Sebastián Driussi - Leandro Paredes ZenitGetty

Zenit St. Petersburg: Fünf Gauchos müsst ihr sein


HINTERGRUND

Kurz vor dem Saisonstart bekam die Führungsriege von Zenit St. Petersburg eine ungewöhnliche Bewerbung. Eine junge Frau aus Argentinien hatte ein Foto von sich im Trikot des russischen Klubs gesendet und dazu folgende Zeilen geschrieben: "Ich bin eine Argentinierin und trage ein Zenit-Jersey, würdet ihr mich verpflichten?"

Diese sonderbare Anfrage, die sicherlich nicht wirklich ernst gemeint war, hatte einen besonderen Hintergrund: die Transferaktivitäten Zenits im diesem Sommer. In der letzten Wechselperiode verpflichteten die Petersburger nämlich gleich fünf Argentinier. Alle jünger als 25 Jahre und mit reichlich Potential.

Zenits neue Gauchos

Als erstes gab der Klub die Verpflichtung von Leandro Paredes bekannt. Der zentrale Mittelfeldspieler kam für 23 Millionen Euro vom AS Rom. In Italien hatte sich der 23-Jährige in der letzten Saison gut entwickelt, debütierte auch in der Nationalmannschaft. Rom hätte Paredes gerne behalten, war wegen des Financial Fair Plays aber auf zusätzliche Einnahmen angewiesen, der Argentinier wiederum fürchtete, bei der großen Konkurrenz im zentralen Mittelfeld (Kevin Strootman, Radja Nainggolan, Daniele De Rossi) nicht auf genügend Einsatzminuten zu kommen. In Verbindung gebracht wurde er sogar mit dem FC Bayern, schlussendlich holten die Münchner aber Corentin Tolisso, während Paredes nach Russland ging.

Gaucho Nummer zwei war Angreifer Sebastian Driussi. Der 21-Jährige ist eines der größten Sturmtalente Argentiniens, war in der vergangenen Spielzeit mit 17 Treffern für River Plate zweitbester Torschütze der heimischen Primera Division. Ihn bekommen zu haben, auch noch für einen Spottpreis von 15 Millionen Euro, ist für Zenit ein echter Coup.

Eine Million mehr kostete Emmanuel Mammana. Der erst 21-jährige Innenverteidiger kam von Olympique Lyon und gilt als zukünftige Stammkraft im Abwehrzentrum der Albiceleste. Dreimal trug Mammana bislang das Nationaltrikot. Bei Lyon, wo er insgesamt nur ein Jahr verbrachte, ließ er sein großes Talent aufblitzen, verpasste wegen einer hartnäckigen Verletzung jedoch die Hälfte der letzten Saison.

Sebastian Driussi Zenit 11072017Twitter

Nicht allzu viele Partien absolvierte auch Matias Kranevitter, Zenits vierter argentinischer Neuzugang, in der vergangenen Spielzeit. Beim FC Sevilla konnte sich der defensive Mittelfeldspieler nicht als Stammspieler durchsetzen. Zuvor war er bereits bei Atletico Madrid unter seinem Landsmann Diego Simeone nur Bankwärmer. Dabei galt Kranevitter jahrelang als eines der größten argentinischen Talente, wurde in der Heimat bereits in jungen Jahren als Erbe von Javier Mascherano gefeiert. Doch seit seinem Wechsel nach Europa, stagniert seine Entwicklung. In Russland soll es nun wieder aufwärts gehen. Zenit kostete er nur acht Millionen Euro.

Bei schon vier Landsleuten im Kader war es für die Verantwortlichen nicht mehr ganz so schwer, auch noch Emiliano Rigoni von einem Wechsel in den Osten zu überzeugen. Der Flügelspieler kam für neun Millionen Euro von Independiente und hat wie Driussi eine starke letzte Spielzeit in der Heimat hinter sich.

Entscheidung pro Russland

Was führt all diese talentierten Kicker in den fernen Osten? Es wäre wohl naiv zu glauben, dass das Sportliche der ausschlaggebende Grund für einen Wechsel in die russische Premier Liga sei. Die Entscheidung pro Zenit ist vor allem - wie kann es im heutigen Fußballgeschäft auch anders sein – dem lieben Geld geschuldet. Zenit wird vom milliardenschweren Konzern Gazprom gesponsert. Sommer für Sommer wird enorm viel Geld in die Mannschaft gepumpt. In den vergangenen Jahren setzten sich die Russen bei Spielern wie Bruno Alves, Hulk, Axel Witsel oder Ezequiel Garay gegen europäische Spitzenklubs auf dem Transfermarkt durch. Kicker eines solchen Kalibers und im besten Fußballalter in die russische Liga zu locken, kann nur funktionieren, wenn ordentlich mit den Geldscheinen gewedelt wird.

