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Bernd Leno im Interview: "Will nicht sagen, dass ich ein Bauernopfer war, aber..."

Bernd Leno hat aktuell keinen leichten Stand. Der Torhüter hat seinen Stammplatz bei Arsenal verloren, kämpft aber gleichzeitig um seinen Platz im DFB-Team für die WM in Katar.

Im Interview mit GOAL und SPOX spricht Leno über den Moment seiner Degradierung, einen möglichen Abschied von Arsenal im Sommer und über die Gerüchte einer Rückkehr zu Bayer Leverkusen.

Außerdem erklärt der 30-Jährige das Erfolgsgeheimnis von Hansi Flick, warum ihm eine WhatsApp-Gruppe mit Ex-Milan-Spieler Alexander Merkel besonders wichtig ist und wie der überraschende Wechsel 2011 vom VfB Stuttgart nach Leverkusen ablief.

Herr Leno, mit Ihnen und den Chelsea-Spielern Kai Havertz, Timo Werner und Antonio Rüdiger gibt es eine deutsche Gruppe in London. Treffen Sie sich ab und zu?

Bernd Leno: Klar haben wir Kontakt und wir treffen uns auch ab und zu, das ist schon cool. Unsere Frauen sind auch miteinander befreundet. Mit Toni Rüdiger ist es ein bisschen schwieriger, weil er eine Familie hat.

Ist dabei auch schon so etwas wie eine Freundschaft entstanden?

Leno: Ja, natürlich. Ich glaube, das ist völlig normal, dass man über die Jahre Freundschaften entwickelt, die auch nach der Karriere noch bestehen. Ich bin mit den Jungs gut befreundet. Aber es gibt noch andere. Julian Brandt oder Danny Da Costa aus Leverkusener Zeiten, mit denen ich ich immer noch Kontakt habe. Ich glaube, das wird auch nach der Karriere noch so sein.

Sie spielen seit bald vier Jahren bei Arsenal. Wie würden Sie generell Ihre Zeit in London beschreiben. Ist die Stadt mittlerweile Ihre Heimat?

Leno: Meine Frau und ich fühlen uns hier auf jeden Fall zuhause und sehr, sehr wohl. Wir haben kein Heimweh und nicht das Gefühl, dass wir zurück nach Deutschland müssen - auch wenn man Familie und Freunde natürlich manchmal vermisst. Wir sind den Schritt bewusst gegangen. Sportlich war der Schritt nach London für meine Karriere natürlich super, aber auch privat war es das Beste, was uns passieren konnte.

Ihre Freundin Sophie und Sie haben standesamtlich geheiratet. Die eigentliche Hochzeit wurde wegen Corona zweimal verschoben, im Sommer soll es endlich so weit sein - wie groß ist die Vorfreude?

Leno: Riesig natürlich. Die große Party steht noch aus. Wir hoffen, dass nichts mehr dazwischen kommt. Wir sind schon beide aufgeregt.

Wie erlebten Sie Ihre Anfangszeit bei Arsenal?

Leno: Es war auf jeden Fall alles sehr aufregend. Ich hatte davor sieben Jahre in Leverkusen gespielt und hatte damit nur einen Profiklub. Arsenal war so gesehen erst mein zweiter Verein. Da war dann natürlich die Sprache, das Training und der Fußball ganz anders. Ich glaube, ich habe mich schnell angepasst, ich kannte ja auch Mesut Özil und Shkodran Mustafi aus der Nationalmannschaft, Sead Kolasinac und später Granit Xhaka aus der Bundesliga. Ich habe mich schnell zuhause gefühlt.

Nach schwachem Saisonstart läuft es bei den Gunners wieder. Wie erklären Sie sich den Turnaround?

Leno: Wir spielen einfach konstanter. Wir hatten einen Lauf, das Momentum auf unserer Seite und nur wenige Verletzte. Es lief dann einfach - bis heute. Wir stehen jetzt auf Platz fünf und haben Chancen auf den vierten Platz. Es ist sehr eng, ich glaube es ist noch alles möglich.

Für Sie persönlich läuft es dagegen nicht ganz so gut. Sie haben Ihren Stammplatz an Aaron Ramsdale verloren. Was dachten Sie, als Sie von der Entscheidung erfuhren?

Leno: Es war ein Rückschlag und ein bitterer Moment. Aber so ist der Sport, das muss man dann auch akzeptieren. Es war nicht leicht, aber ich konnte mich ja nicht selbst bemitleiden, wollte sofort wieder angreifen. Ich will nicht sagen, dass ich ein Bauernopfer war, aber wenn die Ergebnisse nicht stimmen, geht es im Fußball manchmal schnell. Der Trainer wollte einen neuen Impuls setzen - und danach kamen ja auch die Ergebnisse. Das war bitter für mich, denn ich hatte davor dennoch gut gehalten. Ich hatte so etwas in meiner Karriere zuvor ja nie erlebt. Ich habe aber nach vorne geschaut. Mein Anspruch ist es, immer zu spielen, ich weiß, was ich kann. Ich bin keine 20 mehr, wo ich vielleicht sagen könnte: 'Ich habe noch Zeit'.

