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Peter Pacult im Goal-Interview: "Leipzigs Aufstieg begann mit einem Rücktritt"


EXKLUSIV

Peter Pacult hat in seiner Karriere viel erlebt. Seit 1996 steht der gebürtige Wiener als Coach an der Seitenlinie, prägte zwischen 2006 und 2011 eine sehr erfolgreiche Phase beim österreichischen Erstligisten Rapid und arbeitete in Deutschland unter anderem für TSV 1860 München und RB Leipzig. Die Entwicklung bei seinen Ex-Klubs verfolgt er noch immer mit großem Interesse. Aber auch die Veränderungen auf dem Trainermarkt sind dem 58-Jährigen nicht entgangen. Im Interview mit Goal spricht er über den Abstieg der Münchener Löwen, den rasanten Aufstieg der Roten Bullen aus Leipzig und wie wichtig das öffentliche Image eines Trainers ist, wenn eine Stelle frei wird.

Herr Pacult, Ihr Ex-Klub 1860 München ist kürzlich aus der zweiten Liga abgestiegen. Nun droht der totale Absturz. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Entwicklungen bei den Löwen?

Peter Pacult: Mich haben nicht nur die Bilder von den Ausschreitungen der Fans im Stadion erschüttert, sondern auch die Leistung der Mannschaft. Das war von der ersten Minute an ein blutleerer Auftritt. Man muss jetzt hinterfragen, was da innerhalb des Klubs los ist und wie es zu diesem Absturz kommen konnte.

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Was passiert jetzt mit den Löwen?

Pacult: Das ist die große Frage, auf die im Moment keiner eine Antwort kennt. Nicht mal beim Klub selbst. Man muss diesen Abstieg jetzt abhaken und darf nicht in eine Schockstarre verfallen. Es muss sofort geklärt werden, wie es weiter gehen soll. Auf die Verantwortlichen wartet jede Menge Arbeit. Nur fehlt diesen Verantwortlichen der nötige Einblick und das Netzwerk für einen Neuaufbau.

Haben Sie einen Überblick, wer dort überhaupt Entscheidungen treffen kann?

Pacult: In dieser unübersichtlichen Lage muss schnell Klarheit geschaffen werden. Denn den Löwen läuft die Zeit davon. Es wird nicht einfach, eine Mannschaft auf die Beine zu stellen. Investor Hasan Ismaik wird sich selbst fragen müssen, ob er in der Vergangenheit nicht auf die falschen Berater an seiner Seite gesetzt hat. Er sollte Leute miteinbeziehen, die diesen Verein kennen, bodenständig sind und sich mit ihm identifizieren.

Wie sieht die Lösung aus?

Pacult: Schauen Sie, was in den vergangenen Jahren passiert ist: die Fans dürfen nicht mehr zum Training, Journalisten werden ausgeschlossen und auf der Geschäftsstelle wird nur noch Englisch oder Portugiesisch gesprochen. Der Klub hat sich viel zu sehr von seiner Basis und seinen Grundwerten entfernt und sich Schritt für Schritt selbst ins Abseits gestellt. Das spiegelt sich auch auf dem Rasen wieder. Die Leistungen waren so wankelmütig und kurvenreich - es stimmt auf allen Ebenen nicht. 1860 braucht viel mehr Identifikationsfiguren und Personen, die verstehen, wie der Klub tickt.

Bei RB Leipzig, wo Sie von 2011 bis 2012 als Cheftrainer aktiv waren, erleben wir das genaue Gegenteil. Den Leipzigern ist der Durchmarsch in die Champions League gelungen. War diese Entwicklung schon damals abzusehen?

Pacult: Klare Antwort: Ja. Das hat nicht nur etwas mit den großen Investitionen in den Kader zu tun, sondern auch mit der Infrastruktur, die dort geschaffen wurde. Dass es so schnell mit der Champions League klappt, hat aber sicher alle überrascht. Auch wenn es vielleicht merkwürdig klingt: Der große Aufstieg von RB Leipzig begann mit dem Rücktritt des ehemaligen Trainers Ricardo Moniz bei Red Bull Salzburg vor fünf Jahren.

