"Wir haben unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten für diese Transferperiode ausgeschöpft", bilanzierte Sebastian Kehl am Mittwoch in der Sport Bild. Der Sportdirektor von Borussia Dortmund hat den Kader vernünftig ausgemistet sowie Gutverdiener wie Sebastien Haller - wobei der noch vier Millionen Euro Abfindung mitnehmen durfte - und Youssoufa Moukoko von der Gehaltsliste bekommen.

Das merkwürdige Transferfenster des BVB: Eine Aussage von Sebastian Kehl erstaunt besonders
Dank des stark ausgehandelten Verkaufs von Jamie Gittens (FC Chelsea) beträgt das Saldo um die 40 Millionen Euro. Von einem Budget dieser Größenordnung sprachen die Verantwortlichen des BVB stets. Die Zielvorgaben wurde also erreicht - doch haben sich die Westfalen auch wirklich verstärkt?
Man könnte diesen Text nun direkt enden lassen und antworten: Das wird man erst nach der Saison final beurteilen können. Kehls vorläufige Antwort lautet: "Ich bin absolut überzeugt von unserem Kader und glaube, dass wir besser aufgestellt sind als in der vergangenen Saison."
An einer Aussage wie dieser wird sich der 45-Jährige freilich messen lassen müssen. Dortmunds Kader ist zu Großteilen derselbe wie im Vorjahr, ein allzu großflächiger Umbruch blieb wenig überraschend aus.
GettyBVB besitzt weiter Baustellen innerhalb des Kaders
Nun darf erinnert werden: Dieser im Kern selbe Kader spielte über 80 Prozent des Vorjahrs schlecht. Dortmund flog in der 2. Runde des DFB-Pokals raus, war im März Elfter und brauchte drei Trainer, um am letzten Spieltag mit Platz vier doch noch das Minimalziel Champions-League-Qualifikation zu erreichen.
Der Endspurt mit sieben Siegen aus acht Spielen war gewiss grandios. Hätte die zu überholende Konkurrenz - die zu 80 Prozent der Saison tolle Leistungen ablieferte - aber zeitgleich nicht derart geschwächelt, wäre er nichts wert gewesen.
Dass also dem Gros der Spieler, die das lange, lange Zeit sehr biedere Vorjahr zu verantworten haben, weiter vertraut wird, belegt zugleich die immer noch vorhandenen Baustellen des Kaders. Profis wie Julian Brandt, Marcel Sabitzer, Niklas Süle, auch Kapitän Emre Can oder Dauer-Reservist Salih Özcan (bis auf Sabitzer alle mit Vertragsende 2026) verdienen teils seit Jahren sehr gutes Geld, zahlen ihre üppig dotierten Verträge aber nicht mit konstanten Leistungen zurück. Und sind entsprechend schwer vermittelbar sowie nicht wechselwillig.
Getty Images SportKein BVB-Trainer seit 2015 beendete seine dritte Saison
Der BVB sitzt entsprechend auf Altlasten, denen zwangsläufig der Rücken gestärkt werden muss. Doch man hat jetzt auch einen Kader gebaut, der vor allem in das Konzept von Trainer Niko Kovac passt. An sich ist das selbstredend kein verwerflicher Vorgang. Angesichts der Tatsache, dass seit dem Ende der Ära Jürgen Klopp im Jahr 2015 kein Dortmunder Trainer seine dritte Saison beendet hat, jedoch auch riskant.
"Wir haben gemeinsam entschieden, in der Formation mit Dreierkette zu bleiben, denn wir waren damit sehr erfolgreich", sagte Kehl. Die Statistik stützt ihn: Kovac steht in seinen bislang 28 Pflichtspielen an der Seitenlinie der Borussia bei 17 Siegen (fünf Remis, sechs Niederlagen), die Mannschaft schoss dabei 60 Tore, sein Punkteschnitt beträgt 2,0.
Doch seit Kovac Eintracht Frankfurt 2018 mit dem Pokalsieg verlassen hat, schaffte er es auf seinen anschließenden drei Stationen nirgends, die zwei Jahre Amtszeit zu erreichen. Wieso es ihm ausgerechnet beim BVB gelingen sollte, wo man zuletzt sogar bis 2027 mit ihm verlängerte, bleibt offen.
