Beraterin Raquel Rosa im Interview: "In England würde ich nie Jeans und Turnschuhe anziehen"

Raquel Rosa hat im Fußball viel erlebt. Als Kind wanderte ihre Familie von Brasilien nach Deutschland aus. Als Sprachen-Talent kümmerte sie sich in Hoffenheim und Leipzig um ausländische Spieler. Bei der WM 2014 in ihrem Heimatland Brasilien arbeitete sie im Projektmanagement der Nationalmannschaft. Als Dolmetscherin auf dem Podium bei den DFB-Pressekonferenzen wurde sie auch öffentlich bekannt.

Heute ist Rosa Spielerberaterin und betreut unter anderem Bayern-Star Dayot Upamecano, Amadou Haidara von RB Leipzig und Mohamed Camara von Red Bull Salzburg. Die 41-Jährige ist zudem Direktorin des UEFA Player Agents Program und leitet einen Lehrgang zur Weiterbildung von Beratern.

Im Interview mit GOAL und SPOX spricht Rosa über ihre Arbeit mit Ralf Rangnick, den Umgang mit ihrer Schwerhörigkeit und die Gepflogenheiten bei Vertragsverhandlungen in verschiedenen Ländern.

Frau Rosa, Sie sind seit mehreren Jahren Spielerberaterin. Was macht für Sie einen guten Spielerberater aus?

Raquel Rosa: Man muss seinen Spieler in- und auswendig kennen. Sowohl sportlich als auch als Menschen. Man darf ihn nicht verurteilen und muss wissen: Er ist eben auch nur ein Mensch. Mal hat man eine Topsaison und vielleicht ist die Leistung auch mal schlechter. Zudem muss ein guter Berater langfristig denken und die Planung der gesamten Karriere im Blick haben, um die besten Verträge zu verhandeln.

Wie entstand Ihre persönliche Liebe zum Fußball?

Rosa: Als kleines Kind haben es meine Eltern nicht so gern gesehen, dass ich Fußball gespielt habe. Meine Schwester war mehr so Barbie. Aber das war nicht mein Ding: Eine Puppe an- und auszuziehen, die Haare zu kämmen. Ich habe eher mit den Jungs gespielt. Wenn ich nach Hause gekommen bin, war ich dreckig und hatte irgendwo Blut. Wir haben am Strand gespielt, auf der Straße, im Hinterhof. Jeden Sonntag ist die ganze Familie gekommen, es gab Sambamusik. Man hat gesungen und getanzt. Man hatte Spaß, es wurde gegrillt. Ich habe dann auch im Verein gespielt. Taktik war für mich immer wichtig. Frauen sind zwar etwas langsamer, physiologisch gesehen. Wir sind körperlich nicht so stark, aber die Taktik können wir genauso gut verstehen wie die Männer. Als ich später in Deutschland die Möglichkeit hatte, meinen Trainerschein zu machen beim Badischen Fußballverband, habe ich auch die Jungs-Auswahl begleitet. Ich habe dann zugeguckt, wie die es machen und habe es dann mit meinen Mädels nachgemacht.

Raquel RosaGetty Images

Raquel Rosa: "So etwas fällt nicht vom Himmel"

Ihre Lebensgeschichte ist bemerkenswert. Sie kamen als junges Mädchen nach Deutschland. Wie haben Sie diese Veränderung in Erinnerung? Haben Sie schon in diesem jungen Alter die kulturellen Unterschiede zwischen Brasilien und Deutschland gespürt?

Rosa: Für mich ist das erste Bild in meiner Erinnerung der Winter. Dass es schon um 16 Uhr dunkel ist. Ich dachte mir erst: "Wow, das ist super: Alle Geschäfte haben offen, mitten in der Nacht." Aber es war erst 16 Uhr oder 17 Uhr nachmittags! Der Umgang miteinander ist auch anders. Wie man sich begrüßt, zum Beispiel. Wenn wir Brasilianer miteinander reden, fassen wir uns dabei an. Ich rede auch jetzt noch viel mit den Händen. Die Kleidung war anders, das Essen natürlich. Die Schulbildung in Deutschland habe ich immer geschätzt. In Brasilien muss man für eine gute Schulbildung viel Geld zahlen. Ich habe in Deutschland auch eine gute Schulbildung bekommen. Über die Integrationsschule, zur Hauptschule, zur Realschule bis zum Uniabschluss und jetzt zu meiner Doktorarbeit. Ich schätze auch das deutsche Know-how, diese Pünktlichkeit, diese Genauigkeit.

