Louis Ngwat-Mahop im Interview: "Hummels meinte: 'Komm' Louis, heute gehen wir in die Disco!"

Louis Ngwat-Mahop spielte in der Saison 2006/07 für die Reserve des FC Bayern München, ehe er den Klub wegen eines gefälschten Passes verlassen musste. Im Interview mit GOAL und SPOX erzählt der 35-jährige Kameruner seine Geschichte.

Ngwat-Mahop berichtet, wie der Wechsel zum FC Bayern und die Passfälschung zustande kamen - und was er in München erlebt hat. Mit Mats Hummels war er in der Disco, Hasan Salihamidzic verpasste ihm den Spitznamen "Louis Vuitton". Heute ist Ngwat-Mahop an der Seite von Miroslav Klose Co-Trainer des österreichischen Bundesligisten SCR Altach.

Herr Mahop, Sie sind in Kamerun geboren und aufgewachsen, leben aber schon seit zehn Jahren im österreichischen Altach. Kannten Sie das Land als Kind?

Louis Ngwat-Mahop: Den Namen hatte ich als Kind schon mal gehört, aber mehr wusste ich nicht. Erstmals in Österreich war ich während meiner Zeit bei Bayern. Ich wollte schon im Herbst unbedingt Schnee sehen. Weil es in München noch keinen gab, bin ich nach Österreich gefahren, habe ihn mir angeschaut und bin zurückgefahren.

Was gefällt Ihnen an Altach?

Ngwat-Mahop: Ich mag die Ruhe und die Nähe zu den Bergen. Manchmal gehe ich wandern. Ich war auch schon beim Snowboarden, aber da bin ich immer hingefallen. Vielleicht probiere ich es irgendwann nochmal.

Mittlerweile arbeiten Sie als Co-Trainer beim österreichischen Erstligisten SCR Altach - aber wie fing alles an? Was sind Ihre ersten Erinnerungen an den Fußball?

Ngwat-Mahop: Wir haben immer auf einem kleinen Platz zehn Minuten von meinem Elternhaus entfernt gespielt. Als Bub war ich am liebsten Tormann. Wenn meine Mannschaft 0:1 in Rückstand geraten ist, bin ich aber in den Sturm gegangen. Dann habe ich ein Tor geschossen und bin ins Tor zurückgekehrt. Mein erster Verein war der Dragon Club de Yaounde. Ich habe ein paar Spiele für die Jugendmannschaft gemacht, durfte aber schnell zu den Erwachsenen. Die haben in der zweiten Liga gespielt.

Ngwat-Mahop: Beckenbauers Sohn spielt eine Wechsel-Rolle

2006 sind Sie im Alter von 18 Jahren zur Reserve des FC Bayern München gewechselt. Wie kam der Transfer zustande?

Ngwat-Mahop: Das lief über einen Spielerberater namens Yalla Krüger. Seine Familie stammt aus Kamerun, er hat aber in München gewohnt und hatte Kontakt zu Franz Beckenbauers Sohn. Sein Cousin lebte noch in Kamerun. Dort hat er mich zufällig spielen gesehen und Yalla von mir erzählt. Er kam dann nach Kamerun, um mich zu beobachten. Es wurde extra für mich ein Freundschaftsspiel zwischen zwei Erstligisten organisiert, bei dem ich als Gastspieler mitspielen durfte. Meine Mannschaft hat 1:0 gewonnen, ich habe das Tor gemacht.

GERMANY ONLY: LOUIS NGWAT-MAHOPImago Images

Wie ging es weiter?

Ngwat-Mahop: Nach dem Spiel habe ich mich kurz mit den beiden unterhalten. Yalla ist zurück nach Deutschland geflogen, sein Cousin ist mit mir in Kontakt geblieben. Irgendwann meinte er: "Wir können dich beim FC Bayern unterbringen." Das konnte ich natürlich nicht ablehnen. Gemeinsam mit seinem Cousin habe ich mir auf der Botschaft ein Visum besorgt. Als das geregelt war, bin ich nach Deutschland geflogen. Yalla hat mich vom Flughafen abgeholt und in seine Wohnung gebracht. Von dort konnte man zu Fuß zu Bayerns Trainingsgelände gehen.

