"Der Herrscher des Mittelfelds": Ein Top-Star aus der Serie A ist das perfekte Beispiel für Manchester Uniteds Fehleinschätzungen

Neapel hat einen unerwarteten Helden in seinen Reihen: Scott McTominay.

Die meisten Fans von Manchester United waren froh, als er im Sommer 2024 für gut 30 Millionen Euro Ablöse verkauft wurde. Doch Experten sind sich einig: Der Schotte spielt in Italien seine bislang beste Saison, während ManUnited die schlechteste Spielzeit seit Jahrzehnten erlebt.

Der Schlüssel für die Leistungssteigerung McTominays liegt vor allem in seiner veränderten Rolle unter Trainer Conte. Wie McTominay selbst betont hat, wurde er in England vor allem wegen seiner imposanten Statur "falsch profiliert" und fälschlicherweise als Sechser oder Innenverteidiger eingesetzt. Conte jedoch sah seine Qualitäten als offensiver Mittelfeldspieler, wo McTominay seine Torgefahr ausspielen kann.

"Scott hat Tore im Blut", sagte der Italiener im September 2024 zu DAZN. "Er ist sehr gut im Spielaufbau, hat eine gute Technik sowie Größe und Physis. Er hat eine Menge Tore in seiner DNA."

Das stellte der Schotte zuletzt wieder eindrucksvoll unter Beweis, als er am vergangenen Sonntag beim 2:0 gegen Torino einen Doppelpack schnürte und Napoli damit auf den Platz an der Sonne schoss. Insgesamt sammelte McTominay schon 16 Scorerpunkte in 32 Einsätzen.

McTominay hat bereits elfmal in der Serie A getroffen und damit die erfolgreichste Debütsaison eines Mittelfeldspielers in Neapel seit Marek Hamsik vor 17 Jahren hingelegt. Kapitän Giovanni Di Lorenzo überraschte dabei vor allem, "das Ausmaß seines Einflusses von Anfang an. Er ist ein außergewöhnlicher Junge und hat sich sofort in den Dienst der Mannschaft gestellt", sagte der Italiener bei DAZN.

Sicherlich hat es geholfen, dass McTominay sich sehr bemüht hat, die lokale Kultur (und Küche!) anzunehmen. Aber laut Sportdirektor Giovanni Manna hat auch der Verein seinen Teil dazu beigetragen, indem es dem Neuzugang das Gefühl gab, "im Mittelpunkt eines Projekts" zu stehen .

McTominay ist der Talisman der Truppe. Die Gazzetta dello Sport ging sogar so weit, ihn nach seinem Doppelpack beim 3:0-Sieg gegen Empoli am 13. April als "Herrscher des Mittelfelds" zu bezeichnen.

Schon sieben Mal in dieser Saison netzte der 28-Jährige zum wichtigen 1:0 für seine Mannschaft - ebenfalls das Merkmal eines Anführers.

Der amtierende Meister Inter war seit Beginn der Saison für die meisten Fans und Fachleute der Favorit auf den Titel. Nach zwei Niederlagen in Serie hat sich das Blatt allerdings gewendet. Unter anderem ist Trainerlegende Fabio Capello mittlerweile umgeschwenkt und rechnet mit Napolis Titelgewinn. Der Grund für den Sinneswandel liegt auf der Hand: der Spielplan.

Zunächst einmal hat Napoli seit Jahresbeginn nur einmal pro Woche gespielt. Nach der gescheiterten Titelverteidigung 2024 qualifizierte sich der Verein nicht für Europa und schied schon Anfang Dezember aus der Coppa Italia aus.

Im völligen Gegensatz dazu wurde die Mannschaft Inters durch einen wahnsinnigen Spielplan bis an ihre Grenzen getrieben. Bis in die Vorwoche tanzte sie auf drei Hochzeiten - es folgte dann das Pokalaus gegen die AC Milan (0:3) im Halbfinale. Aktuell stehen noch die zehrenden Duelle mit dem FC Barcelona im Halbfinale der Champions League zwischen den Aufgaben in der Serie A an.

Hinzu kommt, dass die verbleibenden Ligaspiele für Inter auf dem Papierdeutlich schwieriger ist als für Napoli. Die Nerazzurri haben wohl nur ein "leichtes" Spiel, zu Hause gegen Verona. Derweil warten noch Champions-League-Anwärter Lazio (wenn auch im San Siro) und schwierige Auswärtsspiele in Turin und Como.

