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FC Liverpool - Jürgen Klopps Co-Trainer Peter Krawietz im Interview: "Ich habe für diese Mannschaft gar nicht genügend Worte"

Im Interview mit GOAL und SPOX vor dem Champions-League-Finale gegen Real Madrid (Samstag, 21 Uhr im LIVE-TICKER) spricht Krawietz über die Hintergründe von Jürgen Klopps Vertragsverlängerung, den Stress seines Berufs und nennt die Ursachen für die sehr erfolgreiche Saison der Reds.

Zudem äußert sich der 50-Jährige zur anfänglichen Kritik an Thiago, den hohen Belastungen für die Spieler und erklärt, weshalb seine erste Pressekonferenz eine "kuriose Angelegenheit" war.

Herr Krawietz, als Jürgen Klopp kürzlich seinen Vertrag in Liverpool um zwei Jahre bis 2026 verlängerte, begründete er das unter anderem damit, dass seine Frau Ulla bleiben möchte. Wie sah es denn bei Ihrer Frau aus?

Peter Krawietz: Nach ein paar Gesprächen mit ihr war relativ klar, dass das auch für sie und uns vorstellbar ist. (lacht) Es war über lange Zeit der festgelegte und bis dahin verfolgte Plan, bis 2024 zu bleiben. Dann geht natürlich die Zeit dahin, und man merkt, dass es sehr gut läuft und wir eine Mannschaft mit großartiger Perspektive haben. Wir empfinden uns alle als absolut privilegiert, dass wir in einem Beruf, der von schnellen Wechseln und großen Unsicherheiten begleitet ist, über solch lange Zeiträume planen und überlegen dürfen. Das ist ja sonst leider die Ausnahme.

Wie lange ging denn der gesamte Prozess des Überlegens?

Krawietz: Wie es halt so ist im Fußball, geht es manchmal ziemlich flott. Von der ersten Idee bis zur finalen Umsetzung dürften rund drei Wochen vergangen sein.

Gab es etwas, was Sie hat zögern lassen?

Krawietz: Nein, aber man muss schon genau darüber nachdenken, wenn man bereits so lange an einem Ort ist. Einer der Vorteile ist natürlich, dass wir hier ein gewachsenes System haben. Man muss aber auch überprüfen, wie hoch der eigene Energielevel ist, damit man die Aufgabe noch vier Jahre angehen kann. Dazu stellt man sich Fragen wie: Ergibt das auch für den Klub und die Mannschaft Sinn? Wie könnte man dieses Team weiterentwickeln?

Peter Krawietz Jürgen Jurgen Klopp FC Liverpool 21102015Getty Images

Peter Krawietz: "Sollte Jürgen einmal eine Pause einlegen ..."

Sie sind jetzt seit 21 Jahren im Profifußball unterwegs, bis auf die drei Monate zwischen dem Aus beim BVB und dem Beginn in Liverpool hatten Sie keine Pause. Wie steht es denn um Ihr Energielevel?

Krawietz: Wir sind von morgens bis abends im Kopf mit unserem Job beschäftigt. Man hat die Zeitpläne im Hinterkopf und weiß stets, bis wann etwas fertig sein muss. Diesen Druck hat man rund um die Uhr, und das ist durchaus belastend. Speziell in einer überaus erfolgreichen Saison wie der aktuellen, in der wir in kurzen Abständen sehr viele Spiele bestreiten durften. Es kann keiner von der Hand weisen, dass das an die Substanz geht. Durch viele Mitarbeiter, Disziplin, Organisation und Planung - auch der Ruhepausen - ist es zwar intensiv und maximal anstrengend, aber dennoch machbar. Ich freue mich durchaus auf Pausen und die freien Phasen, wir haben jedoch alle noch das Gefühl, dass wir der Sache gewachsen sind.

Klopp sagte auch, es sei ausschlaggebend für seinen Entschluss gewesen, dass mit Pep Lijnders und Ihnen seine beiden Co-Trainer ebenfalls bereit waren, zu bleiben. Können Sie für sich eigentlich ausschließen, jemals irgendwo ohne Klopp zu arbeiten?

Krawietz: Solange er möchte und wir beide das Gefühl haben, es ergibt Sinn, dass ich in seinem Team an seiner Seite arbeite, werde ich das tun. Was mit mir in einem Moment passiert, sollte Jürgen einmal eine Pause vom Trainerberuf einlegen wollen, wäre dann zu überlegen.