Ihre Eltern zogen aus beruflichen Gründen nach Deutschland. Wie prägend waren der Charakter und die Einstellungen ihrer Eltern für Ihre eigene spätere Entwicklung und das, was Sie im Leben erreichen wollten?

Rosa: Meine Eltern waren sehr diszipliniert. Sie kommen beide aus armen Familien, aber haben beide studiert. Mein Papa hat seine Anwaltskanzlei aufgebaut. Sie haben mir immer gesagt: "Wenn du etwas erreichen willst oder etwas machen willst, dann kannst du es auch." Es ging nie um fehlendes Geld, soziale Schichten oder Hautfarbe. Oder den Unterschied zwischen Männern und Frauen. So etwas habe ich nie zu hören bekommen. Es gab nie etwas wie: "Ich komme aus dieser Familie und komme deshalb nicht weiter." Oder: "Ich kenne die Sprache nicht, deswegen kann ich nicht studieren." Es gab keine Grenze. Also: "Wenn du etwas willst, mach' es und du wirst es auch schaffen!" Meine Eltern haben mir vermittelt, dass man durch Fleiß und Arbeit das erreichen kann, was man will. Dass man aber nichts geschenkt bekommt. So etwas fällt nicht vom Himmel.

Sie leiden unter Schwerhörigkeit. Inwieweit hat Sie das eingeschränkt? Und inwieweit vielleicht sogar angespornt?

Rosa: Eingeschränkt in der Hinsicht, dass ich Portugiesisch nicht gut aussprechen konnte als Kind. Eigentlich hasste ich auch Sprachen. Ich weiß auch immer noch nicht, ob ich Sprachen mittlerweile liebe. Ich habe mir immer gesagt: "Hauptsache Abitur und dann musst du nie nie wieder Sprache lernen." Das erste Mal, als ich ein Vogelzwitschern hörte, kamen mir fast die Tränen. Mich hat die Schwerhörigkeit stark gemacht, weil ich gelernt habe, selber zu lernen. Egal, was in der Schule war, ich musste zuhause nochmal alles alleine durchgehen. Ich musste mich durchboxen. Ich merke heute auch bei den Spielern: Die, die es wirklich ganz nach oben geschafft haben, das waren nicht nur die Talente, denen jeder sagte: "Hey, du wirst der nächste Messi." Sondern, die, denen jeder sagte: "Das schaffst du nicht." Es sind die, die auch wissen, wie hart es ist, sich durchzuboxen.

Wie kamen Sie dann an Ihren ersten Job in der Fußballbranche?

Rosa: Das war als Trainerin beim Badischen Fußballverband. Ich habe gleichzeitig Rhetorik- und Didaktikunterricht genommen und hatte später auch die Möglichkeit, das selber zu unterrichten. Und Hans-Dieter Hermann, der Psychologe der deutschen Nationalmannschaft und der TSG Hoffenheim hatte selbst auch Vorlesungen gehalten. Wir haben uns sehr gut verstanden. Irgendwann sagte er: "Hoffenheim ist jetzt in der Dritten Liga und steigt auf in die Zweite Liga. Wir werden Brasilianer und andere Südamerikaner kaufen. Du bist aus Brasilien, du hast einen Trainerschein. Ralf Rangnick braucht jemanden." Und das war für mich: "Wow!" Nach einer Zeit hat mich der damalige Manager Jan Schindelmeiser gefragt, ob ich bei den Verhandlungen dabei sein könnte. Und so ging es für mich weiter: Gute Arbeit gemacht und dann bekam ich den nächsten Job. Dann kamen Luiz Gustavo und Carlos Eduardo. Wir sind immer noch gut befreundet, Luiz werde ich bald besuchen. Meine Aufgabe war es, ihnen nahe zu bringen, was Ralf Rangnick taktisch an Ideen hatte.

Wie war Ihre Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen in Hoffenheim? Ralf Rangnick war ja wahrscheinlich zu dieser Zeit die prägende Figur?

