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Aus der Mode-Metropole Mailand ins beschauliche Almelo: Die sportliche Talfahrt von Alexander Merkel


HINTERGRUND

Pokalabend in Italien. Bei eisigen Temperaturen trifft AC Mailand am 20. Januar 2011 im altehrwürdigen Guiseppe-Meazza-Stadion auf den AS Bari. Während der italienischen Hymne vor dem Spiel fährt die Kamera langsam an den Spielern vorbei und fängt die vom Flutlicht hell erleuchteten Gesichter eines Zlatan Ibrahimovic, Robinho, Gennaro Gattuso und Alessandro Nesta ein. Mittendrin: Das milchbubig anmutende Gesicht eines jungen Blondschopfs mit der ungewöhnlichen Trikotnummer 52. Das Gesicht von Alexander Merkel .  

Der Youngster spielt groß auf und steuert beim 3:0-Sieg Milans sein erstes Profitor sowie einen Assist bei. Als er schließlich in der 72. Spielminute für Alexandre Pato ausgewechselt wird, erheben sich die Fans der Rossoneri und zollen Merkel ihren Respekt.

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Nach der Partie zeichnet sich in der Mixed Zone ein ungewöhnliches Bild ab. Die Reporter und Journalisten stürzen sich nicht, wie sonst üblich, auf Ibrahimovic und die anderen Weltstars. Diesmal steht der junge Merkel im Fokus der Medien. Eine ungewohnte Situation für den Youngster. "Es war ein Tor, aber mehr auch nicht. Natürlich ist es ein tolles Gefühl, für Milan zu treffen", sagt er.

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Während er spricht, wird ihm im Vorbeigehen ein anerkennender Klaps von Ibrahimovic zuteil, auch Selecao-Star Robinho erlaubt sich einen kleinen Spaß. Wenige Meter entfernt steht Milan-Legende Gattuso vor den Kameras, Mikrofonen und Diktiergeräten. "Alex ist noch jung, hat aber viel Potential. Wenn er weiter hart arbeitet, kann er ein sehr guter Spieler werden", prophezeit er. Merkel, der junge Deutsch-Kasache, der einst als 16-Jähriger den Schritt vom VfB Stuttgart nach Italien wagte, scheint in der schillernden Welt des Profifußballs angekommen zu sein. Mit gerade einmal 18 Jahren.

Das Spiel gegen Bari war erst sein dritter Einsatz für Milan. Ein halbes Jahr zuvor war der heutige Juve-Trainer und damalige Rossoneri-Coach Massimiliano Allegri in der Saisonvorbereitung auf den Mittelfeldspieler aufmerksam geworden. Merkel spielte zu diesem Zeitpunkt noch für die Primavera, sprich die U19 des Vereins.  

Nachdem Merkel sich einen Platz im Profi-Kader erarbeitet hatte, folgte schließlich im Januar 2011 das Startelf-Debüt gegen Cagliari. "Ich würde nicht sagen, dass es mein Durchbruch war. Das war der erste Schritt, aber ein Schritt reicht nicht", erklärte Merkel hinterher: "Jetzt muss ich mich durchsetzen, damit ich noch mehr Einsätze bekomme. Jeder Tag, jedes Training ist dabei wichtig."

Im Gespräch mit dem ZDF klang Merkel nur wenige Tage später nicht mehr so kleinlaut, posaunte in Bezug auf seine ungewöhnliche Wahl der Trikotnummer: “Jeder hat die 10. Ich will ein Star werden und wünsche mir, dass die Kinder eines Tages sagen werden: ‘Ich will auch die 52 tragen.’”

Zwolle und Sittard statt Juve und Inter

Rund sieben Jahre später ist Merkel vom angepeilten Star-Dasein weit entfernt: Nach Engagements bei sieben verschiedenen Klubs spielt Merkel abseits des Glanzes und Glamours der Mode-Metropole beim niederländischen Erstligisten Heracles Almelo. Beim Vorjahres-Zehntplatzierten der Eredivisie unterschrieb der nun 26-Jährige einen Einjahresvertrag.   

Duelle mit Juventus Turin oder Inter Mailand gehören längst der Vergangenheit an. PEC Zwolle oder Fortuna Sittard heißen die Gegner heute. Teilweise spielen die Mannschaften vor lediglich 10.000 Zuschauern. Die Mitspieler heißen nun nicht mehr Ibrahimovic, Robinho oder Gattuso, sondern van Hintum, Droste und van den Buijs. Im beschaulichen Almelo will Merkel einen Neustart hinlegen, den Reset-Knopf drücken. Schon wieder. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Nachdem Merkel sogar in der Champions League gegen Ajax Amsterdam zu einem Kurzeinsatz gekommen war und gegen Cagliari sowie im Pokal gegen Bari in der Startelf gestanden hatte, absolvierte er in der Rückrunde der Saison 2010/11 zehn weitere Einsätze für Milan, die meisten davon ebenfalls von Beginn an. Trotz solider Leistungen war die Konkurrenz im hervorragend besetzten Mittelfeld der Italiener letztlich aber schlicht zu groß.