Peter Pacult RB LeipzigGetty ImagesPacult war in der Saison 2011/2012 Trainer von RB Leipzig

Wie meinen Sie das?

Pacult: Moniz ist damals aus unterschiedlichen Gründen zurückgetreten, wodurch sich eine ganz neue Situation entwickelt hat. Es wurde ein neuer Trainer gesucht und irgendwann fiel der Name Ralf Rangnick. Im Laufe dieser Gespräche wurde die Entscheidung gefällt, Rangnick zum sportlichen Leiter von Salzburg und Leipzig zu machen. Er hat nahezu alle Befugnisse bekommen und im Anschluss viele richtige Entscheidungen getroffen. Dass er erfolgreiche Strukturen aufbauen kann, hat er beispielsweise in Hoffenheim bewiesen. Nur der Bau des Leistungszentrums stand in Leipzig schon vor seiner Zeit fest. Leider habe ich seiner Meinung nach nicht zum Konzept gepasst und musste den Klub nach nur einem Jahr wieder verlassen, was aber nicht daran lag, dass wir nicht sofort aufgestiegen sind. Allen Beteiligten war bewusst, wie stark die damalige Regionalliga besetzt war. Nach der Regionalligareform hat die Staffel enorm an Qualität verloren und den Durchmarsch der Leipziger begünstigt.

Am Modell RB Leipzig entzündet sich in Deutschland scharfe Kritik. Viele werfen Red-Bull-Eigentümer Dietrich Mateschitz vor, den Fußball nur als riesige Werbeplattform zu nutzen. Mit einem echten Fußballverein habe RB Leipzig nichts zu tun. Wie sehen Sie das?

Pacult: Ich kann diese Kritik überhaupt nicht teilen. Wenn es Herrn Mateschitz ausschließlich um Marketing gehen würde, hätte er niemals Randsportarten unterstützen dürfen, für die sich eine Handvoll Menschen interessiert. In den Fußball ist er deutlich später eingestiegen. Und er betreibt diese Klubs mit dem Ziel, Erfolg zu haben. Von seinen Investitionen hat die gesamte Region rund um die Stadt Leipzig enorm profitiert, es wurden tausende Arbeitsplätze geschaffen. Das gilt auch für Salzburg und alle anderen Standorte, in denen er sich finanziell engagiert. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es Menschen wie Herrn Mateschitz gibt.

Befürchten Sie, dass Red Bull Salzburg, der erfolgreichste österreichische Klub der letzten Jahre, aufgrund des rasanten Aufstiegs der Leipziger für Mateschitz an Bedeutung verliert und die Liga darunter leiden könnte?

Pacult: Ich finde es bedauerlich, dass die anderen Vereine wie Austria oder Rapid Wien nicht näher an Salzburg herangerückt sind. Schauen Sie sich an, wie viele gute Spieler Salzburg jährlich verliert und mit welch junger Truppe sie in der Liga trotzdem dominieren. Dass das Budget reduziert wurde und weiterhin reduziert wird, ist klar. Aber es ist immer noch weitaus höher als bei anderen österreichischen Klubs. Ich denke, dass Salzburg in Zukunft noch stärker die Rolle des Ausbildungsvereins einnehmen wird. Junge Spieler haben dort sehr gute Bedingungen, um sich an Profifußball in der ersten Liga zu gewöhnen, sich für den europäischen Markt oder sogar für RB Leipzig zu empfehlen. Konrad Laimer ist ein weiteres gutes Beispiel dafür. Die Spieler genießen bei Red Bull eine exzellente Ausbildung.

Lassen Sie uns noch ein wenig über Ihre Karriere als Trainer sprechen. Ihre letzten beiden Stationen in Slowenien und Kroatien waren nur von kurzer Dauer. Wie ist es dort gelaufen?