Und dann haben Sie direkt einen Vertrag unterschrieben?

Ngwat-Mahop: Nein, erst musste ich mit drei anderen Stürmern ein einwöchiges Probetraining absolvieren. Einer von uns sollte verpflichtet werden. Beim ersten Training hat uns Hermann Gerland 20 Minuten lang über den halben Platz Zwei-gegen-Zwei spielen lassen. Das war wirklich anstrengend. Nach dem Training hat Gerland zu Yalla gesagt, dass ihm meine Körpersprache nicht gefällt, weil ich den Kopf immer hängen lasse. In Deutschland heißt das, dass man müde oder traurig ist - aber das war ich gar nicht. Am zweiten Tag habe ich meinen Kopf ganz hochgehalten.

Dürfte sich ausgezahlt haben.

Ngwat-Mahop: Nach dem einwöchigen Probetraining meinte Gerland, dass ich zu Bayern wechseln darf und alles mit meinem Berater geklärt wird. Ich musste aber erst zurück nach Kamerun, weil mein Visum abgelaufen war. Yalla hat den Vertrag ausgehandelt, er war über zwei Jahre, glaube ich. Ich habe nicht einmal nachgeschaut, wie hoch mein Gehalt ist. Für mich war es ein Traum, zu Bayern zu wechseln. Daheim habe ich allen erzählt, dass ich es geschafft habe und bald für Bayern spielen werde - aber die meisten haben es mir nicht geglaubt. Nach drei Wochen war alles geregelt und ich durfte zurück nach München.

Hatten Sie Angst?

Ngwat-Mahop: Nein, ich habe mich nur gefreut. Bis dahin war Fußball für mich Spaß. Jetzt wurde es ernst.

Wo haben Sie in München gewohnt?

Ngwat-Mahop: Am Anfang in einem Hotel, dann im Internat an der Säbener Straße und am Ende in einer eigenen Wohnung.

Wie haben Sie Ihre Freizeit verbracht?

Ngwat-Mahop: Die meiste Zeit war ich alleine zuhause. Weil ich nicht deutsch sprach, war ich am Anfang ein Außenseiter und hatte wenig Kontakt mit den anderen Spielern. Der Verein hat mir aber einen Sprachlehrer organisiert, mit dem ich jeden Tag zwei Stunden lang geübt habe. So wurde es schnell besser.

Mit welchem Kollegen hatten Sie am meisten Kontakt?

Ngwat-Mahop: Mit Stefano Celozzi habe ich mich manchmal getroffen. Einmal kam Mats Hummels mit zwei anderen Mitspielern zu mir und meinte: "Komm' Louis, heute gehen wir zusammen in die Disco! Du musst mitkommen!" Dann waren wir tatsächlich in der Disco. Wir haben viel getanzt. Mats konnte super tanzen. Es war ein lustiger Abend. Nach dem Training sind wir manchmal gemeinsam ins Restaurant gegangen.

Stichwort Restaurant: Mussten Sie sich in Sachen Ernährung umstellen?

Ngwat-Mahop: Ja, das war schwierig für mich. Als ich in Deutschland zum ersten Mal in ein Restaurant gegangen bin, habe ich Nudeln mit Tomatensauce bestellt. Die war aber viel süßer, als ich es gewohnt war. Ich konnte sie nicht essen. In den ersten Wochen habe ich immer im Hotel gegessen. Aber als ich im Internat und in meiner eigenen Wohnung gelebt habe, musste ich selbst kochen - aber das konnte ich gar nicht. Anfangs hatte ich immer nur Joghurt, Joghurt und Joghurt im Kühlschrank. Ich habe mich nicht gesund ernährt. Dann hieß es, ich solle mehr Gemüse essen. Ich kannte das deutsche Gemüse aber gar nicht. Ich wusste nichts mit Karotten oder Brokkoli anzufangen. Meistens habe ich Nudeln mit Tomatensauce gekocht.

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Hatten Sie Besuch von Ihrer Familie oder Freunden aus Kamerun?

