Beim FC Bayern wurde er "durch eine Dreckschleuder gezogen": Ex-Münchner winkt die große Genugtuung

Wer das Duell nicht gesehen hat, ist erstens selber schuld. Und dürfte sich zweitens mit Blick auf zwei Fakten vergewissern, dass er etwas ganz Spezielles verpasst hat. Fakt eins: das Endergebnis von 4:3. Fakt zwei: Zum Spieler des Spiels wurde ein Keeper gewählt. Eine höchst ungewöhnliche Kombination.

Sieben Tore bekamen die Fans im bebenden Mailänder San Siro zu sehen. Der alles überragende Spieler war aber Inters Torwart, der mindestens zwei weitere sichere Tore - die Inters Ausscheiden bedeutet hätten - verhinderte. Der alles überragende Spieler war Yann Sommer.

Beim Stand von 2:1 rettete der 36-Jährige aus kurzer Distanz gegen den freistehenden Eric Garcia. Beim Stand von 4:3 drehte er einen eigentlich perfekten Schuss von Lamine Yamal um den Pfosten, "besonders" nannte Sommer diese Parade anschließend selbst. Ganz tief in der Verlängerung war das Barças letzte große Chance auf den Ausgleich und somit das Elfmeterschießen. Beim Abpfiff sank Yamal ungläubig zu Boden - und Sommer kamen die Freudentränen.

"Grazie mille dürfen alle einem Mann sagen: Yann Sommer", schrieb der Blick aus seiner Schweizer Heimat. Verdientermaßen werden seine Paraden in den internationalen Zeitungen und in den sozialen Medien abgefeiert. TV-Experte Matthias Sammer pries Sommer zudem für seine fußballerischen Qualitäten: "Mit dem Fuß war das grandios. Das hat Weltniveau, muss man einfach sagen."

Während Sommer die Trophäe für den Spieler des Spiels in den Händen hielt, sagte er: "Ich könnte nicht glücklicher sein. Unglaublich! Ich bin 36 Jahre alt, nicht mehr der Jüngste - und ich darf mit dieser Mannschaft ein Champions-League-Finale spielen."

Dass dieses Finale in der Münchner Allianz Arena steigen wird, ist ein klarer Fall von ausgerechnet, von einer dieser Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Sommer kann seine große Karriere nun ausgerechnet dort krönen, wo er seine schwierigste Zeit erlebte. Es wäre die Vollendung seiner großen Genugtuungs-Tour, nachdem er mit Inter den FC Bayern bereits im Viertelfinale ausgeschaltet und somit den großen Traum seines Ex-Klubs vom zweiten Finale dahoam zerstört hat.

Nach seinem internationalen Durchbruch beim FC Basel etablierte sich Sommer zwischen 2014 und 2023 bei Borussia Mönchengladbach als einer der besten und konstantesten Keeper der Bundesliga. Auch dank Sommer avancierte Gladbach in dieser Zeit zum Angstgegner des FC Bayern. Als sich deren ewiger Stammkeeper Manuel Neuer im Dezember 2022 beim Skifahren das Bein brach, brauchte es für die Rückrunde schnellen Ersatz. Die Wahl fiel auf Sommer, neun Millionen Euro zahlten die Münchner damals.

Die Gladbacher Ruhe gewöhnt, landete Sommer unverhofft in der wildesten Phase des wildesten Klubs. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurde Torwarttrainer Toni Tapalovic entlassen - mittlerweile übrigens Hansi Flicks Co-Trainer bei Barça, noch so eine Pointe dieses Halbfinals.

Der FC Bayern schlitterte in die Krise, bald musste auch Trainer Julian Nagelsmann gehen. Unter Nachfolger Thomas Tuchel retteten die Münchner mit mehr Glück als Verstand am letzten Spieltag den Meistertitel. Überschattet wurde die Freude aber von der gleichzeitigen Entlassung der beiden Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic.

Sommer leistete sich im Laufe der Rückrunde zwar keine großen Patzer, wuchs aber auch nicht über sich hinaus. Spötter würden sagen: Obwohl das bei einer Körpergröße von 1,83 Meter ja eigentlich gar nicht so schwer sein kann. Womit wir schon beim Thema wären: Während seiner Zeit in München wurde Sommer permanent auf seine für einen Keeper geringe Körpergröße reduziert und mit dem zehn Zentimeter größeren Neuer verglichen. Ja, ja, der Manu hätte den sicher gehalten!

Tuchel flüchtete sich zunehmend in Sarkasmus, bei einem weiteren vermeintlich vermeidbaren Gegentor analysierte er spöttisch: "Wenn Yann Sommer 30 Zentimeter größer wäre und vorher schon in der Ecke gestanden hätte, hätte er den Ball gehalten." Roland Virkus, Sportdirektor von Sommers Ex-Klub Gladbach, nannte den Umgang mit Sommer "respektlos".

Zur neuen Saison kehrte Neuer zurück und Sommer zog für sieben Millionen Euro zu Inter weiter. "Die Bayern-Zeit ging nicht spurlos an ihm vorbei", bekannte der Schweizer Nationaltrainer Murat Yakin kurz darauf bei Sport1. "Yann wurde durch eine Dreckschleuder gezogen. Das hatte er nicht verdient. Er wurde zu einem Opfer eines Mechanismus, der sich nur bei Bayern abspielt. Als er zur Nationalmannschaft kam, habe ich natürlich mit ihm gesprochen. Das war nicht der Yann, wie ich ihn kenne. So spurlos ging das nicht an ihm vorbei. Die ganze Kritik hat sehr an ihm genagt."

Langfristig scheinen diese speziellen Erfahrungen Sommer aber gestärkt zu haben, er zog für sich die richtigen Schlüsse. "Es war eine chaotische und wilde Zeit", blickte Sommer später zurück. "Die ganze Kritik an der Mannschaft und mir persönlich, mit dem Druck umzugehen, das hat mich extrem weitergebracht."

Bei Inter etablierte sich Sommer als Nachfolger des zu Manchester United abgewanderten - und dort seitdem reichlich kritisieren - André Onana sofort als unumstrittener Stammkeeper. In seiner ersten Saison holte er mit den Mailändern den Meistertitel, nun gibt es Chancen auf die Titelverteidigung und den großen Triumph in der Champions League. In der Serie A liegt Inter drei Spieltage vor Ende drei Punkte hinter Spitzenreiter SSC Neapel. In der Champions League geht es in München am 31. Mai gegen den Sieger des anderen Halbfinals zwischen Paris Saint-Germain und dem FC Arsenal.