Macauley Chrisantus: Vereinsloser Mitläufer statt Yekini-Erbe

Etwas schüchtern lächeln die drei Teenager in die Kameras. Noch ist das Blitzlichtgewitter für sie ungewohnt. Freundlich schauen sie dennoch drein, in ihren Händen das Zeugnis herausragender Leistungen in den vergangenen Wochen. Dort, mitten auf dem Rasen des World Cup Stadiums in Seoul vor immer noch mehr als 30.000 Zuschauern und eingerahmt von Sepp Blatter und Franz Beckenbauer, präsentieren sie ihre Pokale für die drei besten Spieler bei der abgelaufenen U17-Weltmeisterschaft 2007. Von ihnen wird erwartet, dass sie in Zukunft zu großen Stars werden. Ihre Namen: Toni Kroos, Macauley Chrisantus und Bojan Krkic.

Einer von ihnen, Toni Kroos, startet durch, wird Weltmeister, mehrfacher Champions-League-Sieger und einer der besten Mittelfeldspieler seiner Generation. Bojan Krkic legt immerhin noch eine passable Laufbahn bei Erstligisten in Spanien, England und Deutschland hin. Chrisantus jedoch, der bei jener WM-Endrunde in Südkorea seine Nigerianer sensationell zum Titel schießt und zu jener Zeit der begehrteste Youngster der Welt ist, wird seinen Vorschusslorbeeren nicht gerecht und ist heute der Prototyp eines gescheiterten Talents.

Viele namhafte Klubs umwerben Chrisantus 2007

Sieben Treffer erzielt Chrisantus bei jener Junioren-WM, gewinnt damit den Goldenen Schuh und wird Nachfolger klangvoller Namen wie Fernando Torres oder Alberto Aquilani. Er netzt gegen die stark eingeschätzten Kontrahenten Frankreich, Argentinien und Deutschland und die Scouts der Top-Klubs auf den Tribünen bekommen feuchte Hände. Diesem abschlussstarken Strafraumstürmer mit der feinen Technik scheint alles zu gelingen. Er hat ein großes Talent dafür, zur rechten Zeit am rechten Ort aufzutauchen. Und vor allem: Der 17-Jährige ist eiskalt, braucht wenig Chancen.

Und so klingelt bei seinem Berater Adam Mohammed das Telefon Sturm. Ajax Amsterdam, Manchester United, Real Madrid, der AC Mailand, Inter Mailand, Chelsea, Tottenham, Liverpool, Arsenal und Lyon – sie alle wollen den aufgehenden Stern am Stürmerhimmel verpflichten und locken mit viel Geld. Chrisantus, ein höflicher und zurückhaltender Junge, spielt damals in Nigeria bei Hearts of Abuja und er entscheidet sich bewusst gegen einen Transfer zu einem dieser namhaften Vereine und wechselt zum Hamburger SV, der damals noch einen deutlich besseren Ruf genießt als heute.

ONLY GERMANY Toni Kroos Macauley Chrisantus Bojan Krkic U17 World Cup 2007Imago

Die Rothosen überweisen eine Million Euro Ablöse für Chrisantus nach Nigeria. "Der HSV hat sich sehr intensiv um mich gekümmert. Ich hatte ein sehr gutes Gespräch mit dem damaligen Coach Huub Stevens", erklärte der Angreifer zwei Jahre später bei GOAL und SPOX: "Er sagte mir, dass er von meiner Qualität überzeugt ist und dass er mich weiterbringen kann. Ich habe mir die Entscheidung nicht leichtgemacht, mit meiner Familie und meinen Beratern gesprochen und wir kamen zu dem Entschluss, dass es besser ist, nicht gleich zu Chelsea oder Real zu gehen, sondern erstmal nach Hamburg."

Schnell merkt Chrisantus allerdings, dass sein Entschluss wohl doch nicht so ganz der richtige war. Bis er volljährig wird, kommt er in der Reserve regelmäßig zum Einsatz. Nach seinem 18. Geburtstag soll er dann an den Profikader herangeführt werden. Chrisantus' Problem: Stevens, der ein maßgeblicher Faktor für den Wechsel an die Alster war, ist nicht mehr da. Martin Jol hat zur Saison 2008/09 übernommen und keine Verwendung für den Shootingstar. Jol setzt im Sturm auf Mladen Petric, Paolo Guerrero und Ivica Olic.

"Jol hat nicht an mich geglaubt"

Chrisantus sagt später über seine Beziehung zu Jol: "Er hat nicht an mich geglaubt." Für Chrisantus ist es ein ziemliches Problem, dass er bei den Profis keine Chance bekommt. Denn als mittlerweile 18-Jähriger darf er nicht mehr für die Junioren und die Reserve auflaufen. Ein Jahr ohne Spielpraxis ist die Folge. Gift für die Entwicklung eines jungen Spielers.

"Das war sehr, sehr hart für mich. Und das werde ich auch nie vergessen", so der Rechtsfuß. Er klagt weiter: "Dadurch war es ein absolut verlorenes Jahr in Hamburg. Deshalb wollte ich den Verein verlassen. Ich wollte spielen. Der Trainer sagte mir, dass es sehr hart werden würde für mich."