Rosa: Ralf Rangnick war schon derjenige, der mich im Fußball am meisten geprägt hat. Er gibt schon immer 120 Prozent. Er ist sehr fair und sehr menschlich. Er ist aber auch sehr direkt. Wir hatten einmal eine Geschäftsreise und ich kam zwei Minuten zu spät. Da sagte er erstmal: "Du bist zwei Minuten zu spät!" Nicht: "Guten Morgen!" Sondern: "Du bist zwei Minuten zu spät!" Das sind Sachen, die mich geprägt haben, meine Arbeit besser zu machen. Bei ihm ist es immer eine Mischung zwischen Lob und Kritik, da kann man nur wachsen. Eines seiner Ziele ist es, Menschen weiterzuentwickeln. Spieler wie Mitarbeiter.

Rangnick TSGGetty Images

Rosa: "Die WM in Brasilien war mein Traum"

Später arbeiteten Sie für den DFB bei der WM 2014. Wie besonders war für Sie die Arbeit in ihrem Heimatland Brasilien?

Rosa: Das war mein Traum! Die WM in Brasilien, das Finale in Rio, Deutschland gewinnt gegen Argentinien - besser hätte man es nicht schreiben können. Mein Traum als Kind war es immer, den Weltpokal einmal anfassen zu können. Irgendwie hatte ich immer diesen Wunsch. Auch wenn jeder sagte: "Du kannst das nicht, du schaffst das nicht!" Irgendwie bin ich doch dazu gekommen! Ich war im Bereich Projektmanagement tätig, ich stand zwischen den Kulturen. Bei den Pressekonferenzen zu übersetzen, war eine eigentlich eine meiner kleinsten Aufgaben. Aber bei so einer PK schauen Millionen Deutsche zu! Plötzlich war die Kamera in meinem Gesicht. Und ich bin schwerhörig! Hätte ich eine Frage falsch verstanden und gedolmetscht, hätte das jeder mitbekommen. Zwei Jahre später für die EM in Frankreich hatte ich mich nicht beworben, weil ich dachte, mein Französisch sei nicht perfekt genug. Aber der DFB hat mich angerufen und mir wurde gesagt: Sie würden sich freuen, wenn ich komme. Das war eine der schönsten Erfahrungen meiner Karriere: Dass man sieht, ich mache eine gute Arbeit und das kommt zurück.

Bei RB Leipzig waren Sie verantwortlich für die Integration ausländischer Spieler. Was sind für Sie die wichtigsten Erfolgsfaktoren, damit sich ein neuer Spieler wohlfühlt und die optimale Leistung bringen kann? Welche Probleme kann es auch geben?

Rosa: Wichtig ist, dass ein Spieler die Philosophie des Klubs versteht. Wir haben zum Beispiel bei RB Leipzig zusammen mit Ralf Rangnick ein Willkommensbuch zusammengestellt, das ein neuer Spieler in seiner Sprache bekam. Es ist nicht nur wichtig zu rennen, wenn man den Ball verliert. Es ist auch wichtig, die Sprache zu verstehen. Man muss die Taktik im Detail verstehen. Diese Dinge macht RB Leipzig super. Der Alltag in einem neuen Land kann aber auch ein großer Schock für einen Spieler sein. Du bist aus einem anderen Land, du sprichst eine andere Sprache, hast vielleicht andere Gebete. Das in einem Team zusammenzuführen, ist die Herausforderung. Alle Spieler hatten den gleichen Wunsch: Deutscher Meister zu werden, Champions League zu spielen. Wie zieht man am gleichen Strang, um dieses Ziel gemäß der Vereinsphilosophie und der Taktik des Trainers zu erreichen? Dafür haben wir ein Willkommensbuch erschaffen.

Wie ergab sich dann für Sie der Schritt, Spielerberaterin zu werden?

