Renato Sanches FC BayernGetty

Bayern Münchens Renato Sanches von Benfica-Fans gefeiert: Lissabons Homecoming King


HINTERGRUND

Kurz bevor seine Mitspieler ihn erreicht hatten, blieben Renato Sanches wenige Sekunden. Wenige Sekunden, um den Zuschauern im Estadio da Luz zu signalisieren: Ich werde hier, in meinem ehemaligen Wohnzimmer, in dem ich meine ersten und bislang besten Schritte als Fußballprofi gemacht habe, sicherlich nicht in Jubelarien ausbrechen. Beschwichtigend faltete der Portugiese seine Hände über dem Kopf zusammen, lediglich ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, ehe er unter einer anthrazitfarbenen Jubeltraube verschwand.

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Er, der während seiner kurzen Karriere schon so viel über sich ergehen lassen musste, dem die nötige Qualität mehrfach abgesprochen wurde, hatte sein erstes Pflichtspieltor für den FC Bayern erzielt. Bei seinem ersten Startelf-Einsatz in dieser Spielzeit. In der Champions League. Ausgerechnet gegen seinen Ex- und Ausbilderklub Benfica.

Dass Spieler, die im Duell mit der alten Liebe treffen, aus Respekt vor ebenjener nicht feiern, ist mittlerweile Usus. Die Reaktion der Heimfans im Anschluss an Sanches‘ Tor hingegen war alles andere als herkömmlich, gar denkwürdig: Keine Pfiffe oder andere Abneigungsbekundungen, stattdessen klatschten etliche der Benfica-Anhänger, als sich der 21-Jährige aus der Umklammerung seiner Kollegen befreit hatte, viele bedachten ihn sogar mit Standing Ovations. Ohne Zynismus, lediglich eine Ästimation aufrichtiger Natur.

Renato Sanches Benfica FC BayernGetty

Szenen, die selbst bei den Bayern-Spielern einen bleibenden Eindruck hinterließen. "Das war außergewöhnlich", sagte Leon Goretzka nach der Partie in der Mixed Zone und spekulierte, dass ihn selber am kommenden Samstag, wenn der FCB bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Schalke 04 gastiert, etwas Gegenteiliges erwarten dürfte. Joshua Kimmich schwärmte gleich nach Abpiff bei Sky: "Wahnsinn! Sowas habe ich noch nie erlebt."

Renato Sanches leitet eigenen Treffer ein

Der Treffer, den Sanches selbst mit einem kraftvollen Solo aus der eigenen Hälfte eingeleitet hatte, sowie die Huldigung des Lissaboner Publikums wirkten wie Balsam auf die geschundene Seele des EM-Helden von 2016. Er honorierte die Aktion der Fans, indem er sichtlich gerührt und freudestrahlend Beifall in Richtung der Ränge zurückspendete. Gefasster, beziehungsweise etwas eingeschüchtert vom plötzlichen Rummel um seine Person im Pressebereich, ließ der Mittelfeldmann die anwesenden Reporter nur kurz an seiner Freude teilhaben. "Ich bin überglücklich", sagte er und schob nach, ehe er sich in Richtung Mannschaftsbus aufmachte: "Ich habe zehn Jahre bei Benfica gespielt. Dass ich heute von Beginn an spielen durfte, bedeutet mir sehr viel."

Das Reden überließ er lieber seinen Teamkameraden, die nach der beeindruckenden Leistung nur Gutes über Sanches zu sagen hatten. "Es war ein tolles Spiel von ihm, er hat uns heute sehr gutgetan und viele Situation gelöst, indem er sich richtig bewegt hat", lobte beispielsweise Mats Hummels, ehe Sportdirektor Hasan Salihamidzic erleichtert vor die Mikrofone trat. Er erklärte: "Er hat sich richtig gut präsentiert, das freut mich für ihn. Der Junge hat einen guten Charakter und hat schon in der Vorbereitung gezeigt, dass er an sich arbeitet."

