GFX Pablo AimarGetty Images

Ex-Valencia-Star Pablo Aimar: Der Magier, zu dem Messi aufschaute


HINTERGRUND

Eigentlich wollte Ricardo Aimar seinem Sohn die Flausen austreiben: "Du bist zu jung, um so viel Fußball zu spielen. Konzentriere Dich lieber auf die Schule und aufs Studium", rüffelte er den kleinen Pablo einst, der aber – wie es für Heranwachsende üblich ist – vielleicht auch aus Trotz genau das Gegenteil machte. Fußball oder nichts, so die Devise des argentinischen Talentes, das in der Folge zu demjenigen avancieren sollte, über den Lionel Messi einmal sagen würde: "Er war der Spieler, zu dem ich als kleiner Junge aufgeschaut habe."

Erlebe LaLiga live und auf Abruf auf DAZN. Hol' Dir jetzt Deinen Gratismonat!

Wie viele derer, die später in den ganz großen Arenen der Welt für Furore sorgen sollten, machte Aimar die ersten fußballerischen Gehversuche auf den Straßen seiner Heimatstadt Rio Cuarto. Bis in die Dunkelheit spielte der kleine Pablo mit seinen Freunden jeden Tag auf den staubigen Bolzplätzen der Stadt im Süden der Provinz Cordoba. Alfie Mercado, Trainer beim hiesigen Verein Estudiantes de Rio Cuarto, wurde auf den Jungen aufmerksam, der sich so mühelos, so geschickt um seine Gegner herumschlängelte, die anderen Hobbykicker reihenweise der Lächerlichkeit preisgab.

Ohne ein Probetraining absolvieren zu müssen, schloss Pablo sich den Estudiantes an, trainierte dreimal die Woche. Es dauerte nicht allzu lange, da erkundigte sich bereits das erste, das vielleicht sogar größte Schwergewicht des Landes, nach Aimar. Rekordmeister River Plate aus der Hauptstadt Buenos Aires hatte seine Fühler ausgestreckt und lotste den Edeltechniker in die Metropole am Atlantischen Ozean.

Ricardo, zu diesem Zeitpunkt immer noch skeptisch, ob des eingeschlagenen Weges des Filius, ließ sich nach nur zwei Übungseinheiten letztlich doch überzeugen, ihn in die große Stadt ziehen zu lassen. Kein Geringerer als Gaucho-Legende Daniel Passarella setzte sich in einem persönlichen Gespräch mit Ricardo dafür ein, dass der Rohdiamant in der klubeigenen Akademie weiter geschliffen werden durfte. Was bleibt einem schon übrig, wenn ein zweifacher Weltmeister höchstselbst als Bittsteller auftritt?

Aimar vs Riquelme 2000 Zwei Youngster im Duell: Pablo Aimar (l.) und Juan Roman Riquelme

Anstatt – wie von seinem Vater vorgesehen – Medizin zu studieren, debütierte Aimar als 16-Jähriger in der ersten Mannschaft von River Plate, begeisterte das anspruchsvolle Publikum im Estadio Monumental aufgrund seiner herausragenden Technik und seiner chirurgisch präzisen Pässe. Bei den auf körperbetonten Fußball gedrillten Kontrahenten stieß die feine Klinge auf wenig Gegenliebe, etliche Male ließen die Abwehrspieler der argentinischen Beletage den Youngster über selbige springen, der nicht selten Verletzungen davontrug.

Dennoch entwickelte sich der Mittelfeldmann an der Seite von Spielern wie Marcelo Salas oder Juan Pablo Angel bestens. Insbesondere Salas, der River Plate 1998 in Richtung Lazio Rom verließ, schwärmte von Aimar: "Pablo ist sehr besonders. Wenn ich in der Mitte stehe, findet er mich – und zwar immer."

Vier Jahre lang wirbelt Aimar im Zentrum der Rot-Weißen, ehe sämtliche Top-Teams aus Europa vorstellig wurden. Mittlerweile hatte Argentinien-Ikone Maradona den 1,70 Meter kleinen Regisseur als "legitimen Nachfolger" ausgemacht. Eine Adelung zwar, bedenkt man allerdings, wie häufig der WM-Held von 1986 selbst oder die Presse einen Spieler mit ebenjenem Qualitätssiegel versehen hatten, relativiert sich das Ganze allerdings schnell. Aimar ließ sich davon ohnehin nicht beeindrucken und ließ stattdessen weiter gute Leistungen für sich sprechen. Am Ende setzte sich der FC Valencia im Rennen um den begehrten U-Nationalspieler durch, der in 82 Spielen für River Plate beeindruckende 21 Tore sowie 28 Vorlagen beigesteuert hatte, überwies für dessen Dienste satte 21 Millionen Euro, damals Vereinsrekord, nach Buenos Aires.

