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"Dann werden wir dich töten!" Der skandalöse "Entführungs"-Transfer eines Top-Talents rückt den FC Barcelona erneut in ein Zwielicht

Noch hat Andres Villas-Boas einen Funken Resthoffnung, dass am Ende für den FC Porto alles gut wird. Ein kleines Happy End in einem völlig absurden und skandalösen Transfer-Fall, den sich ein Autor von Kriminal-Romanen kaum besser hätte ausdenken können.

Villas-Boas hat jedoch ein großes Problem. Er setzt seine Hoffnungen in den FC Barcelona. Jenen Klub, der aufgrund seiner finanziellen Schieflage zuweilen skrupellos mit eigenen Spielern umzugehen pflegt - das zeigen die Mobbing-Würfe bei Frenkie de Jong oder jüngst der Fall Marc-Andre ter Stegen. Jenen Klub, der dubiose Tricks vollführt, um die Financial-Fairplay-Vorgaben der LaLiga bei der Registrierung von Spielern zu erfüllen.

  • Eine Kostprobe: Barca veräußerte zuletzt VIP-Logen im neuen Stadion, die es aktuell noch nicht gibt, für satte 100 Millionen Euro, um die Bilanzen kurzfristig so aufzupolieren, damit ein gewisser Dani Olmo auch im Jahr 2025 für die Katalanen auflaufen darf. Um jenen Olmo geht es auch in dieser unglaublichen Geschichte. oder vielmehr um den Mann, der den 27-Jährigen als Berater vertritt und ihn im Sommer 2024 von RB Leipzig zu Barca lotste. Die Rede ist von Andy Bara.

    Wie Recherchen des kicker und auch ein ausführlicher Bericht von 11Freunde offenlegen, ist Bara gemeinsam mit einem gewissen Wilson Sardinha dafür verantwortlich, dass Villas-Boas und dem FC Porto eines der wohl verheißungsvollsten Talente in Fußball-Europa ohne Ausbildungsentschädigung abhanden kam und zwischenzeitlich sogar in der vierten kroatischen Liga anheuern sollte. All das mutmaßlich, um dicke Provisionen zu kassieren und auf Kosten eines 16-Jährigen das ganz große Geld zu machen. Aber von vorne.

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    Cardoso Varela beim FC Porto: "Sie haben den jungen Mann entführt!"

    Im Sommer 2024 stehen Cardoso Varela plötzlich alle Türen offen. Der Weg zu einem europäischen Top-Klub scheint nach einer bärenstarken U17-EM, bei der er mit Portugal erst im Finale verlor, vorgezeichnet. Vereine wie Juventus Turin, Manchester City, Paris Saint-Germain, Real Madrid, der FC Bayern, Borussia Dortmund und natürlich auch der FC Barcelona sollen den damals erst 15-Jährigen mindestens mal auf ihre Beobachtungsliste gesetzt haben.

    Auch deshalb veranschlagt der FC Porto im Juni mit Varela und dessen Vertretern, zu denen sein angeblicher Onkel Wilson Sardinha zählt, Gespräche über ein neues Arbeitspapier. Varelas Fördervertrag über zwei Jahre war im Begriff auszulaufen. Zwar habe dieser laut kicker-Angaben eine brisante Vorvertrags-Klausel enthalten, die den Spieler auch über das Ablaufdatum hinaus an den Verein binde und im Falle eines andernorts unterschriebenen Profivertrags eine Strafzahlung in Höhe von drei Millionen Euro nach sich ziehe.

    Doch hätte diese Klausel sehr wahrscheinlich vor keinem Gericht Bestand gehabt. Auch deshalb will Porto ganz offiziell unbedingt mit Varela verlängern. Zu einem Treffen aber kommt es nicht. Varela verschwindet nach der U17-EM spurlos, reagiert auf keinerlei Kontaktaufnahme.

    Wenig später erfährt Porto, dass Varela in Kroatien weilt und dort nicht etwa Urlaub macht, sondern kurz vor einer Vertragsunterschrift beim Viertligisten NK Dinamo Odranski stehe. Die Verwunderung war bei Villas-Boas groß, weil Varela mehrfach gegenüber Klub-Mitarbeitern betont habe, dass er gerne in Porto bleiben würde - aber "Angst" vor seinem Onkel Sardinha habe. So zumindest die Darstellung des Porto-Präsidenten im kicker.