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Sanches, der in seinem ersten Jahr bei den Bayern als isoliert galt, zu keinem Zeitpunkt eine Bindung – weder auf, noch abseits des Platzes – zum Team hatte, hat sich offenbar auch charakterlich weiterentwickelt, scheint angekommen zu sein. "Das sieht man schon in seinem Umgang, er lernt Deutsch und hat sich super eingefügt", so Salihamidzic weiter.

Zudem griff "Brazzo" noch in die Kiste mit den Aussagen fürs Phrasenschwein und verkündete, dass Sanches "nicht nur wegen seines Tores“ ein Sonderlob verdient hätte. Tatsächlich eine Einschätzung, die berechtigt war. Immer wieder kurbelte der Lokalmatador das bayrische Offensivspiel vor allem im zweiten Durchgang an, hatte in seinen Dribblings und Pässen Mut zum Risiko und verließ den Rasen trotzdem mit einer Passquote von mehr als 93 Prozent, was an diesem Abend Spitzenwert bedeutete. 

Joshua Kimmich: "Da ziehe ich meinen Hut vor"

Obwohl das eine oder andere Eins-gegen-Eins nicht von Erfolg gekrönt war, ließ er kurz darauf den nächsten Versuch folgen, der dann wieder gelang. "Es hat nicht alles geklappt", fasste Kimmich berechtigterweise zusammen, sagte aber abschließend: "Er hat ein super Spiel gemacht. Da ziehe ich meinen Hut vor."

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Doch warum zeigt sich Sanches, der im Sommer nach einer schwachen Leihsaison von Swansea City an die Isar zurückgekehrt ist, aktuell so selbstbewusst? Die Antwort dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit Niko Kovac heißen. Der neue Trainer machte von Anfang an klar, dass er dem portugiesischen Nationalspieler eine Chance einräumen wolle, lobte Sanches während der Vorbereitung für dessen Eifer und sagte vor wenigen Tagen im Interview mit Goal und Spox über seinen Youngster: "Er ist nicht umsonst als einer der Weltbesten seines Jahrgangs tituliert worden. Man muss den jungen Spielern aber Zeit geben und darf nicht davon ausgehen, dass sie sofort funktionieren."

Niko Kovac zu Sanches: "Mach es einfach. Du bist hier zu Hause"

Kovac gewährt ihm diese Zeit. Der Coach verriet nach Abpfiff auch, was er Sanches für das Spiel an alter Wirkungsstätte mit auf den Weg gegeben hatte: "Wir haben am Mittag darüber gesprochen, dass er spielt. Ich habe ihm gesagt: Mach es einfach, Du bist hier zu Hause, hier ist Deine Familie." Eine Ansage, die Früchte trug. Sanches, der symbolträchtig den Anstoß für die Münchner ausführte, fand gleich in die Begegnung, strahlte Präsenz aus und initiierte die frühe Bayern-Führung mit einem Pass auf die Außenbahn, wo Franck Ribery David Alaba bediente, der wiederum Robert Lewandowski in der Mitte fand, ehe es erstmals im Kasten des portugiesischen Rekordmeisters klingelte.

Dass Renato dann noch selber für die Entscheidung sorgte, seine Darbietung damit letztlich krönte, mutete an wie die klassische Geschichte, die nur der Fußball schreibt. Vom viel gescholtenen Fehleinkauf zum überraschenden König in der Heimatstadt. "Wenn er so weiterspielt, ist er aus der Mannschaft nicht mehr wegzudenken“, gab Salihamidzic den Journalisten augenzwinkernd noch mit auf den Weg. Ob Sanches Konstanz in seine Leistungen bekommt, bleibt selbstredend abzuwarten. Das nächste Mal, wenn er die Kugel im Netz versenkt, wird er seiner Freude darüber sicherlich mehr Ausdruck verleihen. Mit Standing Ovations der gegnerischen Fans sollte er dann allerdings nicht unbedingt rechnen.

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