HINTERGRUND
"Timo Werner ist jung. Er kann irgendwann in die absolute Weltspitze kommen", erklärte Ex-Star-Angreifer Miroslav Klose jüngst im Gespräch mit dem kicker, gab allerdings gleichzeitig zu Bedenken: "Dieses Kombinieren, diese Winkel, wie er sich dabei positioniert - da fehlt es noch etwas bei ihm." Seine Aktionen seien indes noch nicht "so selbstverständlich wie bei Robert Lewandowski."
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"Weltklasse", dieses geflügelte Wort, das immer wieder als herausragendes Qualitätssiegel eines Spielers bemüht wird, begleitet den Stürmer von RB Leipzig derzeit auf Schritt und Tritt. Von der Zeitung die Welt auf ebenjenes Siegel angesprochen, sagte Werner selbst: "Um ein Weltklassespieler zu werden, muss ich wahrscheinlich in einer noch besseren Mannschaft spielen." Aussagen, die dem 22-Jährigen als deutlich kommunizierte Wechselabsicht ausgelegt wurden.
Besonders in Anbetracht der Weltmeisterschaft in Russland, wo Werner als erste Wahl auf die vakante Stelle an vorderster Front im DFB-Team gilt. Eine WM dient bekanntlich nicht ausschließlich dazu, mannschaftlich das Bestmögliche zu erreichen, sondern eben auch als Schaufenster für jeden einzelnen Spieler. "Ich würde lügen, wenn ich abstreiten würde, dass es wahrscheinlich ist, dass Vereine auf einen zukommen, wenn man bei einer WM fünf oder sechs Tore schießt", gestand der ehemalige Stuttgarter weiter und schob nach: "Natürlich kann ein Spieler auch persönliche Vorteile von einer WM haben."
Offene Worte, die sich nicht in den viel zitierten weichgespülten Einheitsbrei einreihen, den man nur allzu häufig von verheißungsvollen Profis vernimmt. Nun geht mit Ehrlichkeit in den Medien auch häufig eine zunehmende Polarisierung einher. Insbesondere in Werners Fall, hatte er doch mit einer einzigen Aktion, der Schwalbe im Spiel gegen Schalke 04 im Dezember 2016, ganz Fußball-Deutschland gegen sich aufgebracht.
Timo Werner beim DFB-Team als persona non grata
Eine in Sekundenbruchteilen getroffene Entscheidung gegen das Fair-Play löste in der Bundesrepublik einen beispiellosen Butterfly Effect aus, sorgte dafür, dass der Spieler und die Person Timo Werner einzig und allein darauf reduziert wurde. Monatelang haftete ihm die Causa an wie eine große, unsichtbare Bürde.
Das Resultat: Werner wurde nicht nur bei Bundesliga-Spielen mit seinem – außerhalb der Grenzen Leipzigs – unbeliebten Klub ausgepfiffen. Auch jedes Länderspiel mit der Nationalmannschaft im eigenen Land entwickelte sich zum Spießrutenlauf für den hochtalentierten Offensivmann. Werner war die persona non grata in den eigenen Reihen, ehe seine beiden Kollegen Mesut Özil und Ilkay Gündogan ihm mit dem bis zum Exzess ausgeschlachteten Erdogan-Foto den unfreiwilligen Gefallen taten, ihn als Feindbild Nummer eins abzulösen.

Mittlerweile scheinen die Wogen zwischen Werner und den deutschen Fans etwas geglättet. Glücklicherweise, muss man aus DFB-Sicht konstatieren, ruhen nämlich etliche Hoffnungen auf den Schultern des Youngsters. Aus sportlicher Sicht ist der gebürtige Schwabe ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Einerseits, weil er mit seiner Spielweise, die nicht an einen klassischen Stürmer, nicht an eine echte Nummer neun erinnert, zum X-Faktor avancieren könnte.
Werner: Flexibel, pfeilschnell, torgefährlich
Heißt im Detail, dass er besonders aufgrund seiner Flexibilität im Offensivspiel so unberechenbar ist, mitspielt, auf die Flügel ausweicht, um von seiner Schnelligkeit zu profitieren, Augenblicke später aber wieder sein Können als Knipser im Strafraum unter Beweis stellt. Eine Vielschichtigkeit, die im modernen, komplexen Fußball immer mehr gefragt ist. Dabei profitiert Werner vermutlich sogar von einigen Trainerentscheidungen aus Stuttgarter Zeiten, die er selbst noch einst als negativ auslegte.
"Bei Huub Stevens habe ich oft im linken Mittelfeld gespielt, fast als Linksverteidiger, bei Alexander Zorniger war ich Mittelstürmer und bei Armin Veh war ich mal Links-, mal Rechtsaußen. Ich hatte nie eine klare Heimat auf dem Platz, deshalb habe ich auch nur selten die Selbstverständlichkeit gefunden, die ich für mein Spiel brauche", monierte Werner im September 2017 gegenüber der Süddeutschen Zeitung .
Auf der anderen Seite ragte er aus einer in der abgelaufenen Saison wenig konstanten RB-Mannschaft heraus, erzielte in 45 Pflichtspielen 21 Treffer für die Roten Bullen und steuerte zehn Vorlagen bei. Nicht zuletzt deshalb beträgt sein Marktwert aktuell laut transfermarkt.de 60 Millionen Euro, womit er gemeinsam mit Mats Hummels, Thomas Müller und Marc-Andre ter Stegen hinter Toni Kroos (80 Millionen Euro) Rang zwei im internen Ranking des deutschen Kaders für die WM einnimmt.
Europäische Top-Klubs buhlen um Timo Werner
Längst wird der 13-fache Nationalspieler mit zahlreichen europäischen Schwergewichten in Verbindung gebracht. Die Gerüchte um ein Interesse von Real Madrid sind zwar abgeklungen, dafür werden namhafte Klubs wie Bayern München, Milan oder Liverpool mit Werner in Verbindung gebracht.
"Es ist egal, was ich sage, denn am nächsten Tag wird entweder geschrieben, dass ich bei Bayern spiele oder nie von RB Leipzig weg will", sagte Werner diesbezüglich bei Sport1 und ergänzte hinsichtlich seiner Zukunft: "Ich konzentriere mich auf die WM. Alles, was danach kommt, oder in den kommenden Jahren, ist für mich kein Thema."
Tatsächlich überstrahlt dieser Tage das größte Fußballturnier der Welt alles, auch jede Transfer-Spekulation. Klose, der Bundestrainer Joachim Löw als Coach mit dem Spezialgebiet Offensive assistiert, verriet auf der Pressekonferenz im Vorfeld des letzten Tests Deutschlands vor der WM gegen Saudi-Arabien in Leverkusen (19.30 im LIVE-TICKER), dass Werner definitiv von Anfang an spielen werde. Dann hat der pfeilschnelle Torjäger erneut die Chance, seine Startelf-Ambitionen zu manifestieren – und den nächsten kleinen Schritt in Richtung Weltklasse zu machen.


