Toni Kroos Bastian Schweinsteiger Deutschland 04062016Getty Images

Kroos und Schweinsteiger: Zertifizierte Passmaschine und Trumpf-Ass im Ärmel

Für Joachim Löw ist Bastian Schweinsteiger der Chef. Wenn der Bundestrainer über den 31-Jährigen redet, leuchten seine Augen. Dann verwendet er Begriffe wie "Führungsspieler" oder "emotionaler Leader", spricht von einem "wichtigen Ansprechpartner". Kapitän Schweinsteiger tritt auf wie ein Chef, wirkt irgendwie weise mit all seiner Erfahrung und den grauen Haaren. Ganz anders als Toni Kroos.

Der Spielgestalter von Real Madrid kommt eher unscheinbar daher. Wie der gute Kumpel von nebenan, nicht wie ein hochdekorierter, fürstlich entlohner Fußballballspieler, wie ein zweifacher Champions-League-Sieger und Weltstar. Dabei ist Kroos längst der Chef, insbesondere auf dem Platz. Einer, der aber nicht als solcher wahrgenommen wird, weil er sich eben so zurückhaltend gibt, nicht den Eindruck macht, als könne er andere herumkommandieren und wohl auch deshalb teilweise unterschätzt wird.

Gewiss nicht von Löw. Er hält ungemein große Stücke auf den 26-Jährigen, bezeichnet ihn treffend als "Fixpunkt" im deutschen Spiel. Genau diesen verkörperte Kroos beim EM-Auftakt. Er war Taktgeber und Ruhepol in Personalunion, dirigierte das Spiel und diktierte das Tempo. Nach dem 2:0-Sieg gegen die Ukraine wählte ihn die UEFA zum Man of the Match. 

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"Packing"-König Kroos

Branchenintern genießt Kroos die Wertschätzung, die er verdient. "Toni Kroos", sagt etwa Lukasz Piszczek vom kommenden DFB-Gegner Polen, "ist einer der besten Mittelfeldspieler der Welt." Und Jerome Boateng ergänzt: "Wenn man vom FC Bayern zu Real Madrid wechselt und sich dann im Ausland bei einem so großen Klub durchsetzt, dann sagt das alles über seine Qualität aus." Kroos' wichtigste Eigenschaft: Er ist eine Passmaschine, im Jahr 2016 endlich zertifiziert. 

Stefan Reinartz und Jens Hegeler haben zusammen das sogenannte "Packing" entwickelt. Ermittelt wird, wie viele Akteure des Gegners mit Pässen oder Dribblings überspielt werden. Im Januar 2014 kam den beiden Ex-Profis die Idee. Das Ziel: Die Entwicklung eines Tools, das im Gegensatz zu anderem Zahlenwerk wie Ballbesitz oder Passquote eine Statistik mit Aussagekraft im Hinblick aufs Endergebnis beeinhalt. 

"Das Kriterium ist", heißt es auf der Homepage der Firma Impect, "dass sich nach einer gelungenen Offensivaktion weniger Gegner zwischen Ball und gegnerischem Tor befinden als vor der Aktion. Diese überspielten Gegner können ihr Tor nicht mehr verteidigen. Sie sind daher gepackt und aus dem Spiel genommen." Daher auch der Name Packing. Kroos erreichte nun beim Auftaktspiel eine Packing-Rate von 112, und damit den mit Abstand besten Wert aller bei der EM vertretenen Akteure. Das Ranking führt er klar vor Boateng (75), Sergio Ramos (70) und Granit Xhaka (65) an.

Nun kann freilich über Sinn und Unsinn dieses neuen Messwerts diskutiert werden, gerade was die Packing-Rate einzelner Spieler betrifft. Stürmer und offensive Mittelfeldspieler werden schließlich kaum weit oben in diesem Ranking auftauchen, haben sie durch ihre Position auf dem Platz doch gar nicht die Möglichkeit, so viele Gegner auszuhebeln wie Verteidiger oder Sechser. Hervorragend dient die Packing-Rate allerdings dazu, um die Dominanz und Wichtigkeit spielaufbauender Akteure aus der Tiefe zu belegen. Wie die von Kroos. 

Schweinsteiger, das "Trumpf-Ass im Ärmel"

"Meine Stärke ist es, oft den Ball zu haben und damit gute Sachen anzustellen", beschreibt Kroos seine Aufgabe: "Im Endeffekt ist es so: Je öfter ich den Ball habe, umso dominanter spielen wir - und umso öfter gewinnen wir." Er kann es also doch, sprechen wie ein Chef. "Wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen, wenn wir das Turnier gewinnen wollen", merkte Kroos nach dem zähen Ukraine-Spiel an. Auch das zeugt von Reife und einer gesunden Wahrnehmung.

Um das große Ziel zu erreichen, wird Löw im Laufe des Turniers seine beiden Chefs brauchen. Den stillen und den lauten, den ruhigen und den emotionalen, Kroos und Schweinsteiger. Letzterer sei "ein Trumpf-Ass, das wir für den weiteren Turnierverlauf noch im Ärmel haben", sagte der 56-Jährige der SportBild.

Er will Schweinsteiger langsam ans Team heranführen, für die Startaufstellung im zweiten Gruppenspiel gegen Polen am Donnerstag (21.00 Uhr im LIVE-TICKER) ist der Mittelfeldmann von ManUnited keine Option. "Wenn Basti zum Turnierstart nun gleich drei oder vier Spiele am Stück komplett bestreiten würde, wäre er nach dem Achtelfinale vielleicht schon müde. Das hilft niemandem", gibt Löw zu bedenken. 

Da sei es ihm lieber, "er macht bei der EM nur vier oder fünf Spiele, die dafür aber auf allerbestem Niveau." In der möglichen K.o.-Phase, in den wichtigen Spielen könnten die beiden Chefs dann also zusammen auf dem Platz stehen. Im WM-Finale vor zwei jahren hat das schließlich ganz gut geklappt.

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