2009 lässt er sich also zum Zweitligisten Karlsruher SC ausleihen. Er legt einen guten Start hin und trifft bei seinem ersten Einsatz als Joker zum 1:1-Endstand gegen Alemannia Aachen. Anschließend aber reißt er keine Bäume mehr aus. Er steht kaum in der Startelf und am 10. Spieltag brennen ihm gegen Oberhausens Verteidiger Marinko Miletic die Sicherungen durch. Wegen einer Tätlichkeit wird er nachträglich für vier Spiele gesperrt. Die Leichtigkeit der so erfolgreichen Junioren-WM ist ihm abhandengekommen. Dachte er damals kaum nach und traf instinktiv die richtigen Entscheidungen, agiert er nun auf dem Platz meist unglücklich.

2007 U17Getty Images

Chrisantus hat außerdem abseits des Rasens wenig Bezugspersonen. Mit Landsmann Chinedu Obasi, damals bei 1899 Hoffenheim unter Vertrag, pflegt er losen Kontakt, ansonsten vermisst er seine Familie und tut sich mit der Eingewöhnung nach wie vor schwer. Nach rund zwei Jahren in Deutschland sagt er: "Natürlich ist es schwer, wenn man seine Heimat in so jungen Jahren verlässt und in ein komplett fremdes Land kommt. Das Wetter ist schon sehr gewöhnungsbedürftig, wenn man aus Afrika kommt."

2012 verlässt Chrisantus den Hamburger SV

In seiner Heimat ist der Hype merklich abgeflacht. Für die Auswahlmannschaften ist er, von vier Einsätzen für die U20 im Jahr 2009 einmal abgesehen, keine Option mehr. "Ich habe noch Zeit und ich glaube an Schicksal. Ich weiß, dass die Welt bald wieder meinen Namen rufen wird", meint Chrisantus, der dafür "hart arbeiten" will.

Chrisantus verbringt eine zweite Spielzeit auf Leihbasis beim KSC, diese läuft etwas besser, mit acht Treffern ist er der beste Torschütze des Klubs. In Hamburg glauben sie immer noch an den Durchbruch des mittlerweile 21-Jährigen und verlängern seinen Vertrag im Jahr 2011 bis zum Sommer 2013. Erneut hat der HSV aber mit Thorsten Fink einen Trainer, der keine Verwendung für ihn hat: "Es ist ja kein Geheimnis, dass wir auf seiner Position gut besetzt sind." Und so geht es zum FSV Frankfurt, wieder in die 2. Liga. Chrisantus erzielt trotz des Handicaps einer Malariaerkrankung zu Saisonbeginn acht Tore, wieder eine ganz ordentlich Ausbeute, aber erneut nicht der Kickstart in eine große Karriere.

2012, Toni Kroos hat in der abgelaufenen Saison gerade 51 Pflichtspiele für Bayern München absolviert und Bojan Krkic ist zweimaliger Champions-League-Sieger mit Barça, wächst in Hamburg die Erkenntnis, dass Chrisantus' Durchbruch nicht mehr kommt. Also darf er ablösefrei gehen und heuert in Spanien beim Zweitligisten UD Las Palmas an. Seine Zeit beim HSV nennt er nur noch "verrückt".

Auf den Kanaren ist er endlich unumstrittener Stammspieler. Er trifft regelmäßig (13 Pflichtspieltore), scheitert aber mit dem Klub in den Playoffs um den Aufstieg in LaLiga. Zwei Jahre bleibt er bei Las Palmas, dann kommt er auch dort nicht mehr weiter. Es folgen (kurze) Engagements bei Sivasspor, AEK Athen, Reus Deportiu und PAS Lamia, ehe er im Januar 2018 bei Real Murcia in der 3. spanischen Liga anheuert. Wo er auch hinkommt, ist er immer noch das einstige Top-Talent, seine fußballerische Klasse und mittlerweile auch seine Einstellung können damit längst nicht mehr Schritt halten.

Vertrag bei Real Murcia läuft aus

So ist er sich im Winter, nachdem er bei Lamia lange keine Spielpraxis mehr bekommen hatte, für Probetrainings zu schade. "Ist es zu glauben, dass ich vorspielen sollte?", fragt er bei ScoreNigeria.com.ng.

Also geht er nach Murcia. Fünf Tore gelingen ihm in 14 Spielen in der Segunda Division B. Nicht wirklich ein Bewerbungsschreiben für die große Fußballwelt. Und so zieht der 27-Jährige, dessen Vertrag ausläuft, erneut weiter. Diesmal nach Helsinki zu HJK, in die erste finnische Liga. Dort wird er zwar Meister, überzeugt aber nicht wirklich. Es folgen Stadionen im Iran und Saudi-Arabien. Bis Oktober 2022 spielte er für den italienischen Viertligisten Aprilia Calcio, aktuell ist er vereinslos.

In seiner Heimat wurde Chrisantus einst mit dem großen Rashidi Yekini verglichen. Er weiß um die großen Erwartungen, die er damals weckte, als er mit Koos und Krkic posierte. Er weiß aber auch, dass für ihn nicht immer alles nach Plan lief: "Mir ist klar, dass die Menschen meine Karriere immer wieder mit der von Toni Kroos vergleichen werden. Aber wenn ihm nicht Jupp Heynckes zum Durchbruch verholfen hätte, wäre es ihm vielleicht wie mir ergangen."

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