Emre Can Borussia Dortmund 2025Getty Images

Der BVB besiegt OSC Lille in der Champions League - doch die alles entscheidende Frage steht weiter im Raum

Niko Kovac antwortete diplomatisch, als er nach seinem Man of the Match an diesem für Borussia Dortmund so erfreulichen Mittwochabend in Lille gefragt wurde. "Ich kann keinen Einzelnen hervorheben heute. Egal, wen ich da nennen würde, es wäre nicht gerecht den Anderen gegenüber", sagte der BVB-Coach nach dem 2:1-Auswärtssieg, der den Einzug ins Viertelfinale der Champions League sicher gestellt hatte, bei DAZN. Stolz schob Kovac nach: "Man of the Match war meine Mannschaft."

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    Julian Ryerson weckt beim BVB den Glauben

    Irgendwie traf Kovac damit natürlich den Nagel auf den Kopf. Insbesondere in Halbzeit zwei legte der BVB im Kollektiv einen bärenstarken Auftritt auf den nordfranzösischen Rasen. Und doch hätte es ein Dortmunder durchaus verdient gehabt, im Nachhinein besonders hervorgehoben zu werden. Auch, weil er den Zusammenhalt und das Füreinander-Einstehen, das den kriselnden BVB beim Achtelfinalrückspiel in Lille zum Weiterkommen trug, so herausragend verkörpert.

    Die Rede ist von Julian Ryerson. Er, auf den man für gewöhnlich nicht zu sprechen kommt, wenn man sich über Unterschiedsspieler unterhält, war für Dortmund am Mittwoch genau das: Ein Unterschiedsspieler.

    Ryerson war es, der nach dem frühen Rückstand in der 5. Minute das Heft in die Hand nahm, der phasenweise von seiner Linksverteidigerposition aus einen verkappten Spielmacher gab. Der Norweger nahm die entscheidende Rolle dabei ein, dass sich eine ohnehin schon verunsicherte Dortmunder Mannschaft durch den unglücklichen Start in diese so wichtige Partie nicht weiter verunsichern ließ. Ryerson gefiel nicht nur in seiner Paradedisziplin, indem er mit Zweikampfhärte und Bissigkeit unentwegt dagegen hielt. Vielmehr war er insgesamt sogar der offensiv auffälligste BVB-Akteur, leitete zahlreiche gefährliche Momente maßgeblich mit ein oder kam selbst zum Abschluss.

    Beispielsweise in der Szene, die sinnbildlich für Ryersons Qualitäten steht: Mit unermüdlichem Einsatz luchste er dem Ex-Dortmunder Thomas Meunier, der den Ball eigentlich abschirmen und ins Toraus trudeln lassen wollte, die Kugel ab, zog nach innen und prüfte Lilles Keeper Lucas Chevalier mit einem satten Flachschuss auf die lange Ecke (19. Minute). Es waren Aktionen wie diese, mit denen Ryerson den angeknockten BVB ins Spiel brachte und bei seinen Teamkollegen den Glauben daran festigte, trotz des frühen Rückstandes bestehen zu können.

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  • Der BVB zeigt eine beeindruckende Reaktion auf den Tiefpunkt gegen Augsburg

    Ryerson initiierte ebenjene Intensität, die bei der so bitteren und von Untergangsstimmung begleiteten 0:1-Heimniederlage gegen den FC Augsburg nur vier Tage zuvor noch schmerzlich vermisst wurde. "Keine Aggressivität, keine Intensität, keine Ballzirkulation", hatte Kovac seine Mannschaft scharf kritisiert und ihr schonungslos attestiert: "Unter dem Strich haben wir das bekommen, was wir gezeigt haben: Nämlich nichts."

    Die Reaktion, die der BVB in Lille an den Tag legte, war beeindruckend und ob des frühen und in seiner Entstehung sehr unglücklichen Gegentores umso höher zu bewerten. Die Franzosen konnten ihren Traumstart vor allem deshalb nicht in eine längere Phase der Dominanz ummünzen, weil sich der BVB überhaupt nicht aus dem Konzept bringen ließ, was nach dem blutleeren und Selbstvertrauen komplett vermissen lassenden Auftritt gegen Augsburg nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Zumal ein Achtelfinal-Aus in der Champions League die finale Saisonphase zu einem trostlosen Austrudeln hätte verkommen lassen können.

    "Es fällt viel von einem ab, es war enormer Druck auf dem Spiel", konstatierte Innenverteidiger Nico Schlotterbeck bei DAZN. "Dann gehen wir auch noch unglücklich in Rückstand, aber danach hat die Mannschaft ein super Spiel gemacht", lobte er. Schon nach dem Fiasko gegen Augsburg hatte er dem Spiel in Lille eine enorme Bedeutung verliehen, als er bei Sky betonte, es sei "unsere einzige Chance, den Turnaround zu schaffen."