Pacult: Ich muss ein wenig ausholen. Im April 2015 fragte mein Heimatverein Floridsdorfer AC an, ob ich ihnen im Abstiegskampf helfen könnte. Parallel befand ich mich in Verhandlungen mit Hajduk Split, die ich in der neuen Saison übernehmen sollte. Nach einem kurzen Gespräch mit den Verantwortlichen bekam ich das Okay von Split, Floridsdorf zu helfen. Zwei Tage nach meiner Vorstellung rief der Präsident von Split erneut an. Ich sollte den Klub nun doch sofort übernehmen. Das habe ich allerdings abgelehnt. Schließlich hatte ich Floridsdorf meine Zusage gegeben. Split akzeptierte das und bot mir zwei Wochen später einen unterschriftsreifen Vertrag für die nächste Saison an. Aber an ihre Zusage haben sie sich nicht gehalten.

Was ist passiert?

Pacult: Nachdem ich mit dem Floridsdorfer AC am letzten Spieltag der Saison die Klasse halten konnte, informierte mich mein sportlicher Leiter nach einem der Interviews darüber, dass Split parallel einen neuen Trainer vorgestellt hat. Das konnte ich zunächst nicht glauben. Aber es war genau so.

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Und wie ging es weiter?

Pacult: Ich habe zunächst in Floridsdorf weiter gemacht, jedoch haben wir die Zusammenarbeit nach zehn Spielen wieder beendet. Im Oktober 2015 bekam ich schließlich einen Anruf vom Präsidenten des Vereins NK Zavrc aus Slowenien. Ich sollte die Mannschaft auf den vierten Platz führen, der zur Teilnahme an der Euopa-League-Qualifikation berechtigt hätte. Nach einem 1:1 im Pokal gegen einen Zweitligisten, einem Spiel, in dem wir knapp 80 Prozent Ballbesitz und etliche Großchancen gehabt haben, schickte er mir eine SMS mit dem Inhalt, es wäre besser, wir würden uns trennen. Nach nur zwei Wochen. Es ärgerte ihn, dass wir den Zweitligisten nicht aus dem Stadion geschossen haben. Obwohl die Chancen dafür da waren.

Das klingt wirklich unglaublich.

Pacult: So ist der Fußball manchmal. Meine letzten zwei, drei Stationen liefen sehr unglücklich. Dann rücken neue, junge Trainer nach und du verschwindest ganz schnell von der Bildfläche.

Steht Ihnen Ihr Image womöglich auch manchmal im Weg? Speziell in Österreich wird Ihnen nachgesagt, Sie seien oft sehr grantig gewesen im Umgang mit der Öffentlichkeit.

Pacult: Man gibt 1000 Interviews, wovon fünf nicht in Ordnung waren, aber in Zusammenfassungen werden immer nur diese Szenen gezeigt. Dagegen kann man sich als Trainer nur schwer wehren. Die heutige Generation ist ganz anders geschult, die Trainer machen stundenlanges Interviewtraining und am Ende kommt heiße Luft dabei raus. Andererseits wird beklagt, dem Fußball würden echte Typen fehlen.

Steht Image über Kompetenz?

Pacult: Die Tendenz geht deutlich in diese Richtung. Viele Verantwortliche berücksichtigen in ihren Überlegungen, wie sich eine Personalentscheidung der Öffentlichkeit verkaufen lässt, statt inhaltlich das Richtige zu tun. Das gilt sicher nicht für alle Klubs. Aber gefühlt für immer mehr. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Julian Nagelsmann an der Seitenlinie hüpft und laut brüllt, dann wird das derzeit positiv gesehen. Anderen Trainern würde man unterstellen, sie haben sich an der Linie nicht unter Kontrolle und seien schwierige Typen. Das will ich nicht als Kritik an Nagelsmann verstanden wissen, der in Hoffenheim einen tollen Job macht. Es ist nur eine Feststellung. Das Gleiche gilt auch für das Thema "Taktik". Einigen Trainern eilt der Ruf voraus, sie hätten total moderne und komplexe Spielsystem erfunden. Als ich vor vielen Jahren mit Rapid Wien in einem Spiel eine Dreierkette aufgeboten habe, hieß es, das sei ein System aus einem anderen Jahrhundert. Heute gilt eine Dreierkette als modern.

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