Lijnders ist noch nicht so lange an Klopps Seite wie Sie. Können Sie uns den Niederländer einmal näher bringen?

Krawietz: Während ich die analytischen Teile übernehme, arbeitet Pep in erster Linie die Trainingsinhalte aus und bereitet die Einheiten vor. Was ihn auszeichnet, ist seine pure Begeisterung für den Job und die große Phantasie, mit der er die Einheiten trotz ähnlicher inhaltlicher Themen gestaltet. Er bringt eine große Vielfalt in die Übungen. Gerade in der Hinsicht, dass wir dabei auch immer spielrelevante Themen mitverarbeiten. Diesen Zusammenhang mit großer Variation herzustellen, gehört auf jeden Fall zu seinen Stärken.

Als wir im Juli 2020 das letzte Mal miteinander sprachen, war auch die Corona-Pause ein Thema. Sie sagten damals, sie hätten in dieser Zeit "über unser Spiel nachgedacht". Daraus sei dann "etwas Grundsätzliches entstanden". Was war das genau?

Krawietz: Das ist im Grunde das, was wir ständig machen. Wir haben unsere strategischen Ideen, wie unser Spiel in beide Richtungen aussehen soll. Das Bild, das wir von unserem idealen Fußball im Kopf haben, steht also und ist quasi unverrückbar. Was sich dagegen ändert, sind die taktischen Maßnahmen: Wie bekommen wir einen konstruktiven Spielaufbau unter hohem oder auch unter gar keinem Gegnerdruck hin? Dahingehend müssen wir uns ständig anpassen und neue Lösungen finden. Das ist ein konstanter Prozess, eine ständige Weiterentwicklung in der täglichen Arbeit.

Heißt: Wenn man beispielsweise ein Angriffsmuster entwickelt hat, wird das der Gegner irgendwann gelesen, verstanden und sich daran angepasst haben. Und dann sind Sie wieder am Zug, darauf zu antworten?

Krawietz: Genau, durch weitere kleine Verschiebungen. Das passiert täglich und in jeder Spielvorbereitung neu. Es geht stets darum, im nächsten Spiel die optimalen Lösungen für uns zu antizipieren und vorzubereiten - ob in Ballbesitz oder im Verteidigungsverhalten. Egal, wie erfolgreich man ist: Auf diesem Gebiet gibt es immer, immer, immer den Raum und die Möglichkeit, sich zu verbessern. Es geht letztlich darum, nicht ausrechenbar zu sein und den Gegner in irgendeiner Form zu überraschen.

Jurgen Klopp Peter Krawietz Liverpool 2019Laurence Griffiths

Krawietz: "Mannschaft hat in England Einmaliges vollbracht"

Im Vorjahr wurde Liverpool in der Premier League mit 17 Punkten Rückstand auf die Spitze Dritter und schied im Champions-League-Viertelfinale aus. Nun hat man den Carabao Cup und den FA Cup gewonnen, steht im CL-Endspiel und hat als Vizemeister 23 Punkte mehr in der Liga gesammelt als vor zwölf Monaten. Wie kam diese Steigerung zustande?

Krawietz: Um die aktuelle Saison zu verstehen, müssen wir zunächst über die vergangene sprechen. Diese war von maximalen Schwierigkeiten geprägt. Uns sind speziell in der Hinrunde sämtliche Innenverteidiger ausgefallen: Virgil van Dijk, Joel Matip, Joe Gomez - sie alle waren längerfristig verletzt. Das war in der Fülle schon ein Desaster. Dies mussten dann andere Spieler kompensieren und öfter spielen, teilweise auch auf für sie ungewohnten Positionen. Dies löste wiederum die typische Spirale aus: Es sind weitere Verletzungen hinzugekommen. Im zweiten Teil der Saison spielten wir mit jungen Innenverteidigern wie Nat Philipps, Rhys Williams oder Ozan Kabak. Am Ende haben wir empfunden - vielleicht auch noch mehr als die Außenwelt -, dass wir trotz einer ganz, ganz schwierigen Situation unser großes Ziel erreicht und uns noch für die Champions League qualifiziert haben. Das war für uns intern ein Riesenerfolg, den wir sehr hoch bewertet haben.