Die Spiele von Napoli sind keineswegs einfach, da sie gegen drei (derzeit) vom Abstieg bedrohte Mannschaften (Lecce, Cagliari und Parma) antreten müssen. Genua ist bereits gerettet und die einzige Mannschaft aus der oberen Tabellenhälfte, gegen die Contes Schützlinge noch spielen müssen - das klingt machbar.

Wenn man Conte in letzter Zeit zuhört, würde man jedoch absolut nicht vermuten, dass Napoli sich in einer solch komfortablen Position befindet. Der für seine hitzige Art bekannte Trainer hat mal wieder einen äußerst ungünstigen Zeitpunkt gewählt hat, um sich mit De Laurentiis anzulegen.

"Ich habe Bewunderung und Respekt für den Präsidenten", sagte Conte nach dem Sieg gegen Monza bei DAZN. "Aber Napoli hat mich gebeten, zu helfen, und das tue ich auch, aber die Fans von Napoli wollen gewinnen, sie haben diesen Ehrgeiz. Wenn sie nicht gewinnen, können sie unangenehm werden."

Der Italiener führte aus: "Ich muss alles genau kalkulieren, ich bin nicht dumm. Ich setze mich selbst unter Druck, aber ich brauche auch die richtigen Waffen, um zu kämpfen. Sonst wird es ein Massaker, und ich will nicht massakriert werden."

Einige der Beschwerden des ehemaligen Trainers von Juventus, Chelsea und Inter sind dabei wohl sogar berechtigt. Rafa Benítez wies bereits vor mehr als einem Jahrzehnt darauf hin, dass die Trainingsanlagen von Napoli unterdurchschnittlich sind, und seitdem hat sich nicht viel geändert. Conte macht diese Umstände für zahlreiche Muskelverletzungen seiner Spieler verantwortlich.

Es ist auch unbestritten, dass zumindest ein Teil der 75 Millionen Euro, die im Januar durch den Verkauf des Starflügelspielers Khvicha Kvaratskhelia an PSG eingenommen wurden, in die Verpflichtung eines würdigen Ersatzes hätte investiert werden müssen. Stattdessen holten De Laurentiis den AC-Milan-Flop Noah Okafor - mit vorhersehbar katastrophalen Ergebnissen. Er kam seit dem Wechsel nur viermal zum Einsatz und spielte insgesamt 36 Minuten.

Conte hätte im Interesse des Meisterrennens ruhig noch ein paar Wochen länger schweigen können, bevor er am Ende der Saison ein klärendes Gespräch mit De Laurentiis geführt hätte.

"Die ganze Kontroverse hat mich etwas perplex gemacht", gab Capello in der Gazzetta dello Sport zu. "Contes Worte könnten der Mannschaft schaden, daher bin ich gespannt, ob die Spieler von Napoli darüber hinwegkommen."

Ganz Italien ist gefesselt von dem spannendsten Titelkampf in den fünf großen Ligen Europas. Inter hat zweifellos den stärkeren Kader, aber wie Inzaghi nach den beiden Niederlagen in Folge gegen Bologna und Milan zugab, spüren seine Spieler nun die mentale und physische Belastung, seit Saisonbeginn jede Woche zweimal zu spielen.

Für Napoli ist die Herausforderung eigentlich nur mentaler Natur. Conte hat seine Mannschaft bis jetzt hervorragend als bewundernswerte Außenseiter dargestellt (was angesichts des 10. Platzes der Partenopei in der letzten Saison auch bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt ist). Doch bei der aktuellen Ausgangslage ist man der leichte Favorit.

Einer der aufregendsten Aspekte dieses engen Titelrennens ist die Aussicht auf ein direktes Duell der beiden nach dem 38. Spieltag - falls beide punktgleich in den Hafen einlaufen. Die Anspannung vor einem solchen Duell wäre unvergleichlich und würde über ganz Europa die Fans vor den Bildschirm ziehen.

Aber egal, was bis Ende Mai passiert, De Laurentiis' Film über die Saison 2024/25 dürfte ein weiterer Kassenschlager werden.