    "Sie haben den jungen Mann entführt und ihn gezwungen, im Verborgenen zu leben, ohne dass er eine Wahl oder Entscheidung über seine Zukunft gehabt hätte", echauffierte sich der 47-Jährige.

    Sardinha, beim portugiesischen Verband laut kicker mindestens von 2018 bis 2020 als Spielervermittler offiziell registriert, soll den angolanischen Eltern Varelas die Vormundschaft für den begnadeten Offensivspieler abgekauft haben, als dieser 2022 im Alter von nur 13 Jahren (!) alleine (!) nach Portugal einwanderte.

    Nach Varelas aufsehenerregenden Auftritten bei der U17-EM sahen er und Bara die Gelegenheit gekommen, mit dem damals 15-Jährigen einen sogenannten "Brückentransfer" einzufädeln. Ein Spezialgebiet von Bara auf kroatischem Boden.

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    Andy Bara und die "Brückentransfers": Der FC Barcelona profitierte schon einmal

    Bei "Brückentransfers" verschiffen Spielervermittler ihre Klienten zu einem kleinen Amateur-Klub, um diesen anschließend mit maximalem Profit an einen kaufkräftigen Top-Klub weiterzuverkaufen. Bei etwaigen "Brückentransfers" entfällt laut FIFA-Statuten die zuweilen im Millionenbereich liegende Ausbildungsentschädigung bei einem Wechsel von Profiklub zu Profiklub. Stattdessen kassieren die Berater über ihre Verflechtungen mit den Amateurklubs groß ab, während der aufnehmende Klub ein Top-Talent bekommt und der Spieler eine große Karriere-Chance. Kurz gesagt: Alle profitieren, außer der Ausbildungsverein.

    Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist der Senegalese Mikayil Faye, der 2021 spurlos bei seinem Verein Diambars FC verschwand, und Monate später beim damaligen kroatischen Zweitligisten NK Kustosija Zagreb aufschlug - für 0 Euro.

    Nochmal ein paar Monate später wechselte er für 1,3 Millionen Euro zu - na klar - Barcelona. Die Ablöse wanderte laut 11Freunde zu großen Teilen in die Taschen von Bara. Grund dafür waren mutmaßlich die Verbindungen mit Kustosijas Vize-Präsident Karlo Primorac, der einerseits Co-Eigentümer des Klubs, andererseits aber auch Direktor der bosnischen Firma ENA sportska agencija war. Deren Teileigentümer ist Bara, dessen Agentur Niagara Sports Faye vertritt.

    Besonders für Bara und den FC Barcelona sollte sich das Geschäft mit Faye lohnen. Denn nur knapp eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft bei den Katalanen, für die er übrigens kein einziges Profispiel absolvierte, wechselte der 20 Jahre junge Innenverteidiger für kolportierte zehn Millionen Euro zu Stade Rennes. Bedeutet ein üppiges Transfer-Plus für das chronisch klamme Barca und weitere Provisionen für Bara.

    Im Fall von Faye war die Sachlage so verworren, dass die FIFA zwar nach einem Schreiben des senegalesischen Klubs eingeschaltet wurde, aber dennoch am Ende eine vorübergehende Spielerlaubnis erteilte. Der Streit versandete, Konsequenzen gab es keine. Und womöglich auch deshalb gibt es nun den Fall Varela.

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    Varelas Vater erhebt absurde Vorwürfe gegen den FC Porto: "Wir werden dich töten"

    Und in diesem spielen auch die Eltern eine entscheidende Rolle - zumindest der Vater, von dem übrigens bereits Fotos mit Barca-Sportdirektor Deco kursieren. Weil Porto Varelas Wechsel in die kroatische 4. Liga beim portugiesischen Verband und der FIFA beanstandete, verweigerte diese aufgrund der dubiosen Sachlage die Freigabe eines für den Wechsel nötigen "International Transfer Certificate". Dinamo Odranski reagierte empört und meldete sich seinerseits bei den Verbänden - beigelegt waren Schreiben des Vaters und der Mutter, in denen besonders vonseiten Varela Seniors schwerste Vorwürfe gegen den FC Porto erhoben wurden.