Sicherlich ist das fußballerische Oberhaus im größten Land der Welt keine Altherrenliga, doch so stark wie die höchsten Spielklassen in England, Spanien, Italien oder hierzulande ist sie eben auch nicht. Die Premier Liga ist eine Wohlfühloase für Fußballprofis. Der Druck ist im Vergleich zu den Top-Ligen Europas gering. Was das Privatleben der Stars angeht, wird gut und gerne ein Auge zugedrückt. Ein professioneller Lebensstil ist nicht unbedingt vonnöten. Wer in Russland Geld hat, darf sich einiges erlauben, einiges mehr als im westlichen Europa.

Aus entwicklungstechnischer Sicht hätte es für die fünf Gauchos daher mehr Sinn gemacht, sich einem kleineren Verein in einer der Top-Ligen Europas anzuschließen, dort den nächsten Schritt zu machen, bevor es dann zu einem Spitzenklub gehen könnte.

Allerdings gibt es noch einen weiteren Grund für einen Wechsel nach Russland: Freundschaft. Mammana, Kranevitter und Driussi kommen alle aus der Jugendabteilung des argentinischen Rekordmeisters und Traditionsklubs River Plate, spielten jahrelang zusammen. Leandro Paredes kennt Driussi wiederum noch aus Kindertagen. "Unsere Freundschaft begann, als wir noch klein waren. Wir wohnten im selben Block und spielten zusammen Fußball. Irgendwann wechselte ich schließlich zu den Boca Juniors und er zu River Plate", erzählt Paredes. Nun sind beide wieder vereint.

Sebastian Driussi Leandro Paredes Zenit 11072017

Entscheidung pro Argentinier

Dass die beiden nun ausgerechnet in Russland wieder zusammen auf dem Platz stehen, liegt an dem großen Vertrauen, das Zenit argentinischen Spielern entgegenbringt. "In Sankt Petersburg vertritt man die Meinung, dass sich argentinische Fußballer in Russland sehr schnell adaptieren. Positive Beispiele in jüngerer Vergangenheit waren Ezequiel Garay und Alejandro Dominguez, die keinerlei Anpassungsprobleme hatten", erklärt Sergey Egorov, Journalist der bekannten russischen Zeitung Sport Express .

Den Gauchos liege die Spielweise der Premier Liga. "In Argentinien ist der Fußball kampfbetonter und physischer als beispielsweise in Brasilien ist. Das Spiel findet nicht nur nahe der Strafräume sondern auch viel im Mittelfeld statt. Das ist eine Parallele zur russischen Liga", erklärt Egorov.

Doch auch der neue Trainer Roberto Mancini und Sportdirektor Konstantin Sarsania hätten bei der Entscheidung, sich auf dem Transfermarkt auf die Südamerikaner zu konzentrieren, laut Egorov eine entscheidende Rolle gespielt. Beide würden den argentinischen Markt bestens kennen. Zu allerletzt seien alle fünf Neuzugänge jung und entwicklungsfähig. Für Zenit eine Win-Win-Situation, denn würden die Gauchos wie erhofft einschlagen, könne man sie später für viel Geld weiterverkaufen.

Qualität und Ansehen gesteigert

Die ersten Wochen verliefen vielversprechend. Die Gauchos haben sich schnell ins Team eingefügt. Auch dank ihnen dominiert Zenit seit dem ersten Spieltag die Liga, ist noch ungeschlagen und holte 27 von 33 möglichen Punkten. Auch in der Europa League sind die Russen mit diesem Kader in der Lage, weit zu kommen.

Das einzige Problem: Nach den Regeln des russischen Verbandes dürfen nur sechs Legionäre gleichzeitig auf dem Feld stehen. Da Zenit mit Branislav Ivanovic, Christian Noboa und Domenico Criscito weitere ausländische Spieler im Team hat, werden die fünf Argentinier in dieser Saison wohl nur selten gemeinsam auflaufen. Zur nächsten Spielzeit ändern sich die Statuten, dann sind auch elf Ausländer pro Mannschaft erlaubt.

Doch bereits jetzt fördern die Argentinier einen gesunden Konkurrenzkampf, der bei Zenit zuletzt fehlte. Die russischen Profis im Team bekamen einen Ruck, müssen hart trainieren, um regelmäßig zu spielen. Für die Heim-WM in einem Jahr sehr wichtig. So blüht beispielsweise Stürmer Aleksandr Kokorin, der in den letzten Jahren eher durch Skandale als Tore auffiel, in der neuen Saison auf, erzielte wettbewerbsübergreifend bereits zwölf Treffer.

Eines hat Zenit jetzt schon geschafft: Durch die Verpflichtung des Quintetts haben die Russen das eigene Ansehen deutlich gesteigert und den Namen des Klubs in der Fußballwelt bekannter gemacht. Seit der neuen Saison wird in argentinischen Medien vermehrt über Zenit berichtet. Dass im fernen Südamerika einem russischen Klub Beachtung geschenkt wird, war vor kurzem noch undenkbar. Auch bei zukünftigen Transfers könnte Zenit davon profitieren. Dem selbsternannten Ziel, ein europäischer Top-Klub zu werden, ist man einen Schritt näher gekommen, weitere Bewerbungen aus Argentinien dürften folgen - wenn auch normalerer Natur.

Werbung