FC Valencia gewinnt Rennen um Pablo Aimar

"Ich war von der Anzahl der Angebote völlig überwältigt. Vereine aus England, Spanien, Italien, alle kontaktierten mich. Am Ende fiel die Entscheidung aber nicht schwer", erklärte er im Winter 2001. Obwohl die Fledermäuse in dieser Zeit über zahlreiche Stars, namentlich Gaizka Mendieta, John Carew oder Ruben Baraja, verfügten, setzte sich Aimar prompt im Ensemble von Coach Hector Cuper durch, schien perfekt ins Gefüge zu passen. Am Ende der Spielzeit zog Valencia ins Champions-League-Finale ein, das im Elfmeterschießen gegen den FC Bayern München verlorenging. Noch heute zermartern sie sich die Köpfe über die Begegnung im Mailänder San Siro. Was wäre gewesen, hätte Aimar, der in der Halbzeit für den defensiveren David Albelda (übrigens beim Stand von 1:0 für die Spanier) Platz machen musste, bis zum Ende mitwirken dürfen?

Pablo Aimar ValenciaGetty Images Pablo Aimar beim FC Valencia

Cuper verließ die iberische Halbinsel im Anschluss an die Saison, um bei Inter Mailand anzuheuern, Rafael Benitez ersetzte den Argentinier bei Valencia – und sollte den Verein in seine glorreichste Zeit führen. Die Tatsache, dass das offensiv hochkarätig besetzte Real Madrid sich mit großen Abwehrproblemen herumschlagen musste und einige Spieler des FC Barcelona eher neben als auf dem Platz auffällig wurden, Kapriolen schlugen, wusste Benitez mit seiner Truppe zu nutzen. Frei nach dem Motto "die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften", baute der Spanier ein Team auf, das La Liga vor allem wegen seiner starken Abwehr dominierte.

Mit Santiago Canizares im Tor und dem Dreigestirn in der Hintermannschaft, namentlich Roberto Ayala, Mauricio Pellegrino und Albelda, mauserte sich Valencia zu einem echten Bollwerk, kassierte lediglich 27 Gegentore in 38 Spielen und stand folgerichtig zum Saisonschluss auf dem tabellarischen Platz an der Sonne. Im Mittelfeld konnten sich Los Che auf ihr gelocktes Genie Aimar verlassen, der letzten Endes zwar nur vier Treffer beisteuerte, in seiner etwas zurückgezogenen Rolle aber insbesondere den Taktgeber mimte und seine Kollegen mit seinem hervorragenden Passspiel in Szene setzte. El Mago, der Magier, wie Aimar genannt wurde, hatte sich hinsichtlich taktischer Gesichtspunkte unter Benitez enorm weiterentwickelt.

Unter Trainer Rafa Benitez: Double mit Valencia

Nachdem die darauffolgende Saison eher enttäuschend verlief, Valencia in der Liga Fünfter wurde und in der Champions League im Viertelfinale die Segel streichen musste, ließ Benitez von seiner bislang bewährten Mauertaktik ab, forcierte stattdessen diverse Pressingvarianten, die schon bald Früchte tragen sollten, den Südspaniern mit dem Gewinn des Doubles aus Meisterschaft und Uefa Cup das erfolgreichste Jahr der Klubhistorie bescherten.

Einzig bei Aimar lief es nicht immer rund in dieser Zeit, hatte er doch vermehrt mit Verletzungen zu kämpfen. Ein Beschwernis, das ihn fortan begleiten würde. Nachdem Benitez Valencia zum zweiten Mal während seiner Ägide auf den Thron gehievt hatte, verabschiedete er sich und heuerte beim FC Liverpool in England an. Claudio Ranieri übernahm die Geschicke an der Seitenlinie und ließ Aimar nicht selten an genau ebenjener auf der Bank versauern. Wenn der Italiener dann doch einmal auf seinen Zauberfuß setzte, dann zumeist auf den Außenbahnen, wo er – quasi gegen sein Naturell – keinen großen Einfluss auf die Spielgestaltung hatte, nicht die Freiheiten genoss, die er benötigt.

Pablo AimarGetty Images Gewann mit Valencia das Double aus Meisterschaft und Uefa Cup: Pablo Aimar

Nach nur sieben Monaten endete die zweite Amtszeit Ranieris bei Valencia. Quique Sanchez Flores folgte ihm – und setzte Aimar wieder auf seine angestammte Position. Allerdings hatte El Mago viel von seiner Leichtigkeit eingebüßt, agierte pragmatischer. Geniestreiche wichen Sicherheitspässen, künstlerische Freiheiten der Eingliederung ins Kollektiv. Obwohl Aimar weiterhin von Blessuren gebeutelt war, meldete Benitez, sein einstiger Mentor, der die Reds im legendären Champions-League-Finale von 2005 an Europas Spitze geführt hatte, Interesse an. Umso überraschender mutete es an, dass das Wunderkind vergangener Tage sich für einen Wechsel zu Real Zaragoza entschied, was viele Experten ihm als einen Mangel an Ambitionen auslegten.

