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11. Juni 2025
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"Das wollen wir laut nach draußen brüllen": Der FC Viktoria Berlin probt die Revolution im Frauenfußball

Der FC Viktoria Berlin kämpft mit einem besonderen Modell um Gleichberechtigung und den Aufstieg in die Bundesliga. Wo steht das Projekt aktuell?

Nach drei Anläufen ist Viktoria Berlin endlich in der 2. Bundesliga angekommen. Doch der sportliche Erfolg ist nur ein Teil der Geschichte. Der Verein versteht sich als Gegenentwurf zu den männlich geprägten Strukturen im Fußball. Ein Club, der sich dem Profigeschäft von einer anderen Seite nähert und den Frauenfußball richtig aufmischen könnte.

  • Ein Etappensieg mit Ansage

    Drei Jahre ist es her, dass der FC Viktoria Berlin mit einem neuen, professionellen Ansatz den Angriff auf den Frauenfußball startete. Zweimal scheiterte der Klub knapp am Sprung in die 2. Liga: zunächst am Hamburger SV, dann an Union Berlin. In der soeben abgelaufenen Saison hat es aber endlich geklappt. "In den ersten zwei Jahren waren uns der HSV und Union Berlin insgesamt überlegen und dominanter, auch durch ihre sehr professionellen Bedingungen im Rücken", erklärt Abwehrspielerin Anna Höfker Indivisa.

    Diesmal war das anders: "Als die Saison begann, war klar, dass dieser Kader ein großes Potenzial und damit hohe Ambitionen auf den anvisierten Aufstieg hat", erinnert sich die Sportliche Leiterin Catharina Schimpf. "Qualitativ waren wir deutlich besser aufgestellt als der Rest der Liga." Der Aufstieg war für den Klub deshalb mehr als nur ein Etappensieg – er war ein notwendiger Schritt, um auf Kurs zu bleiben. Denn das ursprünglich ausgesprochene Ziel ist klar: Innerhalb von fünf Jahren, also bis spätestens 2027, soll der FC Viktoria Berlin in der Bundesliga spielen. Dort wäre Viktoria ein Gegenmodell zu den meisten anderen Klubs; die Liga wird ja mehr und mehr von großen Männerklubs dominiert.

  • Viktoria Berlin

    Eine Revolution mit prominenter Unterstützung

    Dieser ambitionierte Plan wurde bereits von den sechs Gründerinnen des Fußball-Start-ups festgelegt, die im Juli 2022 die Frauenabteilung aus dem Gesamtverein herauslösten. Mit dabei: Ex-Nationalspielerin und Weltmeisterin Ariane Hingst sowie mehrere Unternehmerinnen und Investorinnen, die den Frauenfußball in Berlin neu denken wollten.

    Im Gegensatz zu vielen anderen Frauenteams ist der FC Viktoria Berlin somit nicht an eine Männerabteilung angegliedert, sondern agiert strukturell und wirtschaftlich eigenständig. Damit ist der Klub das erste prominente Investorenprojekt im deutschen Frauenfußball – unterstützt von bekannten Persönlichkeiten wie Franziska van Almsick, Dunja Hayali und Carolin Kebekus, die als Investorinnen fungierten. Ihre gemeinsame Vision: Chancengleichheit schaffen, faire Bezahlung ermöglichen und den Frauenfußball dauerhaft ins gesellschaftliche Scheinwerferlicht rücken.

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    Fußball mit Haltung – ein Vorbild aus den USA

    Dass dieses Modell zukunftsweisend ist, zeigt ein Blick ins Ausland: FC Viktoria Berlin nimmt sich ein Beispiel an Angel City FC – einem US-amerikanischen Klub, der 2020 von diversen prominenten Frauen, darunter Schauspielerin Natalie Portman mitgegründet wurde, und in den USA als Symbol für einen neuen, feministischen Profifußball steht. Ab der kommenden Saison wird der Klub mit dem höchsten Zuschauerschnitt in der National Women's Soccer League NWSL vom bisherigen Bayern-Erfolgscoach Alexander Straus trainiert.

    Wie ihr transatlantisches Vorbild verfolgt auch der FC Viktoria Berlin von Anfang an nicht nur sportliche, sondern auch gesellschaftspolitische Ziele. “Während der Männerfußball häufiger davor zurückschreckt, klar Haltung zu zeigen, setzen wir uns ganz bewusst für Themen wie Gleichberechtigung und Vielfalt ein“, sagt Höfker. Und auch Catharina Schimpf sieht sich in der Pflicht, die Stellung von Männern und Frauen im Fußball anzugleichen: “Wir wollen in einer männerdominierten Welt zeigen, dass alle, insbesondere eben auch Mädchen und Frauen, ihren Platz im Fußball haben. Und ich glaube, das gelingt uns ziemlich gut.“

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    FC Viktoria: Wird Berlin zur Frauenfußball-Hauptstadt?

    Doch nicht nur im Berliner Stadtteil Lichterfelde, in dem der FC Viktoria ansässig ist, entwickelt sich der Frauenfußball rasend schnell. Der selbst ernannte “Big City Club“ Hertha BSC hat bereits 2023 die Frauenabteilung von Hertha 03 Zehlendorf übernommen. Mit Union Berlin ist indes bereits der erste Berliner Klub in der Frauen-Bundesliga angekommen. Doch Schimpf begrüßt die Konkurrenz: “Wir haben alle dasselbe Ziel: den Frauenfußball sichtbarer machen, die Strukturen verbessern. Und gemeinsam geht das einfacher.“ Dadurch wachse der Druck auf andere Vereine, in eine eigene Frauen-Abteilung zu investieren.

