Loris Karius Real Madrid LiverpoolGetty Images

FC Liverpool nach bitterer Pleite gegen Real Madrid im Finale der Champions League: Die Steigerung von Drama ist Trauma


HINTERGRUND

Die Minuten verstrichen, gingen langsam dahin, endlose mosaikhafte Momentfetzen von jubelnden Real-Spielern, weinenden Liverpool-Profis und -Fans, fügten sich zu einem porösen Gesamtkunstwerk zusammen.

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Lange nachdem Loris Karius' Tränenkanäle nahezu leergespült waren, durfte er die letzten verbliebenen Zähren an der Schulter seines Trainers Jürgen Klopp vergießen, der ihn väterlich in die Arme schloss. Sie hatten sich gefunden, die beiden tragischen Figuren in dieser lauen, sommerlichen Nacht von Kiew.

In den 90 Minuten zuvor hatten sich teils surreal anmutende Szenen abgespielt. Erst warf Karius Madrids Angreifer Karim Benzema den Ball an den Fuß, von wo aus das Spielgerät ins Tor trudelte, kurz vor Schluss ließ er einen eigentlich harmlosen Schuss von Gareth Bale durch die Finger gleiten. Gravierende Fehler, die den schwärzesten Abend in der Karriere des Torhüters besiegelten – und den Königlichen ihren dritten Champions-League-Triumph in Folge bescherten.

2018-05-27 Mohamed SalahGetty Images

Der Gipfel des Liverpooler Dramas, nachdem die zwischenzeitliche Schulterverletzung und damit verbundene Auswechslung von Mohamed Salah den Beginn eines - aus Reds-Sicht – verhängnisvollen Drehbuchs bedeutete.

Oliver Kahn: "Kann mich nicht erinnern, etwas Brutaleres gesehen zu haben"

"Mir tut es unheimlich leid für Loris", erklärte ein sichtlich konsternierter Klopp im Anschluss an das verlorene Endspiel im ZDF und schob nach: "So einen Fehler zu machen, das braucht kein Mensch." Oliver Kahn, selbst ehemaliger Welttorhüter und mittlerweile TV-Experte bei ebenjenem Sender, konnte sich "nicht erinnern, jemals etwas Brutaleres gesehen zu haben." Auch Toni Kroos, dessen Mannschaft von Karius‘ Patzern profitiert hatte, fühlte mit seinem Landsmann: "Er ist selbst sicherlich am traurigsten darüber, aber natürlich tut einem das leid“, so der Taktgeber der Blancos.

Loris Karius Real Madrid LiverpoolGetty Images

Wie sehr Karius seine Aussetzer bereute, vermochte man der gestenreichen Entschuldigungsrunde des Schlussmannes zu entnehmen. Bitterlich weinend hob er immer wieder die Hände in Richtung Liverpool-Fanblock, faltete sie danach flehend zusammen, in der Hoffnung um Vergebung.

Die Anhänger trösteten den ehemaligen Mainzer mit einem deutlich vernehmbaren "You’ll never walk alone", nachdem Karius vorher eine gefühlte Ewigkeit alleine bäuchlings auf dem Rasen verharrt hatte, ohne aufmunternde Gesten seiner Mitspieler zu empfangen, die das Geschehene offensichtlich zunächst mit sich selbst ausmachen wollten. Lediglich einzelne Akteure des Gegners, allen voran Bale, bedachten den einsam trauenden Keeper mit kurzen, gut gemeinten Schulterklopfern, ehe sie wieder in der Traube der feierwütigen Kollegen verschwanden.

Fußball, das Geschäft der Haudrauf-Mentalität

Der Torwart-Job sei "nie gerecht und Trost gibt es keinen", führte Kahn später aus und ergänzte: "Ob er sich aus diesem Loch befreien kann, ist fraglich. Das ist eine große, mentale Aufgabe." Bleibt zu hoffen, dass der gebürtige Biberacher diese zu meistern weiß, in einem brutalen Geschäft, das nur dann schnelllebig ist, wenn es darum geht, gute Leistungen in Vergessenheit geraten zu lassen, sobald menschliche Fehler entstehen. Eine bedingungslose, bisweilen schadenfrohe Haudrauf-Mentalität, der übrigens nicht nur Karius, sondern auch sein Coach zum Opfer fiel.

In den "sozialen" Netzwerken häuften sich die bitterbösen Tweets und Facebook-Posts. Der Tenor: Klopp fehle die Siegermentalität. Anlass der virtuellen Kritik war die Tatsache, dass der ehemalige Dortmunder nunmehr das sechste Endspiel in Folge verloren hatte.

PS Klopp

2013 musste er sich mit dem BVB im Finale der Königsklasse Bayern München geschlagen geben, ein Jahr später unterlag er im DFB-Pokal erneut dem unliebsamen Rivalen aus dem Süden, 2015 hieß der Bezwinger der Schwarz-Gelben im selben Wettbewerb VfL Wolfsburg.

Mit Liverpool holte er 2016 im League Cup sowie in der Europa League ebenfalls "nur" die undankbare Silbermedaille. Dass der ehemalige englische Rekordmeister eine bis dato herausragende Saison im wichtigsten Klubwettbewerb der Welt hingelegt hatte, schien nur noch die wenigsten zu interessieren.

Dass der Einfluss eines Übungsleiters sich - grob umrissen - auf die taktische Marschroute, die Wahl des Personals und die richtigen Worte in der Kabine, nicht aber auf etwaige Verletzungen des wichtigsten Spielers oder mögliche Doppel-Blackouts des ansonsten soliden Mannes zwischen den Pfosten beschränkt, verdrängten viele selbsternannten Experten ebenso.

Jürgen Klopp: "Mir tut es für die Jungs und die Fans leid"

"Es geht nicht um mich. Ich werde bald 51, ich kann mit Siegen und mit Niederlagen umgehen", sagte Klopp mit selten ausdrucksloser Miene nach der Pleite gegen den spanischen Dauerdominator. "Mir tut es für die Jungs und die Fans leid. Was die heute abgezogen haben, ist sensationell. Ich freue mich nicht über die Niederlage und es geht mir auch nicht wahnsinnig gut. Aber wir müssen weitermachen. Wir werden auch nächstes Jahr wieder versuchen, das beste aus der Saison zu machen" 

Erstmal geht es allerdings darum, das, was an diesem Samstagabend in der ukrainischen Hauptstadt passierte, irgendwie abzuhaken. Wenn Dramen sich häufen, immer und immer wieder ihren schweren, staubigen Vorhang schließen und enttäuschte Gesichter zurücklassen, spricht man irgendwann nicht mehr von Drama, sondern hat es mit einem handfesten Trauma zutun. Der Steigerung von Drama.

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