HINTERGRUND
Henning Jensen entspannte im heimischen Nordjütland, hoch oben im Norden Dänemarks. Dort, wo die Natur alle Anstrengungen der langen Saison, die hinter ihm lag, in pure Erholung verwandelte. Es war einer dieser milden Sommertage, damals, 1976. Die Gedanken über die sportliche Zukunft, die seinerzeit ungewiss war, hatte er für ein paar Stunden beiseite geschoben, als plötzlich das Telefon klingelte.
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Am anderen Ende der Leitung: Agustin Dominguez, damaliger und längst legendärer Generalsekretär von Real Madrid. Die Königlichen wollten Jensen unbedingt, boten ihm und Borussia Mönchengladbach, wo der damals 26-Jährige seit 1972 spielte, gutes Geld.
Jensen sagte zu und ging für in den 70ern schwindelerregende umgerechnet knapp 590.000 D-Mark gemeinsam mit seiner Frau nach Madrid. "Auch Ajax hatte Interesse an mir, aber sie konnten nicht bezahlen, was Gladbach verlangte", sagte Jensen, der sich zuvor mit den Fohlen nicht auf eine Verlängerung seines Vertrages hatte einigen können, wenig später bei seiner Vorstellung in Madrid: "Ich habe Real und sein großes Team schon als Teenager bewundert."
Jensen hatte sich während seiner vier Jahre in Gladbach zu einem der besten Stürmer Europas entwickelt, wurde 1976 schließlich der erste von insgesamt drei Dänen (später Michael Laudrup von 1994 bis 1996 und Thomas Gravesen von 2005 bis 2006, Anm. d. Red.), die je das Trikot der Königlichen trugen.
ImagoSo richtig konkret wurde das Interesse Reals an dem 25-maligen dänischen Nationalspieler, als Jensen die Spanier im Frühjahr 1976 beinahe aus dem Europapokal der Landesmeister geworfen hätte. Beim 2:2 im Viertelfinal-Hinspiel erzielte er eines der beiden Tore der legendären Gladbacher Elf um Berti Vogts, Rainer Bonhof, Uli Stielike, Jupp Heynckes oder Allan Simonsen. Dann, im Rückspiel im Bernabeu, traf er zum 2:1, wurde unter höchst umstrittenen Umständen aber doch wegen Abseits zurückgepfiffen.
Jensen schoss Real beinahe aus dem Europapokal
Gladbach gelang an diesem Abend schließlich noch ein Tor, das vom niederländischen Schiedsrichter Leonardus van der Kroft erneut nicht gegeben wurde. "Nach dem Spiel haben wir zu ihm viele böse Worte gesagt, aber er zeigte weder Gelbe noch Rote Karten. Wahrscheinlich wusste er, dass er falsch entschieden hatte", sagte der damalige Gladbacher Mittelfeldspieler Herbert Wimmer mal dem Spiegel .
Das Spiel endete letztlich 1:1, Real zog ins Halbfinale ein - und Jensen zog es wenige Monate später auch wegen seiner starken Leistungen in den beiden Duellen mit den Spaniern nach Madrid. Insgesamt drei Jahre sollte er dort verbringen, in 81 Spielen 16 Tore erzielen, zweimal spanischer Meister werden, für immer unvergessen bleiben.
Als Jensen Anfang Dezember letzten Jahres mit 68 Jahren an Krebs verstarb, widmete Real ihm vor dem Champions-League-Gruppenspiel gegen Dortmund eine emotionale Schweigeminute. Den Alteingesessenen unter Reals Fans dürfte beim Gedenken an Jensen vor allem ein Mittwochabend Anfang April 1978 ins Gedächtnis geschossen sein.
GoalEs war einer dieser wohlig-milden Frühlingsabende Spaniens. Nach einem völlig enttäuschenden neunten Platz in der Vorsaison war Real gerade drauf und dran, den Meistertitel zurückzuerobern. Zu Gast: der FC Barcelona, der Erzrivale, der dem Tabellenführer aus Madrid mit nur zwei Punkten Rückstand im Nacken saß.
Unvergesslicher Clasico mit Jensen als Protagonist
Es sollte ein unvergesslicher Clasico werden - zumindest für die Fans der Blancos. Und Henning Jensen nahm dabei eine der Hauptrollen ein. Schon beim 3:2-Sieg im Hinspiel in Barcelona hatte er getroffen, diesmal sollte er einen noch besseren Auftritt auf den Rasen zaubern.
Jensen wusste ein starkes Team um seinen früheren Fohlen-Kollegen Uli Stielike und den jungen Rechtsaußen Juanito im Mittelfeld oder Reals Libero-Legende Pirri hinter sich. Die Gastgeber zündeten ein Offensiv-Feuerwerk, überrannten Barcas Elf von Trainer-Legende Rinus Michels gleich in der Anfangsphase.
Nach nur sechs Minuten stand das Bernabeu dank Jensen dann erstmals Kopf. Eine Traumkombination schloss der coole Däne mit eiskaltem ersten Kontakt aus elf Metern genau ins Eck ab. Und nur vier Minuten später setzte er noch einen drauf: Eine Flanke von rechts nahm er unter Bedrängnis aus der Drehung per Dropkick vom Sechzehner, der Ball flog in den Winkel - 2:0 Real, 10. Minute!
Juanito und Santillana legten in der zweiten Halbzeit noch nach, am Ende besiegte Real die Katalanen klar mit 4:0 und sorgte damit fünf Spieltage vor Saisonende für eine Vorentscheidung im Titelrennen, holte sich die spanische Meisterschaft zurück. Jensen hatte den Grundstein für diesen denkwürdigen Triumph gelegt, ein 5:0 aus dem Januar 1995 war seither der einzige Clasico-Sieg Reals, der noch höher ausfiel.
Jupp Heynckes schwärmte von seinem Sturmpartner
1979 verließ Jensen das Bernabeu, spielte noch zwei Jahre bei Ajax und drei weitere in der dänischen Heimat, ehe er seine Karriere 1984 beendete. "Henning war vier Jahre lang mein Sturmpartner und wir haben uns blind verstanden", sagte Bayern-Coach Jupp Heynckes, als er vom Tod seines einstigen Gladbacher Weggefährten erfuhr. "Außerdem war er ein wundervoller Mensch. Mit seinem ruhigen Auftreten genoss er großen Respekt, Bewunderung und Liebe im Klub. Und er verstand - wie alle Dänen - zu feiern, wenn es einen Grund gab."
Und Real schrieb auf seiner Homepage: "Der Däne war Teil eines legendären Teams mit Stielike, Pirri, Santillana und Juanito. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.“
Henning Jensen bleibt auf ewig ein Teil der Geschichtsbücher des Weltklubs aus Spaniens Hauptstadt. Und ein Teil der Historie des Clasico.