BVB: Alle Zugänge der Sommer-Transferphase
Spieler abgebender Klub Ablöse in Euro Jobe Bellingham AFC Sunderland 30,5 Millionen Fabio Silva Wolverhampton Wanderers 22,5 Millionen Yan Couto Manchester City 20 Millionen (zuvor ausgeliehen) Carney Chukwuemeka FC Chelsea 20 Millionen Daniel Svensson FC Nordsjaelland 6,5 Millionen (zuvor ausgeliehen) Patrick Drewes VfL Bochum 200.000 Aaron Anselmino FC Chelsea Leihe
Getty ImagesDer BVB hat wieder einen Trainer-Kader
Zumal Kovacs Fußball bei Bayern München, der AS Monaco und dem VfL Wolfsburg nach anfänglich überzeugenden Darbietungen recht zügig wieder an Wirkung verlor - von der Attraktivität des Ballvortrags ganz zu schweigen. Auch in Dortmund ist sein Fußball bislang alles andere als ansehnlich.
"Die Leute wollen sehen, dass wir uns zerreißen, kämpfen und malochen", sagte zuletzt nicht etwa Kovac der Bild, sondern Lars Ricken. Der Sport-Geschäftsführer betonte zudem, dass die Borussia "auf der anderen Seite aber auch für Spektakel sorgen" soll. "Der BVB muss Freude machen, dann werden wir gleichzeitig auch sportlich erfolgreich sein", sagte er.
Das sind doch recht vage und platte Ausführungen über den Spielstil, den man bei den Westfalen verkörpern möchte. Sie sind auch Ausdruck einer schon seit langer Zeit fehlenden, übergeordneten Idee und Philosophie, die der Verein vorgibt und nach der er Übungsleiter wie Spieler aussucht. Dortmund hat nun jedoch wieder einen Trainer-Kader, in dem beispielsweise offensive Flügelspieler wie einst Jadon Sancho oder Gittens, die Eins-gegen-eins-Situationen auflösen können, abgeschafft wurden.
GettySebastian Kehl erstaunt mit Verweis auf zwei Spieler
Doch solche Tempo-Dribbler sind im Spitzenfußball oft diejenigen, die den Unterschied ausmachen - gerade für Teams wie den BVB, der sich im Großteil der Partien tief stehenden Defensivreihen gegenüber sieht, die mit Geschwindigkeit, Tiefgang und Individualität aufgebrochen werden müssen. Just damit hatte Kovacs Team in den bisherigen drei Begegnungen der laufenden Spielzeit erhebliche Probleme.
Dass Kehl in diesem Zuge auf zwei 19-jährige Spieler verweist, die zusammen auf bislang 33 Pflichtspiele und eine durchschnittliche Spieldauer von 23 Minuten kommen, erstaunt. "Wir haben Julien Duranville, den man nicht vergessen sollte. Wir haben Cole Campbell, der einen richtigen Schritt nach vorne gemacht haben", sagte er bei Sky.
Allerdings: Unter Kovac bekamen bisher beide, wenngleich Duranville derzeit verletzt fehlt, kaum eine echte Chance. Der Coach wäre gut beraten, fußballerisch starke Akteure mit Entwicklungspotenzial wie Maximilian Beier, Yan Couto oder einen fitten Carney Chukwuemeka dauerhaft spielen zu lassen und ihnen das Vertrauen auszusprechen. So, wie er das auch bei Süle, Sabitzer und Brandt macht, obwohl dieses Trio allzu oft enttäuschte.
Getty Images SportBVB-Kader: Polyvalenz statt echte Spezialisten
Der Fokus des BVB im Mittelfeld lag darauf, das Zentrum zu stärken. Das ist mit gleich sieben polyvalenten Spielern für drei Positionen quantitativ auch gelungen. Doch dem Kader gehen weiter echte Spezialisten auf ihren Positionen ab. Ein strategischer Sechser etwa, der zweikampf-, aber auch spielstark ist. Kovac drängte zuletzt Sabitzer in diese Rolle, am vergangenen Wochenende stellte er ihm Jobe Bellingham zur Seite.
