Lazar Samardzic von Udinese Calcio im Interview: "Ich weiß, dass es für Julian Nagelsmann sehr schwer war"

Lazar Samardzic ist deutscher U21-Nationalspieler, spielte in der Jugend für Hertha BSC und in der Bundesliga neben den Berlinern auch für RB Leipzig. Seit 2021 steht er bei Udinese Calcio unter Vertrag und erzielte zuletzt mehrere wichtige Tore. Im Interview mit GOAL und SPOX blickt er auf seinen bisherigen Werdegang zurück.

Samardzic erklärt, warum sein Ruf als Käfigkicker gerechtfertigt ist, welcher Hertha-Legende er sehr viel zu verdanken hat und wieso er sich nach einem Jahr in Leipzig für den Schritt nach Italien entschieden hat.

Außerdem blickt er auf seine Zeit unter Julian Nagelsmann und dessen Trainingsmethoden zurück, berichtet, wie er sich trotz seines jungen Alters schnell allein in Italien zurechtgefunden hat und wie er seine Zukunft beim DFB sieht.

Herr Samardzic, Sie werden oft als Käfigkicker oder Straßenfußballer bezeichnet. Trifft das zu?

Samardzic: Das passt definitiv. In Berlin habe ich als kleiner Junge in einem der vielen Käfige angefangen. Ich war jeden Tag erst in der Schule und dann im Käfig, oft hat mich auch mein Opa dorthin gefahren. Die älteren Jungs ließen mich mitspielen. Ansonsten habe ich alleine gespielt, wenn nicht gerade ein paar Freunde dazugekommen sind.

Im Alter von sieben Jahren sind Sie vom BSV Grün-Weiß Neukölln in die Jugend von Hertha BSC gewechselt, spätestens als Torschützenkönig der U17 in der Saison 2017/18 (24 Tore in 25 Spielen) hatten Sie sich einen Namen gemacht. War das der Zeitpunkt, an dem Sie gemerkt haben, dass Fußball mehr als ein Hobby werden könnte?

Samardzic: Das deutete sich schon vorher an, etwa mit acht oder neun Jahren. Wir spielten viele Jugendturniere, vor allem in der Halle, und da wurde ich oft zum Spieler des Turniers gewählt. Das hat mich motiviert, immer weiter Gas zu geben. Bei der Hertha wurde dir dann im Nachwuchsleistungszentrum einfach alles angeboten, ich hatte die besten Trainer. Vor allem Andreas "Zecke" Neuendorf ist da zu nennen. Er war ab der U15 mein wichtigster Förderer und hat mich auch früh schon bei den Profis angeboten. Ab der B-Jugend wurde es immer ernster.

Auch 2018/2019 spielten Sie eine starke Saison, nachdem Sie aufgrund einer Knieverletzung erst lange ausgefallen waren. Als Belohnung gab es die Fritz-Walter-Medaille in Bronze in der Altersklasse U17 hinter Karim Adeyemi (BVB) und Jordan Meyer (VfB Stuttgart). War diese Auszeichnung für Sie damals bedeutsam?

Samardzic: Ich kannte den Preis natürlich, aber habe mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ihn gewinnen zu können. Vorher hatte ich die Auszeichnung vor allem mit großen Namen wie Kai Havertz oder Kevin-Prince Boateng in Verbindung gebracht. Da dachte ich mir: So gut bin ich dann auch nicht. Als mir Bescheid gesagt wurde, dass ich Bronze gewonnen habe, war ich daher sehr stolz. Das war eine große Ehre.

Am 22. Mai 2020 debütierten Sie im Alter von 18 Jahren in der Bundesliga - ausgerechnet im Stadtderby gegen Union. Wie erinnern Sie sich an diesen Tag zurück?

Samardzic: Aufgeregt war ich sowieso immer, wenn ich bei den Profis auf der Bank saß. Ich hatte mir bereits in den vorherigen Spielen große Hoffnungen auf einen Einsatz gemacht. Dass das gerade gegen Union geklappt hat, war natürlich perfekt. Obwohl das Spiel während der Pandemie ohne Zuschauer stattfand, war es ein riesiges Gefühl.

2020 endete Ihre Zeit in Berlin, in der Sommervorbereitung fehlten Sie offiziell aus "persönlichen Gründen". Es gab Berichte, wonach Sie einen Wechsel erzwingen wollten, weil Ihnen nicht ausreichend Spielzeit in Aussicht gestellt wurde. Wie blicken Sie mit etwas Abstand auf diese Zeit zurück und wären Sie gerne geblieben?

Samardzic: Natürlich wäre ich gerne geblieben. Ich habe ja immer gesagt, dass die Hertha mein Zuhause und meine Liebe ist - bis heute. Ich habe der Hertha sehr viel zu verdanken. Leider hat am Ende nicht alles gepasst. Es gab viele Gründe, über die ich auch schon gesprochen habe. Das will ich abhaken und nicht mehr darüber reden.

GERMANY ONLY: LAZAR SAMARDZIC HERTHA BSCimago images / Metodi Popow

Es gab bereits damals Gerüchte über einen Wechsel nach England oder Italien, die Wahl fiel letztlich auf Leipzig. War der damalige RB-Trainer Julian Nagelsmann ein Hauptgrund für die Entscheidung?

