Der Leidtragende des Kovac-Aufschwungs: Warum die Entwicklung von Jamie Gittens beim BVB trotz Formkrise gut ist

Der BVB hatte sich also etwas mehr als zwei Jahre nach dessen Bundesligadebüt im April 2022 den nächsten Schritt vom immer noch erst 20-jährigen Engländer erwartet. Und dieser auch von sich, wie er im vergangenen Juli auf der Asien-Tour während seines ersten Interviews auf deutsch erklärte: "Ich hoffe, dass ich Stammspieler werde, aber dafür muss ich hart arbeiten. Und ich muss mehr Tore machen und mehr Vorlagen geben."

Gesagt, getan: Dem offensiven Außenbahnspieler gelang tatsächlich und scheinbar mühelos ein Sprung in seiner Entwicklung. Es war gar ein gewaltiger. Starke neun Tore und fünf Vorlagen brachte er bis zum Jahreswechsel zustande.

Gittens kam körperlich deutlich robuster und durchsetzungsstärker daher. In einer immer schwächer aufspielenden Dortmunder Mannschaft war er über Wochen der beste Spieler. Den Ball zu Gittens bringen und dann hoffen, dass er sich im Eins-gegen-eins durchsetzt und etwas kreiert - das schien oftmals die Taktik der uninspirierten Borussia zu sein.

Allerdings: Seine eklatanten Schwächen im Defensivverhalten konnte Gittens über den Sommer nicht abstellen. Sie sind bis heute seine größte Baustelle. Das zeigte sich erst kürzlich wieder beim völlig in den Sand gesetzten Champions-League-Duell in Barcelona (0:4). Die taktische Umstellung von Trainer Niko Kovac zurück auf eine Viererkette sowie Gittens für den formstarken Maximilian Beier einzusetzen, verfehlte ihre Wirkung komplett - weil der gebürtige Londoner gegen den Ball Außenverteidiger Julian Ryerson gänzlich im Stich ließ.

Die Glanzlichter des ersten Halbjahres gibt es 2025 nicht mehr von Gittens. Der BVB machte zusehends eine schwere Krise durch und trennte sich im Januar von Sahin. Dass unter solchen Voraussetzungen nach einem Trainerwechsel auch immer mal der eine oder andere Spieler vorerst ein wenig auf der Strecke bleibt, ist kein außergewöhnlicher Vorgang.

Zumal bei Gittens hinzu kam, dass er just zum Zeitpunkt der Entlassung Sahins, eigentlich auch schon in den Wochen zuvor, eindeutig überspielt war. Eine solche Belastung hatte Gittens in seiner Karriere noch nicht gekannt.

Dennoch stand er in Kovacs ersten vier Pflichtspielen jeweils in der Startelf. Gittens blieb jedoch ohne Torbeteiligung und spielte unauffällig bis schwach. Es war daher durchaus geboten, ihn einmal herauszunehmen. Kovac tat genau dies, in zwei Bundesligapartien kam Gittens dann nur auf zwölf Einsatzminuten als Einwechselspieler.

Als Gittens in der Folge in den Heimspielen gegen Lille (1:1) und den FC Augsburg (0:1) enorm schlechte Leistungen bot und Kovac allmählich auf die Idee einer Umstellung hin zur Dreierkette mit zwei Stürmern kam, in der echte, an der Linie klebende Flügelspieler nicht benötigt werden, war es das für den Engländer. Seitdem ist die Luft ein wenig raus bei Gittens. Immerhin durchbrach er mit seinem Joker-Treffer gegen Freiburg (4:1) eine dreimonatige Durststrecke, in der er ohne Torbeteiligung geblieben war.

So steht Gittens nun bei aktuell 44 Pflichtspielen in dieser Saison, in denen ihm zwölf Treffer und fünf Vorlagen (aber keine im Jahr 2025) gelangen. Das sind schon jetzt zehn absolvierte Partien mehr als im Vorjahr, wo er 34-mal ran durfte (zwei Tore, acht Vorlagen). Damals stand er in 18 Begegnungen in der Anfangsformation, in dieser Spielzeit in deren 32.