Wie also blicken Sie mit diesem Saisonverlauf im Hinterkopf auf die sehr erfolgreiche aktuelle Spielzeit?

Krawietz: Diese Erfahrungen haben uns geprägt. Es sind nicht nur die verletzten Spieler zurückgekehrt, wir konnten uns in einer langen und guten Vorbereitungsphase im Sommer auch sehr gezielt vorbereiten. Wir haben den Kader qualitativ wie quantitativ erweitert und uns viel besser aufgestellt als im Jahr zuvor. Es wurden tatsächlich alle Positionen doppelt besetzt. Vor diesem Hintergrund haben wir vom ersten Tag an gesagt, dass wir richtig angreifen wollen. Was diese Mannschaft in dieser Saison nun abgerissen hat, ist für mich absolut herausragend. Ich habe gar nicht genügend Worte dafür, wie bewundernswert es ist, was dieses Team fußballerisch und mental geleistet hat. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es möglich ist, in jedem Wettbewerb entweder Sieger zu sein oder bis zum Schluss um den Titel zu spielen. Diese Mannschaft hat im englischen Fußball Einmaliges vollbracht.

Krawietz: Thiago? "Wer das nicht sieht, dem ist nicht zu helfen"

Kurz nach der Corona-Pause wechselte Thiago vom FC Bayern nach Liverpool. Er hatte keinen leichten Start und wurde anfangs mehrfach kritisiert. Mittlerweile ist er nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Krawietz: Thiago ist der fleischgewordene Ballbesitz - als habe er sechs Brüder, mit denen er die ersten zehn Jahre seines Lebens ausschließlich Fünf gegen Zwei gespielt hat. (lacht) Wer nicht sieht, dass das ein unglaublicher Fußballspieler ist, dem ist nicht zu helfen. Er hat sich bewusst dafür entschieden, genau in Liverpool eine neue fußballerische Herausforderung anzugehen. Jeder, der nach England und auch nach Liverpool kommt, stellt dann aber fest, dass es hier ein bisschen anders zur Sache geht: andere Spielweise, stärkere Liga, höhere Intensität in allen Spielsituationen.

Lagen seine anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten vor allem daran, dass er in den Jahren zuvor in Barcelona und München eine andere Art von Fußball gewohnt war?

Krawietz: Da möchte ich widersprechen. Das ist keine andere Art von Fußball, sondern es sind genau dieselben Ideen. Auch in Barcelona und München beschäftigt man sich damit, wie man den Ball möglichst schnell zurückholt, um ihn möglichst lange in den eigenen Reihen zu haben. Die Mentalität des englischen Fußballs zusammen mit der großen Qualität der in jedem Team vertretenen Weltklassespieler ergibt einfach nochmal einen Extra-Schub an Intensität. Dass wir dann in Liverpool die eine oder andere Besonderheit haben, wie wir im Detail verteidigen wollen, daran hat er sich anpassen müssen. Das geht über Kommunikation, Videostudium, Training. Das war jedoch ein ganz normaler Prozess, an dem er sich sehr aktiv beteiligt hat.

Sie sprechen von einem normalen Prozess, für viele englische Medien war der bereits frühzeitig vollzogen und das Urteil gesprochen: Thiago passe nicht zu Klopps Fußball.

Krawietz: Dass es aber um eben diese Details geht, ist völlig normal und genau das, was die Aufgabe ausmacht. Jeder, der in eine neue Mannschaft mit einer wie bei uns gewachsenen Struktur kommt, in der das Team seit Jahren mit demselben Trainer an diesen Details arbeitet, sieht sich damit konfrontiert. Dieser Prozess dauert mal länger und mal kürzer. Länger besonders dann, wenn für solche Anpassungen aufgrund der vielen Spiele so gut wie keine Trainingszeit zur Verfügung steht. Zusammen mit dem medialen Hype und dem Druck, unter dem alle stehen, erlaubt man solche Prozesse nicht mehr und fällt stattdessen sehr frühzeitig ein Urteil. Das ist für uns, die an der Materie arbeiten, natürlich totaler Humbug.