    Auch Viktoria selbst zieht nach: Ab der kommenden Saison ist der Fußball für die Spielerinnen eine Hauptbeschäftigung. Ein weiterer wichtiger Schritt in die angestrebte Geschlechtergerechtigkeit. “Wir wollen unsere Sportlerinnen entsprechend so bezahlen, dass sie davon leben können. Das ist das Ziel, da bewegen wir uns auch schon hin. Das heißt, unsere Spielerinnen haben ab der neuen Saison die Priorität Fußball“, erklärt die Sportliche Leiterin. Aktuell arbeiten einige Spielerinnen nebenbei etwa als Content Creator.

  • Viktoria Berlin

    Sichtbarkeit jenseits des Spielfelds

    Prominentestes Beispiel is Aylin Yaren. Die Angreiferin, die auch am letzten Spieltag noch einen Treffer zum 4:0 gegen den 1. FFC Fortuna Dresden beisteuerte, ist längst nicht nur auf dem Platz aktiv. Über 35.000 Menschen folgen ihr auf Instagram, wo sie nicht nur als Spielerin, sondern auch als Fußball-Freestylerin und Influencerin auftritt. Eines ihrer Karrierehighlights teilte sie ebenfalls auf Instagram: ein Werbespot mit Weltstar Lionel Messi für den Chipshersteller Lay’s.

    Auch bei Spielen der Baller League, dem Hallenfußballprojekt von Mats Hummels und Lukas Podolski, war Yaren zu Gast – und ließ ihre Community auf TikTok daran teilhaben. Sänger Pietro Lombardi zeigte sich dort beeindruckt und schwärmte öffentlich vom Können der Angreiferin.

    Die Spielerinnen von Viktoria Berlin sind also nicht nur sportlich, sondern auch außerhalb des Vereins präsent – eine Sichtbarkeit, die dem gesamten Projekt zusätzlichen Schub verleiht.

  • Viktoria Berlin

    "Das wollen wir laut nach draußen brüllen": Schritt für Schritt zur Gleichstellung

    Während einzelne Profis zunehmend Aufmerksamkeit erhalten, ist das Vollprofitum im Frauenfußball weiterhin die Ausnahme statt die Regel. Selbst für Bundesliga-Spielerinnen stellt der Fußball oft noch eine Nebenbeschäftigung dar. Beim FC Viktoria Berlin wolle man den Spielerinnen dagegen schrittweise ermöglichen, unter vergleichbaren Bedingungen wie die Männer zu arbeiten. Auch die Infrastruktur ist zuletzt deutlich verbessert worden: Mehrere Physiotherapeuten begleiten jedes Training. Spiel, Kraft- und Athletiktraining zur Verletzungsprävention gehören mittlerweile zum festen Bestandteil des Trainingsalltags. Für Schimpf ist das ein notwendiger Schritt: “Unser Ziel war es von Anfang an, Frauen im Fußball sichtbar zu machen und den Frauenfußball als echten Beruf anzuerkennen, das wollen wir laut nach außen brüllen.“

  • Viktoria Berlin

    Viktoria Berlin geht gegen den Trend

    Trotz des Aufschwungs bleibt eine Frage offen: Kann sich ein Verein ohne angeschlossene Männer-Profimannschaft dauerhaft in der Bundesliga etablieren? Der aktuelle Trend spricht für die Lizenzvereine mit Doppelstruktur. Mit der SGS Essen und Carl Zeiss Jena haben nur zwei Teams der Frauen-Bundesliga keine erst- oder zweitklassige Männermannschaft im Rücken.

    Doch der FC Viktoria Berlin will genau das Gegenteil beweisen. “Wir haben ein Modell geschaffen, das sich selbst trägt“, sagt Anna Höfker selbstbewusst. Und auch Schimpf betont: “Aus meiner Sicht bietet unsere Struktur sogar mehr Chancen. Unser gesamter Fokus liegt auf dem Frauenteam. Viele Männervereine haben einen geteilten Fokus, was zu Schwierigkeiten führen kann.“

    Ein Blick auf den Status Quo zeigt, wie sehr FC Viktoria Berlin mit alten Rollenbildern bricht: Während das Männerteam des gleichnamigen Vereins soeben in die Oberliga abgestiegen ist, gehen beim FC Viktoria die Frauen sportlich und finanziell voran.

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    FC Viktoria Berlin: Selbstbewusst in die neue Saison

    Am 23. August beginnt für den FC Viktoria Berlin ein neues Kapitel: Zum ersten Mal wird das Team in der 2. Bundesliga antreten – ein Meilenstein, aber eben nur ein Zwischenstopp auf dem selbst gesteckten Weg nach ganz oben. Als Underdog sieht sich der ambitionierte Klub dabei nicht. “Wir wollen nicht um den Abstieg, sondern direkt eine gute Rolle in der neuen Liga spielen“, sagt Schimpf.

    Auch Anna Höfker hat eine klare Vorstellung davon, wo der FC Viktoria Berlin in ein paar Jahren stehen soll. “Ich sehe uns dann in der ersten Liga – mit hoffentlich vollen Stadien, noch mehr Menschen in Viktoria-Trikots in der Stadt und als Club, zu dem man gerne mit seinen Freunden und Freundinnen geht.“