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Ex-HSV-Vorständin Katja Kraus im Interview: "Hätte mir einen offenen Wettbewerb um DFB-Präsidentenamt gewünscht“

Katja Kraus schaut gespannt, aber auch ein wenig desillusioniert auf die Kür der neuen DFB-Spitze auf dem Bundestag am Freitag im Bonner World Conference Center.

Denn die frühere Nationaltorhüterin, dreimal Deutsche Meisterin und 1995 Europameisterin, hätte sich erstmals eine Frau als Präsidentin des größten Sportverbandes der Welt gewünscht, zumindest in einer Doppelspitze.

Doch alle Vorschläge der von Kraus und anderen Frauen wie DFB-Torhüterin Almuth Schult oder Ex-Bundesliga-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus gegründeten Initiative "Fußball kann mehr" wurden abgelehnt, so dass sich die Reformbewegung gegen eine Kampfkandidatur gegen die zur Wahl stehenden Bernd Neuendorf und Peter Peters entschieden.

Im Interview miit GOAL und SPOX nennt die 51-Jährige, die als geschäftsführende Gesellschafterin die Sportmarketingagentur Jung von Matt/Sports leitet, die größten Probleme im deutschen Fußball und die weiteren Ziele von "Fußball kann mehr".

Zu Beginn der Woche haben der Equal Pay Day und der Weltfrauentag einmal mehr auf die Benachteiligung von Frauen hingewiesen. Wo steht in diesem Zusammenhang der Fußball?

Katja Kraus: In der Dimension Geschlechtergerechtigkeit ist der Fußball insgesamt weit entfernt von den 18 Prozent Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen in Deutschland.

Sie und Ihre Mitstreiterinnen von "Fußball kann mehr" fordern einen deutlichen Zuwachs der weiblichen Teilhabe in Deutschlands wichtigster Sportart. Warum?

Kraus: Allem voran, weil es ungerecht ist, 50 Prozent der Menschen für Entscheidungspositionen nahezu nicht zu berücksichtigen. Der Fußball ist gerade in einer Glaubwürdigkeitskrise, weil er die Gesellschaft nicht mehr ausreichend repräsentiert. Ich bin überzeugt davon, dass es Impulse von außen braucht und Kompetenzen, die nicht zwangsläufig auf dem Fußballplatz erlernt wurden, um zukunftsfähig zu sein. Der Sport lebt von Diversität, verschiedenen Temperamenten und Herangehensweisen. Die sollte es unbedingt auch in den Entscheidungsgremien geben.

Die Bedeutung des Themas Diversität ist in der Gesellschaft in der jüngsten Zeit deutlich gestiegen. Ist das auch im organisierten Fußball angekommen?

Kraus: Wegen des jahrelangen Wachstums schien es nicht nötig, sich mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität zu beschäftigen. Oder eine klare Haltung zu gesellschaftlichen Themen zu entwickeln, die dann auch das Handeln bestimmt. Etwas, womit sich Fans auch unabhängig vom Ergebnis des nächsten Bundesligaspiels identifizieren können. Erst die Entfremdung der Menschen hat den Druck erhöht, deshalb bekommt all das jetzt eine Bedeutung.

Laut DFB-Mitgliederstatistik waren 2020 rund 1,1 der insgesamt 7,1 Millionen Mitglieder weiblich, also etwas mehr als 15 Prozent. Unter den 14 aktuell gewählten oder von der DFL entsandten DFB-Präsidiumsmitgliedern sind in DFL-Chefin Donata Hopfen, Generalsekretärin Heike Ulrich und Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg drei Frauen, das sind mehr als 20 Prozent. Warum ist Ihnen das zu wenig?

Kraus: Ich freue mich, dass es diese Frauen dort gibt. Es gibt allerdings keinen Grund, mit 20 Prozent zufrieden zu sein. Und auch davon sind wir insgesamt ja weit entfernt. Es gibt keine Landesverbandspräsidentin. Keine Frau, die einen Bundesligaklub führt, oder einem Aufsichtsrat vorsitzt. Weniger als fünf Prozent Frauen finden sich in den Entscheidungsgremien der Liga. Für mich ist der Verweis auf die Mitgliedszahlen zudem ein Argument aus der Vergangenheit. Diese 15 Prozent weibliche Mitglieder sind das Ergebnis der Ausgrenzung in den vergangenen Jahrzehnten. Wenn wir wollen, dass in Zukunft viele Menschen Fußball spielen, dann muss man die entsprechenden Angebote machen. Und Vorbilder fördern.

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Beim DFB-Bundestag kandidieren in Celia Sasic, Silke Sinning und Sabine Mammitzsch voraussichtlich drei Frauen fürs Präsidium. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Kraus: Es ist in jedem Fall ein gutes Zeichen und zeigt, dass der Handlungsdruck inzwischen hoch ist. In den vergangenen Jahren war die intrinsische Motivation nicht, Frauen in Spitzenpositionen zu bringen. Entscheidend wird sein, welche Konzepte die jeweiligen Teams vertreten und ob die Frauen ihre Kraft innerhalb des Systems nutzen, um Frauen zu fördern und insgesamt Veränderung zu gestalten.

Neuer DFB-Präsident wird aber wieder ein Mann werden, denn zur Wahl stehen der von den Amateuren vorgeschlagene Bernd Neuendorf und der von der Liga unterstützte Peter Peters. Wie bewerten Sie die Kandidatenkür?