Rosa: Ich war bei einer Verhandlung dabei, in der es mehrere Enttäuschungen gab. Es gibt nämliche sehr gute Berater, aber auch schlechte. Ich habe meinem Vater davon erzählt. Mein Vater sagte mir dann: "Du hast mehrere Möglichkeiten. Du kannst weiter nur für das Sportliche zuständig sein. Oder weiter Informationen von A nach B bringen. Oder du kannst selber Spielerberaterin werden." Ich war noch sehr jung und wusste nicht, wie ich dieses Ziel erreichen sollte. Mein Vater sagte mir: "Wichtig ist, dass du deine Entscheidungen triffst und danach gut schlafen kannst und dich am Morgen im Spiegel anschauen kannst." Dann habe ich mir überlegt: Was braucht man als Spielerberaterin? Mehrere Sprachen. Ich sprach damals vier. Du musst die Regelungen kennen. Ich analysiere jetzt für meine Doktorarbeit die verschiedenen Märkte. Und mir war wichtig, dass ich mir meine Spieler selbst aussuchen kann. Und ich brauche meine Freiheit und einen Markt wie jetzt den französischen, auf dem ich mich sozusagen austoben kann.

Sie hatten in Ihrer Zeit bei RB Leipzig schon mit Dayot Upamecano zu tun. Später waren Sie auch seine Beraterin. Wie besonders war Ihre Beziehung zu ihm?

Rosa: Wir sprachen mit Dayot und seiner Familie. Am Ende des Gesprächs stand er auf und sagte meinen Chefs: "Ich will mit euch zusammenarbeiten, weil ich die Arbeit von Raquel kenne und ihr vertraue." Wichtig ist der Respekt, Vertrauen, die Transparenz der Arbeit und das fußballerische Know-how. Wenn man das bei den Toptalenten heutzutage nicht hat, ist es schwer. Die wollen mehr. Sie wollen einen Berater anrufen und fragen: "Hey, wie war mein Spiel?" Oder: "Ich schlafe zur Zeit irgendwie nicht gut." Wie schon gesagt: Für mich ist es wichtig, die Spieler in- und auswendig zu kennen. Ich will sie schon anrufen, bevor ich weiß: "Vorsicht, da könnte was passieren."

"In England würde ich keine Jeans zu Verhandlungen anziehen"

Sie leiten das neue UEFA Player Agent Programme. Können Sie beschreiben welche Inhalte dort vermittelt werden?

Rosa: Das Problem, das jeder Berater hat, ist: In den verschiedenen Ländern gibt es verschiedene Regelungen. Es wird also natürlich über Regelungen gesprochen werden. Aber auch über das Verhalten den Vereinen, Spielern und deren Familien gegenüber. Wie tritt man zum Beispiel überhaupt in Kontakt? Da wird es verschiedene Übungen geben und danach eine Prüfung. Diese müssen die Berater ablegen, damit sie das Zertifikat bekommen. Mir liegt am Herzen, dass die Berater nach dem Programm sozusagen ein Handbuch haben. Da geht es um Loyalität, Integrität, über Regelungen. Aber auch das Große und Ganze: Was sind denn alles meine Aufgaben als Berater? Man muss sich ja heutzutage um sehr viel kümmern. Zum Beispiel auch um Interviews und Social Media. Es wird aber in dem Programm auch darum gehen, eine Möglichkeit für Berater zu schaffen, sich mit vielen Akteuren der Fußballwelt auszutauschen.

In den verschiedenen Ländern gibt es verschiedene Regelungen für Transfers. Gibt es auch gravierende kulturelle Unterschiede?

Rosa: Ja, zum Beispiel sind überall die Ansprechpartner andere. In Deutschland ist es klipp und klar der Sportdirektor. In England sind es oft die Owner, also die Teambesitzer. In Portugal sind es die Präsidenten. In Frankreich variiert das mehr. Für mich ist das total interessant. Wenn man in ihrer eigenen Sprache mit den Menschen sprechen kann, hat man einen Vorteil. In allen Ländern laufen die Verhandlungen anders. So ein Geschäftsessen mit Wein ist für einen Deutschen eher komisch. Die Kleidung, die man trägt, ist auch ein großer Unterschied. In Deutschland kann man sich eher lockerer anziehen. In England ist man da eher konservativ. In England würde ich keine Jeans und Turnschuhe zu Verhandlungen anziehen. In Deutschland interessiert das keinen. Da geht es eher darum: Kennt sie sich aus? Stimmt der Preis? Das ist einfach in jedem Land anders.

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