"Das ist genau das, was wir brauchen": Was Harry Kane beim FC Bayern von Robert Lewandowski unterscheidet - und was ihm noch fehlt

Gewohnt wortgewandt hatte der damalige Vorstandsvorsitzende natürlich einen Konter parat: "Ich sagte: 'Das ist doch schön und der Beweis, dass wir den richtigen Spieler verpflichtet haben.' Er wollte unbedingt die Champions League gewinnen. Ich sagte ihm: 'Die kann man auch mit Bayern München gewinnen!" Rummenigge behielt recht, vermutlich hätte er die Geschichte sonst auch gar nicht erzählt. 2020 holte Lewandowski mit den Münchnern den langersehnten Henkelpott.

Tatsächlich wurde Lewandowskis Zeit beim FC Bayern von seinen steten Abwanderungs-Bestrebungen begleitet. Bereits eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft in München, im Februar 2016, bestätigte sein damaliger Berater Cezary Kucharski Interesse von Real Madrid. 2018 sagte Lewandowskis neuer Agent, der berüchtigte Pini Zahavi, dass sein Klient "eine neue Herausforderung" brauche. 

2022 wurden die Münchner schließlich schwach, auch mit Blick auf Lewandowskis 2023 auslaufenden Vertrag. Begleitet von Störgeräuschen wechselte der Pole für 45 Millionen Euro zum FC Barcelona, wo er aktuell nur noch Reservist ist. Ein etwas unrühmliches, gewissermaßen aber auch passendes Ende seiner höchst erfolgreichen Zeit beim FC Bayern.

Hier wäre auch schon der erste Unterschied zu seinem Torjäger-Nachfolger Harry Kane. Anders als einst Lewandowski kokettierte der 32-jährige Engländer bis dato noch nie mit einem Abgang vom FC Bayern. Ganz im Gegenteil: Er muss sich sogar immer wieder für seinen Wechsel nach München rechtfertigen. Und zwar vor der englischen Experten-Riege, all den Michael Owens und Gary Nevilles dieser Insel. Tatsächlich macht es durchaus den Eindruck, als würde sich Kane bereits jetzt mehr mit dem FC Bayern identifizieren, als es Lewandowski während seiner acht Jahre je getan hat.

Lewandowski gilt als Eigenbrötler, bisweilen gar als streitbarer Egoist. Die Wechsel-Gesuche in München, der Zwist mit seinem Ex-Berater Kucharski, die Dauer-Querelen in der polnischen Nationalmannschaft, die öffentlich geäußerte Trauer, keinen Ballon d'Or gewonnen zu haben, eine von ihm verfasste Bachelorarbeit mit dem Titel: "RL 9. Der Weg zum Ruhm" und so weiter. Diese Verhaltensmuster spiegelten sich auch auf dem Platz wider, wo er fast so leidenschaftlich wie Titel auch persönliche Bestmarken jagte - etwa Gerd Müllers letztlich 2021 gebrochenen Bundesliga-Torrekord.

Fragt man jemanden vom FC Bayern derweil nach Kane, dann geht es meistens relativ bald um dessen Teamfähigkeit. "Mich beeindruckt an Harry vor allem seine mannschaftsdienliche Spielweise", sagte Rummenigge mal. "Er geht jeden Meter, er ist sich für keinen Laufweg zu schade. Und das zieht auch die anderen mit."

Ein ähnlicher Tenor herrschte auch nach seinem neuesten Dreierpack am Samstag beim 4:1 gegen die TSG Hoffenheim. Sportvorstand Max Eberl huldigte Kane als "wahren Leder". Jonathan Tah habe nach eigener Auskunft noch "mit keinem vergleichbaren Stürmer" zusammengespielt. "Wahnsinn, was er arbeitet. Wie viel er nach hinten arbeitet, wie viel er mit seinem Mann mitläuft. Obwohl er Stürmer ist, ist er manchmal auf einmal Linksverteidiger. Das ist genau das, was wir brauchen. Und obendrauf macht er Tore."

Ach ja, Tore. Die sind bei Mittelstürmern letztlich die Grundvoraussetzung, um über all diese weicheren Faktoren überhaupt debattieren zu können. Kane hat in 8.492 Einsatzminuten für den FC Bayern bis dato 98 Tore erzielt, eines pro 87 Minuten. Lewandowski kommt auf 344 Tore in 31.729 Minuten. Bei ihm klingelte es alle 92 Minuten. Der verstorbene Münchner Jahrhundert-Stürmer Gerd Müller liegt mit 97 Minuten pro Tor übrigens hinter beiden. 

Die Tor-Bilanz spricht knapp für Kane, deutlicher sieht es bei den Assists aus. Kane legt beim FC Bayern alle 293 Minuten ein Tor auf, Lewandowski brauchte im Schnitt 435 Minuten. Das deckt sich auch mit den Spieleindrücken. Kane lässt sich regelmäßig ins Mittelfeld fallen und setzt seine Kollegen dann gerne mit öffnenden Pässen in Szene. Gewissermaßen ist er Spielmacher und Torjäger in Personalunion.

Zum Charakter- und blanken Statistik-Vergleich zwischen den beiden abschließend noch ein paar grundsätzliche Faktoren, die aktuell allesamt klar für Lewandowski sprechen. Lewandowski kam 2014 ablösefrei von Borussia Dortmund nach München. Aus Sicht des FC Bayern der wesentlich bessere Deal im Vergleich zu den 100 Millionen Euro, die die Münchner 2023 für Kane an Tottenham Hotspur überwiesen haben. 

Lewandowski hat seine unglaubliche Quote anschließend acht Jahre lang hochgehalten, bei Kane waren es bisher erst etwas mehr als zwei - und auf Lewandowskis Zeitspanne wird er auch nicht mehr kommen. Kane ist bereits 32 Jahre alt, sein aktueller Vertrag läuft 2027 aus. Ebenfalls nicht erreichen wird er Lewandowskis Anzahl an Titeln. Bisher hält Kane bei lediglich einer Meisterschale. Lewandowski gewann mit dem FC Bayern achtmal die Bundesliga, dreimal den DFB-Pokal und 2020 die Champions League. 

Um im historischen Torjäger-Legenden-Ranking des FC Bayern einen Stellenwert wie Lewandowski oder auch Gerd Müller zu erreichen, braucht Kane wohl oder übel einen Henkelpott.