    Die dazu passende Einstellung brachte Dortmund im rauen Norden Frankreichs auf den Platz. Man kaufte Lille nach und nach den Schneid ab, erarbeitete sich ein Übergewicht und war die deutlich torgefährlichere Mannschaft. "Wir geraten unglücklich in Rückstand, haben trotzdem das Spiel dominiert. Wir hatten viele Chancen, das zeigt, dass die Mannschaft Qualität hat und für solche Spiele geboren ist", konstatierte Kovac.

    Mit Maximilian Beier stach dabei neben Ryerson noch ein weiterer Spieler aus dem starken Kollektiv heraus. Den 22-jährigen Offensivmann, der eine komplizierte erste Saison beim BVB durchmacht, hatte Kovac unter anderem mit der klaren Aufgabe betraut, Lilles offensivfreudigen Rechtsverteidiger Meunier im Spiel nach vorne nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. Ihm traute er das offenbar eher zu als Jamie Gittens, der dafür aus der Startelf rutschte.

    Beier erfüllte seine Defensivaufgaben von Beginn an mit Bravour, immer wieder glänzte er mit leidenschaftlich und erfolgreich geführten Defensivzweikämpfen, riss Kilometer um Kilometer ab. In seinen Offensivkationen blieb Beier in Durchgang eins noch glücklos, dafür war er nach dem Seitenwechsel auch im Angriffsspiel umso entscheidender: Zunächst leitete er ein Zuspiel von Emre Can geistesgegenwärtig per Hacke in den Lauf von Serhou Guirassy weiter, der dann den Elfmeter zum Ausgleichstreffer heraus holte. Und dann hämmerte Beier den Ball nach gut einer Stunde entschlossen und sehenswert zum 2:1-Siegtor in den Winkel.

    "Das hat er sich verdient heute", freute sich Schlotterbeck für seinen Mitspieler und führte zu Beiers umjubeltem Treffer aus: "Er trainiert genau diesen Schuss sehr oft im Training - es war jetzt das erste Mal, dass er funktioniert hat beim BVB. Er ist ein guter Junge, arbeitet sehr viel. Ich habe ihm schon vor Wochen gesagt, dass er sich irgendwann belohnen wird, wenn er so weiter macht. Das Tor war heute nur das i-Tüpfelchen seines Spiels. Was er vor allem defensiv geleistet hat, war schon sehr gut."

    Und auch Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl stimmte in die Lobeshymnen ein und erhofft sich für Beiers weitere Entwicklung in Dortmund einen positiven Effekt von diesem besonderen Spiel. Der Ex-Hoffenheimer sei "unglaublich engagiert" gewesen, so Kehl. "Er war nach vorne und nach hinten stark, hat viele Bälle gewonnen und sich mit seinem Tor belohnt und ein bisschen befreit."

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    BVB jubelt in Lille: Endlich der Wendepunkt oder wieder nur ein Ausreißer?

    Bei all dem Jubel über das Weiterkommen und all der Vorfreude auf das Viertelfinale gegen den FC Barcelona bleibt rund um den BVB aber eine alles entscheidende Frage im Raum: War dieser erfolgreich gemeisterte Kraftakt in Lille nun der lang ersehnte Wendepunkt oder nur ein weiterer Ausreißer nach oben, auf den schon bald die nächste Enttäuschung folgt?

    Dortmund muss nun das gelingen, womit nicht zuletzt nach der jüngsten Enttäuschung gegen Augsburg beispielsweise Schlotterbeck und Can haderten: Konstanz in die Leistungen bringen. "Die fehlende Konstanz ist letztlich auch fehlende Qualität. Ein gutes Spiel mal vereinzelt bringt nichts, man muss es über mehrere Wochen machen. Das schaffen wir schon die ganze Saison nicht", hatte Schlotterbeck nach der Pleite gegen den FCA am Samstag bei Sky gesagt.

    Schon mehrfach glaubte man beim BVB im Verlauf dieser durchwachsenen bisherigen Saison, dass doch jetzt endgültig alles besser werden würde. Nach dem überzeugenden 2:1 im Topspiel gegen RB Leipzig Anfang November etwa. Nachdem man kurz vor Weihnachten mit dem 3:1 in Wolfsburg endlich den ersten Liga-Auswärtssieg dieser Spielzeit eingefahren hatte. Nach dem 3:0 im CL-Playoff-Hinspiel bei Sporting Lissabon oder zuletzt nach den zwei Siegen am Stück gegen Union Berlin (6:0) und bei St. Pauli (2:0). Nie war es wirklich der erhoffte Wendepunkt.

    Ob das eindrucksvolle Weiterkommen in Lille nun endlich der Brustlöser ist, kann nur die Zukunft zeigen. Damit es so kommt, müsste am Samstag bei RB Leipzig ein erneuter erfolgreicher Auftritt her.

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