Merkels Entwicklung stagnierte, die Einsatzzeiten wurden geringen, also entschied sich der Blondschopf im Sommer 2011 für einen Wechsel zum FC Genua. “Ich will mich mit vielen Einsätzen beweisen, anstatt bei Milan vielleicht wieder nur zehn Spiele zu machen – das reicht ja nicht. Ich brauche Spielpraxis”, schrieb er in seiner Kolumne bei Spox . Was Merkel damals noch nicht ahnte: Von da an sollte es mit seiner Karriere stetig bergab gehen.

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Verletzungspech und Trainerwechsel

Zu Beginn seiner Zeit in Genua bremste Merkel eine Verletzung aus. Zum Zuschauen verdammt, musste er mit ansehen, wie sich seine Konkurrenten im Mittelfeld Trainer Alberto Malesani anbieten konnten. Wieder genesen, konnte er seinen Coach dennoch von sich überzeugen, machte bis zur Winterpause 13 Spiele. Aufgrund von schwankenden Ergebnissen wechselte Genua schließlich den Trainer. Im Amt war nun Pasquale Marino, der allerdings kein Fan von Merkel war.

Im Januar 2012 ging es für den Youngster per Leihe zurück zu Milan. Bei seinem Herzensverein kam er zu Beginn auf drei Spiele, ehe er abermals von einer Verletzung zurückgeworfen wurde, die ihn zwei Monate außer Kraft setzte. Danach fand er keinen Anschluss mehr und kehrte ohne einen weiteren Einsatz zurück zu Genua.

Dort war für Marino bereits in der Rückrunde nach nur drei Monaten Schluss. Für ihn übernahm interimsweise wieder Malesani. Nach drei Spielen im Amt musste dieser im April 2012 erneut Platz machen. Diesmal für Luigi De Canio. Aber auch unter ihm konnte Merkel sich keinen Kaderplatz erkämpfen und absolvierte lediglich sieben Spiele, nur eines davon über die vollen 90 Minuten.

Zum Ende der Hinrunde der Saison 2012/13 hatte sich die Situation für Genua nicht gebessert, man befand sich abermals in akuter Abstiegsgefahr. Also ging das Stühlerücken munter weiter. Luigi Delneri übernahm den Trainerposten vom glücklosen De Canio. Im Januar 2013 war das Kapitel Genua für Merkel beendet. Es folgte der Wechsel zu Udinese Calcio.

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Zwar blieb Merkel nun vorerst von Verletzungen verschont, dennoch war auch die Zeit in Udine sehr ernüchternd. "Der Trainer setzt nicht auf mich. Der Verein hat auch nach wie vor Vertrauen in mich, nur der Coach nicht - und der entscheidet eben, wer spielt. Das ist keine leichte Situation für mich. Ich bin fit, ich bin jung - ich will spielen! Aber es wird bei uns kaum gewechselt, es spielen im Prinzip immer die gleichen Stammspieler", klagte er damals in seiner Spox-Kolumne.

Nach einem Jahr ging es Anfang 2014 per Leihe für sechs Monate zum FC Watford nach England. Dort konnte er sich genauso wenig durchsetzen wie in der darauffolgenden Saison bei den Grashoppers aus Zürich.

Nach seiner erneuten Rückkehr nach Udine im Sommer 2015 sollte alles besser werden, doch nach einem Einsatz am 2. Spieltag gegen des US Palermo wurde er abermals vom Verletzungspech heimgesucht. Diesmal setzte ihn ein Kreuzbandriss für den Rest der Saison außer Gefecht. "Dadurch habe ich ein ganzes Jahr verloren", sagte Merkel in einem Interview mit Spox .

Nach seiner Genesung spielte er keine Rolle mehr bei Udine und schloss sich erst dem AC Pisa, dann dem VfL Bochum und schließlich im Januar 2018 Admira Wacker an. Bei den Österreichern verbrachte er den Rest der Rückrunde, verzeichnete in 15 Einsätzen einen Treffer sowie vier Assists und qualifizierte sich mit dem Verein für die Europa League. Anschließend folgte der ablösefreie Wechsel zu Almelo. Die meisten Einsätze in seiner Karriere hat Merkel bislang in der Primavera des AC Mailand bestritten. Insgesamt 30-mal spielte er für die U19 der Italiener, mehr als für jeden anderen Verein. 

Merkel: "Ich bereue nichts"

"Das Leben läuft nicht immer wie geplant. Im Laufe der Jahre musste ich einige Hürden meistern, aber ich bereue auch nichts", sagte Merkel im März dieses Jahres. Die turbulenten Jahre haben dennoch ihre Spuren hinterlassen. "Es wäre schön, mal irgendwo drei, vier Jahre zu bleiben", erklärte er. "Aber es geht immer weiter und das versuche ich auch jüngeren Spielern zu vermitteln. Ich bin jetzt 26 Jahre alt. Momente, in denen man denkt, es geht nicht mehr schlimmer, helfen auch dabei, die positiven Dinge besser zu erkennen und zu schätzen", so Merkel weiter.  

Geblieben sind einzig die Erinnerungen an jenen magischen Pokalabend von vor sieben Jahren. Als Ibrahimovic und Co. ihre Anerkennung zollten und der Junge mit der Rückennummer 52 im Scheinwerferlicht der Fußballwelt erstrahlte.  

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