HSV FrauenIMAGO / Claus Bergmann
19. Sept. 2025
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Hamburger SV
Bundesliga

“Falsche Entscheidungen der Vergangenheit wiedergutmachen“: Der HSV und sein Weg zurück in die Bundesliga

Nach 13 Jahren ist der HSV zurück in der Frauen-Bundesliga. Mit frischem Kader und neuer Trainerin beginnt ein Kapitel, das mehr sein soll als nur ein Comeback.

Der Hamburger SV ist bei seinem Comeback furios in die neue Bundesliga-Saison gestartet. Erst erkämpften sich die Hamburgerinnen im Volksparkstadion ein 3:3 gegen den Vizemeister VfL Wolfsburg, anschließend trotzten sie auch Liga-Urgestein SGS Essen ein Remis ab – ein Auftakt, der zeigte, dass der HSV nicht nur zurück ist, sondern auch bestehen will. 13 Jahre nachdem der Klub seine Frauen einst aus der Bundesliga abmeldete, ist die Bühne diesmal die größtmögliche.

  • Am 11. Mai schrieb der HSV Geschichte: Nur einen Tag nach dem Aufstieg der Männer zogen die Frauen nach – ein Sieg gegen den SC Freiburg II machte den Sprung in die Bundesliga perfekt. Dass sie dort richtig sind, demonstrierten sie am ersten Spieltag eindrucksvoll: Wolfsburg kam als klarer Favorit, tat sich gegen das hohe, aggressive Pressing der Hamburgerinnen aber lange schwer. Später übernahm der VfL zwar die Kontrolle, verpasste jedoch die Entscheidung – und der HSV belohnte sich vor knapp 12.000 Zuschauern mit dem späten Ausgleich.

    Dass die HSV-Frauen ihre Heimspiele seit dieser Saison im Volksparkstadion austragen, kann man als direkte Folge eines Stimmungswandels sehen. Das DFB-Pokal-Spiel gegen Werder Bremen setzte mit 57.000 Zuschauern im Volkspark Maßstäbe – und ein Signal, dass Frauenfußball in Hamburg eine große Bühne füllen kann. “Wir haben mit Begeisterung zur Kenntnis genommen, was dieses Spiel bei uns, bei Zuschauern, bei Partnern und vor allem bei den Spielerinnen ausgelöst hat“, sagte HSV-Vorstand Eric Huwer. Kurz darauf fiel die Entscheidung: Das “Wohnzimmer“ des HSV wird neue Spielstätte der Frauen. Huwer: “Frauenfußball ist fester Teil des HSV, Teil unserer Identität – mitten in Hamburg.“



  • “Peinlich für einen so großen Verein“: Als der HSV sein Frauenteam opferte

    Das war vor ein paar Jahren noch ganz anders. 2012 reichte dem Verein schon eine überschaubare Summe, um sich von genau diesem “Teil der Identität“ zu trennen: Die Entscheider um den damaligen Vereins-Präsidenten Carl-Edgar Jarchow meldeten das Frauenteam damals aufgrund eines vergleichsweise kleinen Fehlbetrags im Etat aus der Bundesliga ab. Nach Berichten aus jener Zeit scheiterte der Start in die Folgesaison an rund 100.000 Euro, Jarchow sprach später von 200.000 bis 300.000 Euro Budgetlücke. In einer Phase, in der dem Gesamtverein ohne ausgegliederte Profiabteilung die Insolvenz drohte, trafen Spar-Entscheidungen die Frauen am härtesten. Die Entscheidung sorgte damals für Entsetzen – zumal der Betrag, der die Fortsetzung einer sportlich erfolgreichen Bundesliga-Existenz gesichert hätte, nur einen Bruchteil eines Profigehalts im Männerbereich ausmachte. Nationalspielerin Kim Kulig nannte es damals “peinlich für einen so großen Verein“, Abwehrspielerin Heike Freese sagte: “Bei den Männern kommt ein nicht top-fitter Torwart Rene Adler und erhält 2,7 Millionen Euro Gehalt. Bei uns ging es um ein paar Hunderttausend Euro.“