Ngwat-Mahop: Nein, aber wir haben viel telefoniert - und das war teuer. Meine erste Telefonrechnung in Deutschland werde ich nie vergessen. Ich kann nur so viel sagen: Es waren mehrere tausend Euro. An meinem ersten Tag im Hotel habe ich gefragt, ob ich das Telefon im Zimmer benutzen darf. Und das durfte ich. Ich dachte, dass es immer gratis ist, aber das war es leider nicht. Aus dem Fehler habe ich gelernt. Wenn ich einen Afrikaner kennenlerne, der nach Europa wechselt, sage ich ihm immer als Erstes: Pass' auf mit den Telefonkosten!

Was war der schönste Moment Ihrer Zeit in München?

Ngwat-Mahop: Mein erstes Training bei den Profis. Am Montag kam Gerland zu mir und meinte: "Louis, diese Woche trainierst du nicht bei mir, sondern bei den Profis." Mats durfte gleichzeitig auch oben mittrainieren. Ich bin ohne Angst hingegangen und wurde gut aufgenommen. Hasan Salihamidzic kam als Erster zu mir und hat mich gefragt, wie ich heiße. Das habe ich ihm gesagt, dann hat er mir den Spitznamen "Louis Vuitton" gegeben.

Wer hat Sie im Training am meisten beeindruckt?

Ngwat-Mahop: Roy Makaay. Jeder Ball, den er bekommen hat, war kurz danach im Tor.

Am 33. Spieltag wurden Sie gegen Energie Cottbus eingewechselt und sind so zu Ihrem einzigen Profieinsatz für den FC Bayern gekommen. Hat Sie Trainer Ottmar Hitzfeld vorgewarnt?

Ngwat-Mahop: Nein, vor dem Spiel hat er nichts zu mir gesagt. Ich glaube, das war auch besser so. Sonst wäre ich zu nervös gewesen. Während des Spiels hat er mich vom Aufwärmen herbeigewunken und nur gesagt: "Du gehst jetzt rein."

Ihr Trainer bei den Amateuren war Hermann Gerland. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Ngwat-Mahop: Er hatte zwei Gesichter: eines als Mensch und eines als Trainer. Auf dem Platz war seine Stimme immer zu hören. Da wusste man sofort: Der Tiger ist da! Als Trainer war er sehr anstrengend.

Haben Sie ein Beispiel?

Ngwat-Mahop: Am Tag nach einem Spiel sind wir normalerweise locker gelaufen oder Fahrrad gefahren. Als er einmal wütend über unsere Leistung war, mussten wir aber eine Stunde lang um den Platz laufen. Pro Runde durften wir nicht langsamer als 1 Minute und 20 Sekunden sein.

Haben Sie das durchgehalten?

Ngwat-Mahop: Ja. Ich habe mir die ganze Zeit gedacht: Solange noch einer vor mir läuft, kann ich auch weiterlaufen.

Nach nur einem Jahr mussten Sie den FC Bayern verlassen. Grund dafür waren Probleme mit Ihrem Pass, die im Vorfeld einer Vorbereitungsreise nach Asien 2007 rausgekommen sind. Was ist genau passiert?

Ngwat-Mahop: Die Geschichte ist lange her und ich kann mich nicht mehr an jedes Detail erinnern. Bei meiner Ankunft aus Kamerun habe ich einen Aufenthaltstitel gebraucht, um in Deutschland spielen zu dürfen. Im Zuge dessen habe ich leider Menschen vertraut, die meinten, dass sie das für mich regeln. Ohne mein Wissen wurde dann ein französischer Pass für mich gefälscht.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ngwat-Mahop: Ich war unendlich traurig, weil ich wusste, dass ich deshalb nicht bei Bayern bleiben durfte. Ich musste für einen Fehler büßen, den ein anderer gemacht hat. Ich habe dadurch aber gelernt, dass ich über alle Dinge, die mich betreffen, immer Bescheid wissen muss.

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Wie ging es weiter?

