FC Bayern: Warum die Verpflichtung von Christoph Freund als Sportdirektor Sinn ergibt - aber trotzdem Risiken birgt

Bei wohl keinem Fußballklub der Welt spielt der sogenannte Stallgeruch eine derart wichtige Rolle wie beim FC Bayern München. Um in eine leitende Position zu kommen, ist es fast schon Grundvoraussetzung, entweder Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge zu heißen oder wenigstens mal beim FC Bayern gespielt zu haben.

So holten sich Hoeneß und Rummenigge zuletzt wichtige Posten zurück. So wurden Christian Nerlinger und Hasan Salihamidzic einst Sportdirektoren, so wurde Oliver Kahn Vorstandsvorsitzender. So avancierte Max Eberl zum Favoriten auf die Nachfolge dieser beiden im Mai entlassenen Ex-Funktionäre. Auch über Engagements von Bastian Schweinsteiger, Arjen Robben oder Philipp Lahm wurde spekuliert.

Dass die Führungsriege der Alteingesessenen nun stattdessen tatsächlich Christoph Freund von RB Salzburg holte, ist überraschend - und ein starkes Zeichen. Bei dieser Verpflichtung ging es weder um seine Vergangenheit noch um seinen Namen, sondern einzig um seine Qualität. Schon einmal profitierte der FC Bayern in jüngerer Vergangenheit von einem externen Impuls: Nach dem tragisch verlorenen Finale dahoam 2012 übernahm Matthias Sammer für den geschassten Nerlinger. Die Konsequenz: unter anderem das Triple 2013.

Anders als damals Sammer verfügt Freund zwar über keine Erfahrungen im deutschen Profifußball, ist dem Vernehmen nach auch kein passionierter Motzki wie Sammer. Dafür vereint der 46-jährige Österreicher andere Aspekte, die dem FC Bayern in seiner aktuellen Situation sehr gut tun dürften.

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    FC Bayern: Christoph Freund kennt das Anspruchsdenken

    Von seinen vielen Jahren in Salzburg kennt Freund das Anspruchsdenken, das auch beim FC Bayern herrscht: Immer Meister werden. Immer. Gemeinsam mit Mastermind Ralf Rangnick,mittlerweile erfolgreich bei der österreichischen Nationalmannschaft tätig, stabilisierte Freund ab 2012 zunächst als Sportkoordinator den zuvor unruhigen und von etlichen Kurswechseln heimgesuchten Retortenklub.

    2015 beerbte er Rangnick schließlich als Sportdirektor, seitdem holte Salzburg 14 von 16 möglichen nationalen Titel und sorgte auch in der Champions League für Furore. Dabei profitierte Freund selbstverständlich von der brachialen finanziellen Überlegenheit seines Klubs gegenüber der nationalen Konkurrenz, ähnliche Bedingungen erwarten ihn aber auch in München.

    Federführend schuf Freund in Salzburg ein ausgeklügeltes Scouting-System sowie eine exzellente Nachwuchsarbeit.Unter seiner Regentschaft schafften etliche jung verpflichtete Talente (Dayot Upamecano, Erling Haaland, Dominik Szoboszlai, etc.) den Durchbruchgenau wie selbst ausgebildete Österreicher (Xaver Schlager, Konrad Laimer, Nicolas Seiwald, etc.). Fast alle wurden teuer verkauft - und dank vorausschauender Kaderplanung meist rasch ersetzt.

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    FC Bayern: Nachholbedarf bei der Talententwicklung

    Beim FC Bayern stimmt mit dem 2017 eröffneten, topmodernen Campus im Nachwuchsbereich zwar die Infrastruktur. Der Ertrag lässt aber bisher zu wünschen übrig. Seit David Alaba setzte sich kein Jugendspieler nachhaltig durch (Jamal Musiala verbrachte nach seinem Wechsel vom FC Chelsea nur wenige Monate am Campus).

    Das soll Freund ändern, zuzutrauen ist es ihm mit Blick auf seine Meriten in Salzburg allemal. "Zu unseren erklärten strategischen Zielen gehört es, die Ausbildung am Campus zu stärken", sagte Präsident Herbert Hainer derSüddeutschen Zeitung, "wir wollen mit Expertise im Nachwuchs- und Scouting-Bereich dem Transfermarktwahnsinn ein Stück weit entfliehen."

    Eng zusammenarbeiten wird Freund bei der Optimierung des Nachwuchsbereichs und der Schnittstelle zu den Profis mit NLZ-Chef Jochen Sauer. Die beiden kennen sich aus gemeinsamen Salzburger Zeiten, Sauer verlängerte seinen Vertrag erst kürzlich.

    Von Freunds Expertise profitieren dürfte der FC Bayern auch beim Aufbau desgemeinsam mit dem MLS-Klub Los Angeles FC gegründeten Joint Ventures "Red&Gold Football". Auf diesem Weg wollen die Münchner gemeinsam mit Partnerklubs die internationale Talentsuche- und entwicklung optimieren. Ähnlich ging Salzburg unter Freund mit afrikanischen Akademien und dem FC Liefering vor,wie er 2020 in einem Interview mit SPOX und GOAL detailliert schilderte.

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    Worauf sich Christoph Freund beim FC Bayern einstellen muss

    Mit der Verpflichtung von Freund setzt sich beim FC Bayern ein interessanter Trend fort: Einmal mehr bedienen sich die Münchner bei einem Red-Bull-Ableger. In den vergangenen Jahren zog es schon Spieler wie Upamecano und Marcel Sabitzer, Trainer Julian Nagelsmann samt Assistenten, Führungskräfte wie Sauer oder nun eben Freund vom österreichischen Brausekonzern zum deutschen Rekordmeister. Darüber hinaus arbeiten die beiden Unternehmen auch beim Bau des SAP Garden zusammen. Die Multisporthalle wird künftig dem Eishockeyklub EHC Red Bull München und dem FC Bayern Basketball als Heimat dienen.

    Im Fußball stehen die Red-Bull-Filialen für rasanten Umschaltfußball - und somit für eine komplett konträre Spielphilosophie, als sie beim chronisch Ballbesitz-verliebten FC Bayern praktiziert wird. Trainer Thomas Tuchel orientiert sich gerne an Ballbesitz-Apostel Pep Guardiola. Legendär ihr Salzstreuer-Treffen im Münchner Nobelrestaurant Schumanns.

    Freund bekommt es beim FC Bayern aber nicht nur mit einer neuen Fußball-Philosophie zu tun, sondern auch mit einem unvergleichlichen Umfeld. Mediale Dauerbeleuchtung, riesige Fanmassen, die ewigen Granden Hoeneß und Rummenigge im Hintergrund - es wird interessant sein, wie er damit umgeht. Außerdem muss er sich in der alltäglichen Arbeit mit dem mächtigen Trainer Tuchel arrangieren sowie dem technischen Direktor Marco Neppe, der seinen Posten behalten soll.

    Doch mit diesen Aspekten hätte sich ohnehin jeder neue Sportdirektor des FC Bayern auseinandersetzen müssen. Die Chancen sind bei Freunds Verpflichtung größer als die Risiken. Zumal er sinnvollerweise nicht direkt einsteigt, sondern erst nach dem Ende der Transferperiode zum 1. September, was ihm eine etwas ruhigere Einarbeitungszeit ermöglicht.

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