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    “Frischen Wind reinbringen“ – neue Trainerin und eine junge Mannschaft

    Beginnt jetzt die Korrektur vergangener Fehlentscheidungen? “Der HSV will die Entwicklung im Frauenbereich weiter vorantreiben und die falschen Entscheidungen der Vergangenheit wiedergutmachen“, sagte Jobina Lahr 11FREUNDE, “diese Rückendeckung spüren wir jeden Tag.“ Nach dem Wiederaufstieg hat der Klub den Frauen nicht nur eine neue Bühne gegeben, sondern auch personell nachgeschärft: Aufstiegstrainer Marwin Bolz wurde ersetzt, die Brasilianerin Liese Brancao soll “frischen Wind reinbringen“. Ihr Profil passt zur HSV-Strategie: “Was sie auszeichnet, ist ihre Arbeit mit jungen Spielerinnen“, erläutert Saskia Breuer, Koordinatorin Frauenfußball dem kicker. Genau darauf baut der HSV auf – der aktuelle Kader ist im Schnitt 23 Jahre alt und soll vor allem aus eigenen Talenten wachsen: “Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir hier gut ausbilden."

    Wie tragfähig dieser Weg ist, hat Svea Stoldt jüngst eindrucksvoll bewiesen: Die 19-Jährige trägt seit 2020 das HSV-Trikot, erzielte in der Aufstiegsrunde den entscheidenden Treffer gegen Freiburg II und rettete am ersten Spieltag per Freistoß das 3:3 gegen Wolfsburg. Auch Victoria Schulz, seit der E-Jugend im Verein, ist längst eine wichtige Leistungsträgerin.

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    Brancao setzt auf St. Pölten-Connection

    Allein auf Nachwuchs kann sich der HSV jedoch nicht verlassen. Brancao holte von ihrer vorherigen Station beim SKN St. Pölten vier Spielerinnen nach Hamburg – darunter die Torschützinnen des ersten Bundesligaspiels Sophie Hillebrand und Melanie Brunnthaler. Mit Torhüterin Larissa Haidner und Außenverteidigerin Michaela Croatto kamen sogar noch zwei weitere Österreicherinnen dazu. Hintergrund: Der Frauenfußball des Nachbarlands verfügt bereits über eine Menge Qualität, aktuell aber noch zu kleinem Preis. Beim Saisonauftakt gegen Vizemeister Wolfsburg standen bereits alle vier Neuzugänge aus St. Pölten sowie auch Nina Räcke (Leipzig) in der Startelf.

    Angesichts des Umbruchs habe es ein bisschen gebraucht, bis sich alles gefunden habe, berichtete Kapitänin Pauline Machtens dem NDR. "Ich glaube, der Schritt von der 2. Liga hin zur Bundesliga ist noch mal sehr groß. Aber wir haben unser Niveau als Team auf jeden Fall gesteigert", betonte die 23-Jährige. Auch Managerin Breuer zeigte sich zufrieden mit dem neuen Kader: "Wir haben ein tolles Team mit starkem Zusammenhalt und uns punktuell verstärkt.“

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    “In dieser Saison kann vieles möglich sein“: HSV-Frauen verschieben die Messlatte

    Was die nächsten Wochen bringen, muss sich zeigen. Der Auftakt gegen Wolfsburg hat jedoch die Messlatte verschoben: Statt nur um den Klassenerhalt geht es plötzlich um mehr. "In dieser Saison kann vieles möglich sein. Für mich ist es keine Überraschung, dass wir noch 3:3 gespielt haben“, sagte Liese Brancao nach dem Abpfiff.

    Spätestens mit der Rückkehr ins Oberhaus verdienen die HSV-Frauen dieselbe Selbstverständlichkeit wie die Männer. Hält der Klub diesen Kurs, wird aus Wiedergutmachung Normalität: die Frauen als fester Teil der Hamburger Identität.