Ngwat-Mahop: Ich wollte damals nur zurück nach Kamerun. Das habe ich auch Hermann Gerland erzählt. Er hat mich aber bestärkt durchzuhalten, er hat mir in dieser Phase enorm geholfen. Gerland war es auch, der mir wenig später von der Möglichkeit eines Probetrainings bei Red Bull Salzburg erzählte. Das wollte ich natürlich unbedingt nützen. Zunächst musste ich aber noch die Pass-Geschichte aus der Welt schaffen und meine Unschuld beweisen. Salzburg hat mich bei der Anhörung beim DFB super unterstützt. Dabei konnte ich den Beweis erbringen, dass ich mit der Passfälschung nichts zu tun hatte.

Ngwat-Mahop über Salzburg-Proteste: "Habe es nicht verstanden"

Wissen Sie, warum Ihnen Salzburg direkt eine Chance gegeben hat?

Ngwat-Mahop: Sagen wir so: Die zwei wichtigsten Personen von Salzburg und Bayern hatten einen guten Kontakt. (lacht)

Sie meinen wohl Uli Hoeneß und Dietrich Mateschitz. Gegen den Red-Bull-Boss und sein Engagement gab es unter traditionsbewussten Fußballfans großen Widerstand. Wie haben Sie das als Salzburg-Spieler erlebt?

Ngwat-Mahop: Ich habe das nicht verstanden. Für mich war es nur wichtig, dass ich in Europa Fußball spielen durfte. Alles andere war mir egal.

Was waren im Alltag die größten Unterschiede zwischen Salzburg und München?

Ngwat-Mahop: Die Sprache, das ist mir schon bei meinem ersten Einkauf in Salzburg aufgefallen. Ich habe bezahlt und die Kassiererin nach einer Tüte gefragt. Sie hat mich nicht verstanden, also habe ich es drei- oder viermal wiederholt. Dann hat sie einen Kollegen geholt und ich habe nochmal gesagt: "Kann ich bitte eine Tüte haben." Er hat gelacht und ihr gesagt, dass ich ein Sackerl will.

Nach kurzen Engagements bei Iraklis Thessaloniki und dem Karlsruher SC kehrten Sie 2012 nach Österreich zurück und wechselten zum SCR Altach. Mit 32 beendeten Sie Ihre Karriere und wurden Co-Trainer. War das ein lange gehegter Plan?

Ngwat-Mahop: Am Anfang meiner Karriere konnte ich mir nicht vorstellen, jemals als Trainer zu arbeiten. Aber je älter ich wurde, desto interessanter fand ich den Job.

Was reizt Sie daran?

Ngwat-Mahop: Als Trainer plane ich am Anfang der Woche, was ich trainieren lassen will. Wenn ich beim Spiel am Samstag sehe, dass es funktioniert, bin ich einfach nur froh. Außerdem liebe ich das Gefühl, am Fußballplatz zu stehen.

Was Sind Ihre Ziele als Trainer?

Ngwat-Mahop: Natürlich will ich irgendwann Cheftrainer sein. Ein paar Freunden habe ich angekündigt, dass ich in zehn Jahren Nationaltrainer von Kamerun bin. Da haben sie nur gelacht.

Würden Sie lieber die Nationalmannschaft von Kamerun trainieren oder den FC Bayern?

Ngwat-Mahop: Erst Bayern, dann Kamerun. (lacht)

Haben Sie noch Kontakt zu Leuten vom FC Bayern?

Ngwat-Mahop: Während meiner Zeit in Salzburg bin ich ein paar Mal nach München gefahren, um meinem ehemaligen Deutschlehrer und Hermann Gerland Hallo zu sagen. Sie waren in der schwierigen Zeit eine große Hilfe für mich. Mittlerweile habe ich nur mehr Kontakt zum "Langen".

Stefan Maierhofer, der damals ebenfalls in der Reserve gespielt hat?

Ngwat-Mahop: Ja, wir treffen uns manchmal und reden über unsere gemeinsame Zeit bei den Bayern. Als ich vom Internat in meine Wohnung gezogen bin, hat er mir geholfen. Er hatte ein Auto und konnte meine Sachen transportieren.

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