Samardzic: Er war auf jeden Fall ein Grund, weil er mich angerufen hat und ich ihn so im Vorfeld bereits besser kennenlernen konnte. Auch die Nähe zu Berlin hat eine Rolle gespielt. Ich war ja erst 18 und wollte damals noch keinen allzu großen Schritt ins Ausland machen. Leipzig ist auch ein großer Verein, Nagelsmann wollte mich und so war das für mich der logische Schritt.

In Leipzig sind Sie in Ihrer einzigen Saison sieben Mal in der Bundesliga zum Einsatz gekommen, zwei Mal in der Startelf. Wie bewerten Sie die Zeit im Rückblick?

Samardzic: Ich habe sehr viel gelernt. Natürlich hätte ich lieber mehr gespielt, der Trainer hatte es mir eigentlich auch so versprochen. Ich weiß allerdings, dass es auch für ihn sehr schwer war, weil wir als Mannschaft sehr gut waren in diesem Jahr und die Spieler auf meiner Position starke Leistungen gebracht haben. Trotzdem durfte ich ein paar Mal von Beginn an spielen, was auch hier in Italien lange gedauert hat. Das weiß ich sehr zu schätzen. Ich bin als Sportler und auch neben dem Platz gereift, musste auf einmal alleine klarkommen. Vor allem Benjamin Henrichs hat mir da außerhalb des Fußballs sehr geholfen, mich optimal einzufinden.

Waren Sie mit Nagelsmann oft im Austausch, um Erklärungen zu bekommen, warum es nur für einen Bankplatz reicht und was noch besser werden muss?

Samardzic: Ein täglicher Austausch war da nicht nötig. Ich wusste, wo ich bin und dass die Konkurrenz riesig ist. Deswegen war es klar, dass ich eher von der Bank komme und war erstaunt, als ich dann doch mal in der Startelf stand. Ich hatte nicht damit gerechnet.

Wie haben Sie Nagelsmann als Typ wahrgenommen?

Samardzic: Er hat viele Dinge deutlich anders gemacht, als ich es bis dahin kannte. Herausgestochen ist, dass er uns im Training viel mehr Aufgaben gestellt hat, bei denen man den Kopf anstrengen musste. Er hat mit Farben gearbeitet, extrem auf die Kontaktanzahl geachtet - generell ging es sehr häufig darum, im Kopf schnell zu sein. Das hat ihn ausgezeichnet. Auch waren die Übungen perfekt an den Gegner angepasst. Man erkannte schnell, dass alles einen Sinn ergab. Er bringt einfach alle Fähigkeiten mit, die man als Trainer braucht.

Glauben Sie, dass ihm in München der Umgang mit den großen Stars Probleme bereiten könnte?

Samardzic: Auf keinen Fall. Er hat ein sehr enges Verhältnis zu den Spielern und sucht immer den Austausch. Er ist noch sehr jung. Das macht es sicherlich einfacher, mit den Spielern auf Augenhöhe zu sprechen.

Nagelsmann hat einmal - nachdem er Sie außerdem ausgiebig gelobt hatte - über sie gesagt: "Ihm fehlt der Punch, das Entscheidungs-Gen, die Männlichkeit, um sich in der Bundesliga richtig durchzusetzen. Er muss flinker und aktiver in seinem Laufverhalten werden." Konnten Sie diese Aussage nachvollziehen?

Samardzic: Wenn ich mich heute mit der Zeit in Leipzig vergleiche, gibt es einen deutlichen Unterschied. Vielleicht war ich damals auch noch nicht so bereit und fit, wie ich es mittlerweile bin. Deshalb kann ich das nachvollziehen. Ich musste noch an mir arbeiten und muss es auch immer noch. Ich sehe meine Qualitäten eindeutig auf der Zehn am besten aufgehoben, um meine Kreativität ins Spiel einzubringen, aber auch aufgrund meiner Abschlussstärke. Spätestens in Italien habe ich aber gelernt, alle möglichen Positionen im Mittelfeld zu spielen, ob Sechser, Achter oder auch im rechten Mittelfeld. Meine Stärken liegen zwar in der Offensive, aber auch in der Defensive habe ich mich verbessert.

Samardzic: Leipzig "wollte die Konkurrenz nicht stärken"

Seit 2021 stehen Sie bei Udinese Calcio unter Vertrag, drei Millionen Euro zahlte der Klub an Leipzig. Bei RB konnte man Ihnen nicht die Spielzeit versprechen, die Sie in Ihrem Alter benötigen. Warum wurde es schließlich Udine?

Samardzic: Leipzig wollte mich ungern zu einem anderen Verein in der Bundesliga abgeben, um die Konkurrenz nicht zu stärken. Da ich auch einige Anfragen aus dem Ausland hatte, war das für mich kein Problem. Udine wollte mich unbedingt haben. Sie bewegen sich meist im Mittelfeld der Serie-A-Tabelle. Ich kann also ohne allzu viel Druck spielen und mich weiterentwickeln. Deshalb dachte ich, dass der Verein perfekt zu mir passt, weil ich die Möglichkeit habe, viel mehr zu spielen. Es war bisher leider nicht viel mehr als in Leipzig, aber zumindest ein wenig.