Derjenige, über den der große Maradona gesagt hatte: "Er ist der einzige Fußballer, für den ich Geld bezahlen würde, um ihm beim Spielen zuzusehen", war angekommen in den vermeintlichen Niederrungen der spanischen Liga. Statt – wie angenommen – mit Zaragoza um den Klassenerhalt zu spielen, führte Aimar gemeinsam mit Diego Milito und Gerard Pique, der im Sommer 2006 leihweise von Manchester United kam, den Verein auf einen sehr soliden fünften Platz. Gerade wieder auf dem Weg zu alter Stärke, machte das Schicksal Aimar einen Strich durch die Rechnung. Jahrelanges Missmanagement seitens der Zaragoza-Verantwortlichen forderte Tribut, die leeren Kassen konnten nur mithilfe von Verkäufen etlicher Leistungsträger aufgefüllt werden, was sich selbstredend im Sportlichen widerspiegelte. Als Vorletzter schloss Real die Spielzeit 2007/08 ab, musste dementsprechend eine Liga runter.

Bilanz bei Benfica: Eine Meisterschaft, vier Pokalsiege

Auch für Aimar hieß es abermals Abschied nehmen. Auch wenn er nicht mehr unbedingt zu den ganz großen Versprechen des Weltfußballs zählte, rissen sich zahlreiche teils dekorierte Klubs um ihn. Obwohl viele sich eine Rückkehr nach Argentinien gewünscht hätten, behielt Portugals Rekordchampion Benfica im Buhlen um den 53-maligen Nationalspieler die Oberhand und zahlte immerhin noch siebeneinhalb Millionen Euro. Bei den Adlerträgern blühte der verletzungsanfällige Zehner noch einmal so richtig auf. Fünf Jahre lief Aimar für den Traditionsverein aus Lissabon auf, sah, wie sich spätere Weltstars wie Angel di Maria im Estadio de la Luz entwickelten und ging 2013 als portugiesischer Meister und viermaliger Ligapokal-Champion.

Ausklingen ließ er seine - an Titeln gemessen – ruhmreiche Karriere, die für viele Fans und Experten in Argentinien noch viel erfolgreicher hätte verlaufen können, bei River Plate. Offiziell hing er seine Fußballschuhe 2015 an den Nagel. Rückblickend erklärte er in einem Gespräch mit uefa.com  auf die Frage, ob er gerne noch mehr erreicht hätte: "Ja, viele Dinge! Ich spiele mit den FIFA-Legenden, und da gibt es beispielsweise Spieler, die die Champions League gewonnen haben. Ich habe im Finale gestanden, aber verloren. Sie haben Weltmeisterschaften gewonnen! Ich habe das nur auf Juniorenebene geschafft."

Lionel Scaloni Pablo Aimar Seleccion Argentina 31072018@TyCSports Lionel Scaloni (l.) und Pablo Aimar trainieren Argentinien interimsweise

Er schob nach: "All dies sind Dinge, die ich gern erreicht hätte. Wir alle hatten zu Beginn unserer Karriere einen großen Traum: Wir wollten mit unserer Nationalmannschaft eine WM gewinnen. Auf dem Platz stehen und dann so ein Iniesta- oder Götze-Tor erzielen. Für sie gibt es sicherlich auch noch etwas, das sie gern erreichen würden, aber nach diesem Erfolg werden die anderen Dinge unwichtig."

Kann Aimar sich den Traum eines Titels mit der Albiceleste vielleicht doch noch erfüllen? In der vergangenen Woche gab der argentinische Verband bekannt, dass der Ex-Profi gemeinsam mit Lionel Scaloni interimsweise mindestens bis Dezember als Nationaltrainer fungieren wird. Das Duo tritt somit das Erbe des im WM-Achtelfinale gescheiterten Jorge Sampaoli an. Übrigens: Einen sehnlichen Wunsch realisierte Aimar zu Beginn dieses Jahres noch. Für seinen Kindheitsklub Estudiantes de Rio Cuarto stand er erstmals zusammen mit seinem Bruder Andres in einem Punktspiel auf dem Platz. Und wer stand mit Tränen in den Augen auf der Tribüne? Der stolze Vater Ricardo, der eingesehen hat, dass sein begabter Sohn den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Werbung
0