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HSV-Neuzugang Julian Pollersbeck: Ein Investment in die Zukunft


HINTERGRUND

Als der Hamburger SV am vergangenen Sonntag die Verpflichtung von Julian Pollersbeck bestätigte, fiel die Reaktion der Fangemeinde zunächst verhalten aus. Nicht wenige fragten, was ihr Klub denn mit einem neuen Torhüter wolle. Schließlich hatte sich Christian Mathenia im Endspurt der Saison zu Höchstleistungen gepusht und den HSV vor dem Abstieg bewahrt. Außerdem seien vier Millionen Euro Ablöse zuzüglich weiterer Prämien für einen Torhüter aus der zweiten Bundesliga ziemlich viel Geld. Stimmt. Aber nach dem gestrigen Elfmeterdrama der deutschen U21-Nationalmannschaft gegen England ist ein wenig klarer geworden, warum der HSV Pollersbeck unbedingt verpflichten wollte. Dank mehrerer Paraden während des Spiels und zwei gehaltener Elfmeter steht Deutschland im Finale der Europameisterschaft.

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Pollersbecks Aufstieg zur Nummer Eins des DFB-Nachwuchses kam dabei genau so unverhofft wie sein Aufstieg zur Nummer Eins beim Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern am Anfang der letzten Saison. Der 22-Jährige ist eigentlich ein Spätzünder, bekam erst nach einem Platzverweis des Stammtorhüters Andre Weis am vierten Spieltag eine Chance. Doch diese nutzte er und biss sich in der Mannschaft fest. "Julian flog lange Zeit unterm Radar, kaum einer wusste von seinem großen Talent. Bis er gegen den VfB Stuttgart sein erstes Spiel über 90 Minuten machte und mit seiner ruhigen und lässigen Art zu gefallen wusste", erzählt Frederik Paulus, Autor des Blogs "Der Betze brennt". Der freie Journalist beobachtet den Werdegang des aus Altötting in Bayern stammenden Keepers, der in Hamburg einen Vertrag bis 2021 unterschrieben hat, seit seinem Debüt sehr genau und hat in vielen Spielen seine Stärken und Schwächen analysiert.

Pollersbeck: Top-Werte in der zweiten Bundesliga

"Für den FCK ist sein Abgang ein riesiger Verlust. Er ist sehr stark auf der Linie und profitiert extrem von seiner Physis. Nur beim Rauslaufen sehe ich noch deutliches Steigerungspotenzial. Aber Julian ist sehr ehrgeizig und wird von Trainern und Mitspielern für seine Mentalität gelobt ", sagt Paulus. Das sei typisch für Schüler des Lauterer Torwarttrainers Gerry Ehrmann. Der 58-Jährige hat bereits Roman Weidenfeller, Tim Wiese oder Kevin Trapp zu Torhütern von internationalem Format geformt. Pollersbeck ist sein jüngster Schützling. "Julian ist ein Typ wie Kevin Trapp. Wenn er mit seinen Aufgaben wächst, dann wird da noch einiges von ihm kommen. Ihm steht eine große Karriere bevor", ist sich Ehrmann im Interview mit Sport1 sicher.

Julian Pollersbeck 1. FC Kaiserslautern 2. Bundesliga 19072016

Pollersbeck spielte von 2013 bis 2017 in Kaiserslautern

Dass sein rasanter Aufstieg kein Zufall ist, zeigen die Daten der abgelaufenen Zweitligasaison. Laut Opta rangiert der 1,95 Meter große Schlussmann in der Disziplin "gehaltene Bälle" mit einem Wert von 75,2 Prozent auf dem dritten Platz, dicht hinter Jasmin Fejzic von Eintracht Braunschweig (77,9 %) und Philipp Heerwagen vom FC St. Pauli (78,9%). Auffällig für einen Spieler, der seine erste Saison im Profifußball hinter sich hat: Pollersbeck patzte nur ein einziges Mal, vereitelte dafür aber sieben Großchancen und ließ insgesamt nur 27 Gegentore zu. Dem großen Druck während der schwierigen Saison in Kaiserslautern hat er trotz seiner Unerfahrenheit standgehalten. Mehr noch: In einer Mannschaft, der ein Mentalitätsproblem nachgesagt wurde, stach Pollersbeck mit seinem Charakter hervor und etablierte sich als sicherer Rückhalt für seine Kollegen. Eine Leistung, auf die mehrere Erstligisten schnell aufmerksam geworden sind. Darunter auch der HSV, der sehr früh mit der Beobachtung Pollersbecks begann und deshalb den Zuschlag erhielt.

Offenes Rennen um Stammplatz beim HSV

"Mit Julian beschäftigen wir uns seit dem Moment, als er in Kaiserslautern zum ersten Torhüter aufgestiegen ist. Er strahlt Ruhe aus, ist trotz seiner Körpergröße geschmeidig und hat dem großen Druck in Kaiserslautern standgehalten. Seine mentale Stärke ist beeindruckend. Das Gesamtpaket war absolut überzeugend", nennt HSV-Sportchef Jens Todt im Gespräch mit Goal die Gründe für seine Verpflichtung. Ob es auf Anhieb zum Stammplatz zwischen den Pfosten reichen wird, ist derweil noch nicht abzusehen. Sein Konkurrent Mathenia hat seine Bundesligatauglichkeit sowohl beim SV Darmstadt als auch beim HSV unter Beweis gestellt und steht zunächst noch eine Nasenlänge vor ihm. Dennoch soll es ein offenes Rennen werden, bestätigt Todt, der sich vom Konkurrenzkampf mehr Qualität im Kader verspricht. Es sei ein gutes Investment in die Zukunft des Klubs - darüber sind sich alle HSV-Verantwortlichen einig.

Ein Talent wie Pollersbeck, das irgendwann für zehn oder zwanzig Millionen weiterverkauft werden kann, haben die Hamburger nach zahlreichen Fehlgriffen auf dem Transfermarkt auch bitter nötig. Die immensen Verluste der vergangenen Jahre zwingen den HSV eigentlich dazu, nur noch auf Spieler zu setzen, bei denen eine Wertsteigerung absehbar ist. Andernfalls wird es für den Bundesliga-Dino keinen Ausweg aus der Abhängigkeits- und Schuldenspirale geben, die viele Vorgänge lähmt und die Beweglichkeit am Markt erschwert. Mit Pollersbeck verpflichtet der HSV jedenfalls einen begehrten, jungen Nationaltorhüter, der sich mit Konkurrenzkampf bestens auskennt. Vor der U21-Europameisterschaft in Polen lieferte er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Dresdens Marvin Schwäbe, setzte sich am Ende durch und steht nun in seinem ersten großen Finale.  Von einem Endspiel um einen Titel ist sein neuer Arbeitgeber zwar noch meilenweit entfernt. Den Kampf um den Platz im HSV-Tor hat er mit seinen Leistungen allerdings bereits jetzt eröffnet.

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