Bei Ihrer ersten Einwechslung im September 2021 gegen Spezia Calcio erzielten Sie direkt das Siegtor, im ersten Jahr kamen Sie auf 22 Spiele, meist als Einwechselspieler.

Samardzic: Es war so abgesprochen, dass das erste Jahr vor allem der Eingewöhnung dienen soll. Jetzt erhoffe ich mir, dass die Spielzeit deutlich mehr wird, weil ich dazu bereit bin. Bereits am Ende der vergangenen Saison wurde ich regelmäßiger eingesetzt. Ich habe im Training gemerkt, dass ich mich steigern konnte und habe auch vom Trainer die Rückmeldung bekommen, dass ich es verdient habe, mehr zu spielen.

Samardzic UdineseGetty Images

Der Vertrag von Cheftrainer Gabriele Cioffi wurde nach der abgelaufenen Saison nicht verlängert, mit Andrea Sottil hat ein ehemaliger Udine-Spieler übernommen. Ungünstig für Sie, weil Sie sich unter Cioffi gerade in der Rangordnung nach vorne gearbeitet hatten?

Samardzic: Das ist im Fußball ja nichts Ungewöhnliches, dass es personelle Veränderungen gibt. Ich habe immer noch das Gefühl, dass dieses Jahr deutlich besser als das letzte wird. Ich habe zuletzt gegen die Roma mein erstes Spiel von Anfang an nach längerer Zeit gemacht, habe getroffen, wir haben 4:0 gewonnen - dann darf man auch mal mit sich zufrieden sein. Auch gegen Sassuolo konnte ich nach meiner Einwechslung kurz vor Schluss einen wichtigen Treffer erzielen. Das Selbstvertrauen aus diesen Spielen nehme ich mit in die kommenden Wochen.

Wie würden Sie Udinese Calcio charakterisieren?

Samardzic: Der Verein wird sehr familiär geführt, jeder kennt jeden. Es ist sehr einfach, hier zu arbeiten, weil dir wirklich alles geboten wird. Was wirklich krass ist: Du bekommst rund um die Uhr etwas zu essen, was auch immer du willst - morgens, mittags, abends. In Leipzig war das auch schon ähnlich, aber in Italien ist das eigentlich nicht üblich. Was das Sportliche angeht, ist die Philosophie darauf ausgelegt, selbst aktiv Fußball zu spielen. Mit Gerard Deulofeu und Roberto Pereyra, die früher bei Barca und Juve waren, sind einige große Namen dabei. Deshalb wird auch ein Platz im internationalen Wettbewerb angepeilt. Es gibt aber kein konkretes Ziel, das ergibt sich im Laufe der Saison.

Wie groß war der Schritt nach Italien für Sie?

Samardzic: Ich war bereits in Leipzig ein Jahr allein, aber natürlich war der Wechsel zu Udine in dieser Hinsicht nochmal eine andere Hausnummer - anderes Land, andere Sprache. Meine Familie und Freundin haben mich oft besucht und das Ankommen für mich erleichtert. Auch meine Mitspieler sind eine große Hilfe. Ich habe serbische Wurzeln, hier gibt es viele Spieler vom Balkan und mit Tolgay Arslan auch einen Deutschen.

Für den DFB sind Sie bereits in der U16, U17 und U20 aufgelaufen, im Juni haben Sie Ihr Debüt für die U21 in der EM-Qualifikation gegeben und auch dort direkt gegen Ungarn getroffen. Wie sehen Sie dort Ihre Rolle?

Samardzic: Natürlich habe ich die Hoffnung, 2023 bei der EM dabei zu sein. Ich freue mich über jeden Einsatz für Deutschland. Im Vorjahr hatte ich mich mit U21-Trainer Antonio Di Salvo ausgetauscht. Er meinte, dass es schwierig für ihn ist, mich einzuladen, wenn ich nicht regelmäßig im Verein spiele. Deshalb war ich erstmal nur bei der U20, damit die Trainer dennoch meine Entwicklung verfolgen können. Dort habe ich überzeugt, wurde für den nächsten U21-Lehrgang auf Abruf nominiert und durfte aufgrund von Verletzungen einspringen.

Lazar Samardzic Germany U20Getty

Der serbische Verband soll immer mal wieder bei Ihrem Vater nachgefragt haben, ob Sie sich einen Verbandswechsel vorstellen können. Wie ist der Stand?

Samardzic: Damit habe ich mich kaum beschäftigt. Ich weiß, dass die Anfragen da sind, aber habe klar gesagt, dass ich auf Deutschland fokussiert bin. Ich habe noch Zeit, eine endgültige Entscheidung zu treffen, erst einmal gelten meine Gedanken nur dem DFB. Ich bin stolz darauf, für das deutsche Team zu spielen, aber natürlich bin ich auch stolz auf meine Wurzeln und da meine Familie aus Serbien kommt, fühle ich mich selbstverständlich auch als Serbe."

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