Auch ein reiner Zehner fehlt weiterhin, der Kreativität wie Torgefahr ausstrahlt und ein gutes Rückzugsverhalten besitzt. Inwiefern das der hoch veranlagte Chukwuemeka nach seiner verletzungsgeplagten Vorgeschichte sein kann, bleibt fraglich. Stattdessen holte man in Fabio Silva einen zweiten Stürmer für fast 25 Millionen Euro, der angeschlagen in Dortmund ankam und wie die anderen Neueinkäufe Chukwuemeka oder der bereits von Kehl als "Unterschiedsspieler" angepriesene Bellingham sein volles Leistungspotenzial erst noch beweisen muss.
Ob dies demnach Spieler sind, "die uns sportlich und wirtschaftlich eine Perspektive bieten" (Kehl), ist längst nicht abzusehen. Zumal die Borussia in die drei genannten eben auch über 70 Millionen Euro investierte.
BVB: Alle Abgänge der Sommer-Transferphase
Spieler aufnehmender Klub Ablöse in Euro Jamie Gittens FC Chelsea 56 Millionen Soumaila Coulibaly RC Straßburg 7,5 Millionen (zuvor verliehen) Youssoufa Moukoko FC Kopenhagen 5 Millionen (zuvor verliehen) Giovanni Reyna Borussia Mönchengladbach 4 Millionen Kjell Wätjen VfL Bochum Leihe (Gebühr: 250.000) Marcel Lotka Fortuna Düsseldorf ablösefrei Sebastien Haller FC Utrecht ablösefrei (zuvor verliehen) Diant Ramaj 1.FC Heidenheim Leihe
Getty ImagesWarum fokussiert sich der BVB so sehr auf den englischen Markt?
Das hat laut Kehl vor allem einen Grund: "Wir haben nun mit Klubs agiert, die nicht unbedingt aufs Geld angewiesen sind. Das verändert die Verhandlungsposition extrem. Wir mussten also Geduld haben, um handeln zu können."
Eine neue Erkenntnis ist dies allerdings nicht, denn es handelte sich dabei ausschließlich um Vereine aus England. Dass die Premier-League-Klubs wirtschaftlich einem BVB entrückt sind, überrascht niemanden. Dennoch holte Dortmund fünf seiner sieben Neuzugänge von der Insel. Auch in den Vorjahren bediente man sich bei den Transfers von Pascal Groß und den Leihspielern Ian Maatsen sowie Jadon Sancho von dort.
Fragt sich nur: Wieso fokussieren sich die Verantwortlichen so sehr auf diesen Markt, wenn er doch die Verhandlungsposition erschwert und man Geduld mitbringen muss? Besser wäre es vielmehr, man könnte aus einer Position der Stärke heraus handeln und den Kader früh beisammen haben. Nun muss Dortmund wieder Spieler im laufenden Betrieb integrieren, fit machen, an alles Neue gewöhnen.
gettyBeispiel Daniel Svensson: BVB-Bosse brauchen wieder mehr Mut
Vor einigen Jahren noch bewies der BVB häufiger ein gutes Händchen bei der Akquise von entwicklungsfähigen Talenten, etwa aus Frankreich. Zuletzt tat man das nur durch den "Notkauf" von Daniel Svensson, der für insgesamt etwas mehr als acht Millionen Euro aus Dänemark kam - und auf Anhieb sein Potenzial andeutete. In 20 von Kovacs 28 Spielen stand der willige Schwede prompt in der Startelf.
Wenn also der Markt derart überhitzt ist, wie es die Dortmunder Verantwortlichen häufig genug betonten, würde der Blick über den Tellerrand hinaus gewiss nicht schaden. Dem verwehrt sich die Scoutingabteilung des BVB sicherlich nicht, doch den Bossen würde man wieder deutlich mehr Mut bei den Entscheidungen wünschen.
So bleibt unter dem Strich: Dortmund hat seinen zuletzt stark in der Kritik stehenden Kader diesmal ohne die große Uneinigkeit der vergangenen zwei Sommer-Transferperioden (Causa Edson Alvarez, Causa Rayan Cherki, Causa Sven Mislintat) punktuell verändert. Ob man ihn auch wirklich verstärkt hat, wird nach zwei schwachen Spielzeiten in Serie vor allem an der Platzierung in der Bundesliga abzulesen sein.
BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund
Termin Spiel 13. September, 15.30 Uhr 1. FC Heidenheim - BVB (Bundesliga) 16. September, 21 Uhr Juventus - BVB (Champions League) 21. September, 19.30 Uhr BVB - VfL Wolfsburg (Bundesliga)