Thiago Alcantara Liverpool 2021-22Getty

Stichwort Anpassungsfähigkeit: Die kennzeichnet auch den Spielstil von Real Madrid unter Trainer Carlo Ancelotti. Seit der K.o.-Phase der Champions League spielt Real anders als in der Primera Division: weniger dominanter Ballbesitz, mehr Konterfußball. Rechnen Sie im Finale mit einer erneut eher zurückgezogenen, abwartenden Herangehensweise?

Krawietz: Wir rechnen mit einem wahnsinnig starken Gegner. Real zeichnet seit Jahren der irre Erfahrungsschatz gepaart mit exzellenten jungen Spielern aus. Ein Finale ist immer nur ein Spiel und sehr häufig geprägt von abwechselnden Spielphasen, in denen sich beide Teams immer wieder ein Übergewicht erspielen. Davon gehe ich erneut aus. Real kann dominant sein, sie können allerdings auch tief verteidigen und gut kontern. Dazu haben sie Spieler, die in der Lage sind, ein Momentum zu kreieren, das das Team aufdrehen lässt. Gerade das hat Real in den Spielen der K.o.-Runde ja ausgezeichnet, dass sie sich aus schwierigen Momenten mit genialen Offensivaktionen befreit haben.

Krawietz: "Das geht einfach nicht, Stichwort Biologie"

Das CL-Endspiel wird das 63. Pflichtspiel der Reds in dieser Saison sein. Erstmal seit Ihrer Zeit in England fand zwischen dem 24. Januar und 5. Februar für zwei Wochen kein Spiel statt. Wie hat man in Liverpool diese Mini-Winterpause genutzt?

Krawietz: Da wir einige Spieler für die WM-Qualifikation in Südamerika und den Afrika Cup abstellen mussten, hatten nur ein paar Spieler ein freies Wochenende. Mir ist schon klar, dass es für all diejenigen, die diese Intensität nicht fühlen, schwer vermittelbar ist, und ich will auch gar nicht jammern. Doch die Belastung, der die Spieler ausgesetzt sind, ist und bleibt einfach zu hoch. Das ist schlicht und ergreifend Biologie. Es braucht viel mehr Ruhephasen, doch die gibt die Dichte des fast schon überquellenden Spielplans nicht her. Daher sind bei uns die Jungs, die vermeintlich in der zweiten Reihe stehen, die eigentlichen Spieler, die unseren Erfolg in dieser Saison möglich gemacht haben - weil sie funktionierten, wenn wir sie eingesetzt haben. Das hat den Unterschied für uns ausgemacht.

ur kommenden Premier-League-Saison sind erstmals fünf statt drei Auswechslungen erlaubt, wofür man nicht nur in Liverpool vehement gekämpft hat. Welche Änderung stünde als nächstes auf Ihrer Wunschliste?

Krawietz: Man kennt ja das Extrembeispiel: Ein Nationalspieler läuft in Südamerika in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um drei Uhr auf das Spielfeld, setzt sich anschließend ins Flugzeug und muss samstags um 12.30 Uhr bei einem Auswärtsspiel in England parat stehen. Das geht einfach nicht, Stichwort Biologie. Was ich daher sehr interessant fände: Dass man unabhängig von den Interessen der TV-Anstalten zwischen zwei Spielen eine gewisse Ruhepflicht von beispielsweise 72 Stunden für einen Spieler ansetzt, um ihn vor Verletzungen zu schützen. Ich weiß aber leider auch, dass dies wohl ein Wunsch bleiben wird.

Abschließend noch eine Frage mit einem Augenzwinkern: Als sich Klopp rund um den Jahreswechsel mit dem Corona-Virus infizierte, übernahmen Sie vor dem Pokalspiel gegen Shrewsbury erstmals die übliche Pressekonferenz. Wie war's und wie fiel Klopps Bewertung aus?

Krawietz: Positiv. Das war für mich kein Problem, aber eine verzwickte Situation. Wir hatten kurz zuvor eine Vielzahl an positiven Corona-Fällen zu beklagen und waren alle zu Hause, um uns zu isolieren. Das Spiel war aber unverrückbar, also mussten wir irgendwie eine Mannschaft basteln, die dort auflaufen konnte. Ich wurde angehalten, nicht zu verraten, wie viele und welche Spieler ausfallen oder zur Verfügung stehen. Doch das war freilich genau das Interesse an dieser PK. Das wurde daher eine kuriose Angelegenheit, weil ich stets sagen musste: Wir müssen die Situation abwarten! (lacht)

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