Kraus: Ich hätte mir einen offenen Wettbewerb zwischen verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten und ihren Ideen für den Fußball gewünscht. Diese Diskussion, welchen Fußball wir alle eigentlich wollen und was die Rolle des DFB darin sein kann, hat nicht stattgefunden und damit ist aus meiner Sicht eine große Chance vertan worden. Eine Demokratisierung des Wahlprozesses hätte für neues Vertrauen der 7,1 Millionen Mitglieder sorgen können.

Rainer Koch bewirbt sich erneut als Vizepräsident, obwohl sich drei frühere Präsidenten öffentlich gegen ihn ausgesprochen haben. Auch Bibiana Steinhaus fühlte sich von ihm unter Druck gesetzt, weshalb Ihre Initiative Koch bei der DFB-Ethikkommission angezeigt hatte. Plädieren Sie daher auch für ein Ende des "Systems Koch"?

Kraus: Wir haben eine Form der Machtausübung erlebt, die es definitiv so in Zukunft nicht mehr geben darf. Das haben wir der Ethikkommission angezeigt, woraufhin sich abenteuerliche Dinge ereignet haben. Es braucht nun eine Governance, die solche Abläufe nicht mehr zulässt. Und eine andere Führungskultur. Wenn der DFB seine Kraft als gesellschaftlicher Impulsgeber wieder wahrnehmen will, dann beginnt das mit der Integrität und der Vertrauenswürdigkeit seiner Repräsentanten. Solche, die den Fußball und die Menschen, die ihn lieben wichtiger nehmen als ihre eigenen Interessen und die das auch ausstrahlen. Um das deutlich zu machen, braucht es einen glaubwürdigen Neuanfang.

Glauben Sie daran?

Kraus: Ich würde es mir wünschen und bin sehr gespannt. Es ist in jedem Fall eine große Verantwortung, wenn wir die Überzeugung teilen, dass der Fußball eine wichtige Rolle für unsere Gesellschaft hat.

Warum hat Ihre Initiative nicht selbst einen Kandidaten als DFB-Präsident aufgestellt?

Kraus: Als sich die Landesverbände einstimmig hinter die Kandidatur von Bernd Neuendorf gestellt haben, war uns klar, dass es keinen offenen Wettbewerb gibt. Welche Sportlerinnen und Sportler mögen Wettkämpfe bestreiten, wenn das Ergebnis schon feststeht? Wir wollten vor allem immer zunächst über Strukturen diskutieren und nicht über Namen. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr einen außerordentlichen Bundestag gefordert. Der wurde genauso abgelehnt wie später die Satzungsänderungsvorschläge für eine Doppelspitze oder eine größere Transparenz beim Wahlverfahren und dem Delegiertensystem.

DFL: Kraus ist von Hopfens Klarheit beeindruckt

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat sich vergangenes Jahr für Sie als DFB-Präsidentin ausgesprochen. Wäre das ohne die oben beschriebene Konstellation ein Thema gewesen?

Kraus: Ich habe immer gesagt, dass ich persönlich kein Amt anstrebe. Es gab im Kreis der Menschen aus dem Sport, der Politik und der Wirtschaft, mit denen wir in den vergangenen Monaten über die Veränderungen im Fußball gesprochen haben, einige hervorragend geeignete Kandidaten, die eine Doppelspitze hätten bilden können. Das hätte gelebte Diversität direkt von der Spitze aus signalisiert. Und in den Menschen die Phantasie geweckt, dass tatsächlich etwas Neues passiert.

Was glauben Sie, wann es die erste DFB-Präsidentin geben wird?

Kraus: Ich hätte mir gewünscht, dass es diesmal so sein wird. Nun werden wir dabei mithelfen, dass bei der nächsten Wahl mindestens eine Frau an der Spitze des DFB steht.

Wie bewerten Sie die Tatsache, dass mit Donata Hopfen zumindest in der DFL erstmals eine Frau das wichtigste Amt innehat?

Kraus: Das finde ich großartig und es wird viele Frauen ermutigen, ihren Weg im Fußball zu gehen. Ich finde allerdings auch sehr beeindruckend, wie Donata Hopfen ihre Aufgabe ausfüllt und wie klar sie sich positioniert. Ein frischer Blick ist immer eine Chance.

Kraus: Viele Entscheider wissen, dass sich etwas verändern muss

Sie waren 2003 beim Hamburger SV das erste weibliche Vorstandsmitglied eines Bundesligisten, danach folgte in Christina Rühl-Hamers bei Schalke 04 nur noch eine weitere Frau. Ist der Fußball also noch immer ein Macho-Geschäft?

Kraus: Wir haben eine Menge Resonanz von Spielern und aus dem Management der Profiklubs für unsere Initiative bekommen. Es gibt viele Entscheider, die wissen: Es muss sich einfach etwas verändern, weil wir eine alte Welt repräsentieren, die nicht mehr zeitgemäß ist. Sie haben es in der Hand und müssen es einfach umsetzen. Wir helfen gern dabei.

Sie haben "Fußball kann mehr" als gemeinnützige GmbH professionalisiert. Hoffen Sie nun auf Signale der neuen DFB-Führung?

Kraus: Unser Anliegen betrifft den Fußball insgesamt und wir haben den nächsten Schritt mit der Professionalisierung bereits gemacht. Ich freue mich, mit all den Menschen, die auch überzeugt davon sind, dass Fußball mehr kann, weiter daran mitzuwirken. Und ich wünsche mir sehr, dass der neue Präsident, der uns vor der Wahl seinen Veränderungswillen signalisiert hat, diesen danach unter Beweis stellt. Wir sind da und natürlich offen für Gespräche.

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