    "Ich bin besorgt um die anderen Spieler, die noch beim FC Porto sind, mein Sohn ist nicht das einzige Opfer von Terror und Einschüchterung", heißt es in dem Schreiben: "Ich erinnere mich noch gut daran, dass mir eines Tages Ende zwei Unbekannte auflauerten und sagten: 'Wenn dein Sohn keinen neuen Vertrag beim FC Porto unterschreibt, wirst du einfach irgendwo verschwinden und wir werden dich töten.'"

    Handelt es sich also bei dem ganzen Drama nur um einen fürsorglichen Vater, der seinen Sohn vor den grauenhaften Machenschaften eines gierigen Profiklubs schützen wollte? Eher nicht.

    Zum einen soll der Vater in Varelas Leben seit Jahren keinerlei Rolle mehr spielen. Trotzdem war er ein zentraler Baustein für die Legitimität des Transfers. Denn die FIFA erlaubt Wechsel von Minderjährigen unter anderem nur dann, wenn die Eltern aus nicht fußballbezogenen Gründen verziehen. Bara soll Varelas Vater in der Folge einen Job in einer kroatischen Papierfabrik in einem Vorort von Zagreb besorgt haben. Diese gehört einem engen Vertrauten, nämlich Branimir Majdak.

    Zum anderen beteuerte Varelas Mutter, nie einem Brief, in dem sie ursprünglich von vielen Tränen ihres Sohnes und einer Isolierung bei Porto berichtete, zugestimmt oder gar geschrieben zu haben. Das sollen laut kicker Chat-Protokolle mit einem Porto-Mitarbeiter belegen.

    "Sie hat mehrfach den Wunsch geäußert, dass der Junge in Porto bleibt, und sie dankbar ist für das, was wir bisher für ihn getan haben", berichtete Villas-Boas dem kicker: "Varela erzählte uns, dass er seine Mutter seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Leider sieht es so aus, als habe sie Angst, den Jungen und Herrn Sardinha zur Vernunft zu bringen."

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    Cardoso Varela wechselt zu Dinamo Zagreb: Ein Transfer mit Beigeschmack - aber im Rahmen der Regeln

    Auch Varela selbst erweckte nicht unbedingt den Eindruck, dass der FC Porto ihm in der Vergangenheit Böses angetan habe. Im Gegenteil. Als er mit 16 Jahren Anfang des Jahres offiziell und im Einklang mit den FIFA-Statuten zu Dinamo Zagreb wechselte, bedachte er den portugiesischen Klub mit blumigen Worten. "Ich werde diesem wunderbaren Verein immer dankbar sein und danke euch für alles", schrieb er auf Instagram.

    Die FIFA erteilte Varelas Wechsel zu Zagreb deshalb die Freigabe, weil dieser mittlerweile das 16. Lebensjahr erreicht hatte und Zagreb als großer Klub infrastrukturell eine gute fußballerische und schulische Ausbildung garantieren kann. Auch solche Faktoren spielen bei Minderjährigen-Transfers eine Rolle. Ein bitterer Beigeschmack bleibt dennoch - besonders für den FC Porto.

    Und das Ganze könnte tatsächlich noch ein Nachspiel haben. "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Spieler zurückzuholen und die Verantwortlichen für dieses kriminelle Verhalten vor die Zivil- und Sportgerichtsbarkeit zu bringen", kündigte Villas-Boas an.

    Sein Problem ist nur: Er setzt dabei auf die Mithilfe des FC Barcelona, der Varela dem Vernehmen nach 2026 verpflichten wird. Dafür sollen sich Bara und Sardinha, der aktuell laut kicker "wie vom Erdboden verschwunden" sei, übrigens eine Weiterverkaufsbeteiligung in Höhe von 40 Prozent gesichert haben.

    Er sei "überzeugt, dass Barca "sich voll und ganz gegen undurchsichtige Praktiken im Fußball engagiert und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen wird, damit sich dieser Fall nicht in die Reihe trauriger Beispiele für die Aushöhlung der Sportintegrität einreiht".

    Die Vergangenheit aber lehrt, dass der FC Barcelona lieber mit der anderen Seite paktiert.