GFX Quote Benedikt HöwedesGoal

Höwedes-Entmachtung: Tedescos Weg auf Schalke verschont niemanden


HINTERGRUND

"Stopp", schallt es quer über den Trainingsplatz des FC Schalke 04. Wie so oft unterbricht Domenico Tedesco eine seiner Übungen und erklärt lautstark, mit klarer Stimme was er von seiner Mannschaft verlangt. Wild mit den Armen gestikulierend, zeigt er dabei in Pep-Guardiola-Manier auf einzelne Spieler und erklärt mögliche Lauf- und Passwege, bis es wirklich jeder Profi verinnerlicht hat.

Nach inzwischen sieben Wochen im Amt bekommen Spieler und Umfeld allmählich eine Vorstellung davon, wie Tedesco den Fußball auf Schalke plant. Denn schon beim Betrachten der Trainingseinheiten fällt auf, dass der 31-Jährige auf dem Feld nahezu nichts dem Zufall überlassen möchte. Für jede Situation versucht Tedesco, seinen Schützlingen einen Plan mit an die Hand zu geben.

Nachdem der Coach zuletzt von Sportvorstand Heidel, Spielern und der Presse stets für die Akribie und Leidenschaft, mit der er seine Vorstellungen vermittelt, gelobt wurde, gab es am vergangenen Wochenende erstmals kritische Stimmen. Grund: Ohne Vorwarnung erklärte Tedesco auf einer Pressekonferenz, dass Benedikt Höwedes nicht länger Kapitän der Mannschaft sein wird.  

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Keine Rücksicht auf große Namen

"Wir möchten nicht, dass sich die Mannschaft hinter Höwedes versteckt. Wir wollen die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen", erklärte Tedesco die überraschende Entmachtung des Weltmeisters. Statt allein Höwedes sollen in Zukunft vor allem Neu-Kapitän Ralf Fährmann und sein Stellvertreter Leon Goretzka in den Fokus rücken und Schalke auf und neben dem Platz prägen.

Es sei "keine Entscheidung gegen Höwedes", führte Tedesco aus. Dieser bleibe "dennoch ein enorm wichtiger Baustein für uns". "Wir haben den allergrößten Respekt vor Höwedes als Mensch und Spieler", begründete er weiter und machte dabei erstmals öffentlich klar, dass den großen Worten auch Taten folgen sollen. Denn mit dem Ziel, Schalke wieder erfolgreich zu machen, sind zwangsweise auch Änderungen verbunden. Dass der Trainer-Rookie dabei keinen Halt vor großen Namen macht, musste nun auch das Schalker Urgestein feststellen.

Doch trotz der durchaus plausibel klingenden Erklärung von Tedesco bleibt die Frage, warum er es kurz vor Saisonstart derart wichtig erachtet, den wohl größten Star des Kaders bewusst zu schwächen und zwangsweise auch öffentlich an den Pranger zu stellen. Denn auch die lobenden Worte über den menschlichen Wert von Höwedes können nicht kaschieren, dass der Verteidiger mit der Entmachtung mehr verliert als nur das Recht, vor dem Anstoß die Platzwahl auszuführen.

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Sportlich nicht mehr unantastbar

Viel mehr zeigt es, dass der Innenverteidiger auch sportlich längst nicht mehr unantastbar ist. Denn aufgrund seiner spielerischen Defizite ist der Nationalspieler im 3-4-3-System von Tedesco nicht mehr zwingend gesetzt. Neben den etablierten Matija Nastasic und Naldo machte auch Neuzugang Pablo Insua in der Vorbereitung auf sich aufmerksam. Zudem überraschte mit Benjamin Stambouli ein vermeintliche Transfer-Flop aus der letzten Saison. Statt auf der Sechs agierte der Franzose zumeist auf der Höwedes-Position rechts in der Dreierkette und überzeugte dabei vor allem spielerisch – gut möglich, dass diese Variante zukünftig auch in der Liga zum Einsatz kommt, zumal Höwedes nach Leistenoperation und aktuell Fersenproblemen längst noch nicht auf Top-Niveau agiert.

Sollte der langjährige Spielführer in der kommenden Saison tatsächlich nicht immer erste Wahl sein, ist Tedesco mit seiner sofortigen Entscheidung, ihn zu entmachten, zugleich ständigen Diskussionen aus dem Weg gegangen. Denn würde er seinen Kapitän im Ligabetrieb auf der Bank schmoren lassen, ergäben sich zwangsweise Diskussionen und Spekulationen um den 29-jährigen Defensivmann. Diese umgeht der Verein durch die frühzeitige Bekanntgabe, die für klare Verhältnisse sorgt.

Als weiteren Grund, für die Ernennung eines neuen Spielführers nennt die Bild Differenzen innerhalb der S04-Kabine. So will die Zeitung erfahren haben, dass der Mannschaftsrat zuletzt kritisch bei Sportvorstand Heidel vorstellig wurde, um sich über die Strapazen der China-Reise zu beschweren. Während Naldo, Guido Burgstaller, Goretzka und Fährmann ihren Unmut über die Gründe der Marketingreise Luft gemacht haben sollen, hielt Höwedes sich als eigentlicher Wortführer der Gruppe auffällig zurück, was im Team nicht gut angekommen sein soll.

Höwedes: "Teile die Entscheidung nicht"

Nun bleibt abzuwarten, wie der Innenverteidiger auf die Maßnahme seines Trainers reagiert. In einem Statement, welches er in den sozialen Medien postete, erklärte er ehrlich, dass er die Entscheidung "nicht teile", aber "natürlich zu akzeptieren habe." Weiter wolle er sich als "Kumpel und Malocher auf und neben dem Platz für den Verein, für die Mitarbeiter, für die Mannschaft und die Fans zu zerreißen."

Wie lange er tatsächlich noch für Königsblau aufläuft, wird nun wohl vor allem von der kommenden Spielzeit abhängen. Dort wird sich zeigen, ob man den wertschätzenden Worten von Tedesco noch lange Glauben schenken kann und Höwedes weiter wichtiger Bestandteil der Mannschaft ist, oder ob die Entmachtung nur der erste Schritt auf dem Weg zum leisen Abschied des einstigen Chef-Malochers aus Gelsenkirchen ist.

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