aufstieg hat der 18-jährige Italiener in der neuen Saison die Möglichkeit, sich in seiner Liga seiner Träume zu beweisen. Er wird "Leoncino", kleiner Löwe, genannt, bringt mit seiner Körpergröße von 1,96 Metern aber definitiv gute Voraussetzungen für den englischen Fußball mit. Zudem verfügt er über die nötige Spielintelligenz, um sich auch gegen erfahrene Angreifer durchzusetzen, wie Roberto Baronio, ehemaliger Co-Trainer von Pirlo bei Sampdoria, gegenüber Parma Today betont: "Er ist ein intelligenter Junge, und wenn du überdurchschnittlich intelligent bist, dann kannst du weit kommen. Er kann die Absichten seiner Gegenspieler lesen, das haben wir bei ihm von Anfang an gesehen, das kann eine seiner Stärken werden."

    Allerdings müsse er seine fehlende Antrittsschnelligkeit auf den ersten Metern auch durch Cleverness ausgleichen, zudem als nicht gerade geborener Sprinter an seiner Spritzigkeit arbeiten. Auch in puncto Spielaufbau hat Leoni trotz einer ordentlichen Technik mit beiden Füßen noch Steigerungspotenzial, wird sich außerdem auf das Spiel in einer Viererkette umstellen müssen.

  • Giovanni Leoni ItaliaGetty Images

    Bald schon ein Leader in der Nationalmannschaft?

    Dass er aber die nötigen Voraussetzungen für eine große Karriere mitbringt, davon sind sie in Italien überzeugt. Und entgegen der polemischen Kritik in der Gazzetta scheint der Spieler keineswegs ein Symbol für eine Generation zu sein, die alles ohne Anstrengung sofort haben will. Schließlich hat Leoni ja sowohl in der Serie C als auch in der Serie B gespielt - nur eben schon in sehr jungen Jahren. Zudem gilt er als charakterlich vorbildlicher, mannschaftsdienlicher Typ. Baronio stellt klar, der Spieler habe sich immer "korrekt, wohlerzogen und respektvoll" verhalten. So habe er etwa nach jedem Training freiwillig Bälle und Hütchen eingesammelt. "Wir sagten ihm oft: 'Leo, lass' gut sein. Das musst du nicht machen!' Und er antwortete: 'Nein, ich bin das so gewohnt!'" 

    Trainer-Legende Sacchi sieht in Leoni sogar schon den zukünftigen Leader der italienischen Nationalmannschaft, die aktuell mal wieder um die WM-Teilnahme bangen muss. Die sucht seit einiger Zeit vergeblich nach einer Alternative auf höchstem Niveau für die zentrale Position in der Dreierkette. Bisher kam das Talent lediglich in der U18 und U19 zum Einsatz. Der ehemalige Nationaltrainer bescheinigt ihm "die Qualitäten eines Anführers", und betont: "Ich bin überzeugt, dass er über Jahre hinweg eine Stütze des Nationalteams sein wird".

    So weit ist das Talent trotz aller Vorschusslorbeeren noch lange nicht. Doch auf dem Weg dorthin kann der Italiener nun von einem der Besten der Welt lernen - und sein 34 Jahre altes Vorbild im Idealfall eines Tages sogar beerben.

0