Es hat also in jeglicher Hinsicht eine positive Entwicklung in die richtige Richtung bei Gittens stattgefunden, so wie sie sich der Verein vor Saisonstart gewünscht hat. Dass er jetzt Leidtragender des aktuellen Trends ist und sich in einem sportlichen Loch befindet, ist zwar blöd für ihn gelaufen. Ein geringeres Gefälle des Auf und Ab wäre freilich wünschenswert gewesen, aber diese Problematik betrifft ja seit Jahren ohnehin den gesamten Verein. Dennoch ist Gittens' Entwicklung in diesem Jahr völlig gesund.

Durch sein starkes erstes Halbjahr ist er nun auch fester Bestandteil der Gerüchteküche geworden. Gittens ist angesichts seines Alters, der Anlagen und des Potenzials natürlich einer der Spieler im Kader, die dem BVB eines Tages eine hohe Ablösesumme einbringen können. Vor allem Vereine aus seiner Heimat England sollen interessiert sein. Kürzlich hieß es auch, Gittens plane bereits den Abschied aus Dortmund.

Dem widersprach Sport-Geschäftsführer Lars Ricken vor zwei Wochen bei DAZN deutlich. "Nein, das kann ich klipp und klar so sagen, das stimmt so nicht. Der Junge war schon bei uns im Jugendbereich, da ist ein extrem großes Vertrauensverhältnis gewachsen. Er identifiziert sich zu 100 Prozent mit dem BVB", sagte Ricken.

Momentan sind die Notwendigkeiten der Westfalen auf dem Sommer-Transfermarkt sowieso noch reine Zukunftsmusik. Mit welchem Budget Kehl planen kann, steht angesichts des noch unklaren Saisonausgangs nicht fest. Sollte man einen internationalen Startplatz verpassen und beispielsweise ein englischer Klub eine unmoralische Summe für Gittens bieten, müsste sich der BVB gleichwohl damit beschäftigen.

Unabhängig davon hat sich Gittens in sportlicher Hinsicht nun ein Fundament für seine weitere Laufbahn geschaffen, von dem aus er die nächsten Schritte gehen kann. Er ist reifer, erwachsener und erfahrener geworden. Die Ausschläge nach oben und nach unten, die ihn dieses Jahr begleiteten, dürften langfristig seinem Lernprozess als Profi auch nicht zwingend schaden.

Kehl sagte über Gittens, dieser sei "besessen davon, sich zu verbessern". Großer Optimierungsbedarf besteht wie angesprochen vor allem bei der Defensivarbeit, der elfmalige U21-Nationalspieler macht meist viel zu lasch und sorglos die Wege nach hinten. Das wird jemand wie Kovac nicht gerne sehen.

Auch ist es für ihn notwendig, die Eindimensionalität in seinem Spiel abzulegen. Gittens braucht deutlich mehr Manöver als nur den Ball am Gegenspieler vorbei zu legen und ihn dank seines herausragenden Tempos zu überholen. Die Kontrahenten haben sich im Saisonverlauf viel besser auf ihn und seine Bewegungen eingestellt. Die richtige Balance zwischen Dribbling und Abspiel muss Gittens auch noch finden.

Das sind für einen 20-Jährigen, der viel Talent besitzt und zu einem echten Unterschiedsspieler reifen kann, keine ungewöhnlichen Hausaufgaben. Gittens muss sie nun jedoch aus einer mental nicht leichten Situation heraus meistern. "Er merkt auch, was es heißt, nach einer sehr guten Hinserie jetzt nicht unbedingt immer zu starten", hatte Kovac kürzlich gesagt. Ob Gittens auch diese Herausforderung meistert, dürfte sich dann nach dem nächsten Sommer zeigen.