Aaron Ramsdale Bernd Leno

War es schwierig, vom gesetzten Stammkeeper auf die Rolle des Herausforderers umzuschalten?

Leno: Klar ist das schwierig, weil man die Spannung immer hochhalten muss. Man kämpft auch ein bisschen gegen sich selbst und geht jedes Training wie ein Spiel an. Bei den wenigen Möglichkeiten, die man dann bekommt, muss man da sein. Genau so versuche ich es Woche für Woche, um auf den Punkt immer da sein zu können.

Hat Ihnen Trainer Mikel Arteta den Wechsel in irgendeiner Art und Weise begründet?

Leno: Im Endeffekt hat er gesagt, dass die Ergebnisse nicht gestimmt haben und er neue Spieler bringen möchte. Und wenn dann die Ergebnisse stimmen, ist es natürlich auch logisch, dass man in einer eingespielten Mannschaft nicht mehr so viel wechselt.

Es ging also gar nicht darum, dass Sie als Torhüter etwas hätten besser machen müssen?

Leno: Nein, das wurde mir gegenüber auch klar so kommuniziert, dass es nichts mit meinen Leistungen zu tun hatte und war auch deshalb zunächst schwer zu akzeptieren. Ich hatte in den Jahren davor immer gut gespielt, war so gut wie nie verletzt. Das trifft einen dann schon. Aber wie gesagt: Es gibt keinen Grund, sich selbst zu bemitleiden. Man muss nach vorne schauen und weiter an sich arbeiten. Das habe ich dann gemacht.

Vor gut drei Wochen standen Sie dann beim 1:0 gegen Aston Villa erstmals seit dem Sommer wieder in der Liga im Tor. Wie hat sich das angefühlt?

Leno: Man ist dann natürlich heiß wie Frittenfett. (lacht) Wir haben gewonnen, ich konnte in der letzten Sekunde noch einen Freistoß von Coutinho entschärfen. Danach kamen viele Spieler und Mitarbeiter zu mir und haben mir gratuliert und sich mit mir gefreut. Auch Verantwortliche vom Verein und der Trainer fanden es gut, dass ich mich davor professionell verhalten und die Mannschaft immer unterstützt habe. Natürlich habe auch ich ein Ego. Aber ich war nie ein Stinkstiefel und werde das auch nie sein. Ich will nicht durch Gequatsche ins Tor zurückkommen, sondern durch Leistung. Die bringe ich. So werde ich weitermachen.

Wie haben Sie der Mannschaft geholfen?

Leno: Auch wenn es schwer ist mit der Situation, bin ich immer mit einem Lächeln zum Training gekommen. Ich habe immer noch Spaß am Fußball und fühle mich nach wie vor sehr, sehr wohl bei Arsenal. Ich gebe immer Gas - für mich selbst, aber auch für die Mannschaft, in dem ich das Trainingsniveau hoch halte. Ich bin natürlich mit anderen Ambitionen in die Saison gegangen und weiß, dass es auch beim DFB schwer ist, wenn du nicht spielst. Ich hoffe natürlich, dass ich auf den WM-Zug noch aufspringen kann, wenn ich im Bestfall so schnell wie möglich wieder ins Tor zurückkomme. Genau dafür pushe ich mich jeden Tag.

Sie sprechen es an. Beim Debüt von Hansi Flick standen Sie noch zwischen den Pfosten, waren zuletzt aber nicht mehr nominiert. In der Rangordnung der Torhüter standen Sie damals auf Platz drei. Wo stehen Sie aktuell?

Leno: Dadurch, dass ich nicht mehr dabei war, bin ich natürlich hinten dran. Der Bundestrainer und der Torwarttrainer Andreas Kronenberg haben das aber auch offen und ehrlich kommuniziert. Sie stehen zu der Rangordnung, aber wenn man nicht spielt, kann man halt nicht beurteilt werden. Das so zu sagen, fand ich mega korrekt. Die WM ist nicht mehr so weit weg. Da dabei zu sein, gibt mir die Motivation, jeden Tag daran zu arbeiten, meinen Platz zurückzuerobern.

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Wie läuft der Austausch mit dem DFB?

Leno: Hansi Flick hat vor knapp zwei Monaten eine England-Tour gemacht und sich die deutschen Premier League-Spieler angeschaut und besucht. Wir haben uns getroffen und hatten ein gutes Gespräch. Mit Krone (Andreas Kronenberg, Anm. d. Red.) bin ich ohnehin ständig im Austausch. Sie hatten aber schon im November signalisiert, dass man spielen muss. Ich respektiere das voll und ganz und bin auch sehr dankbar, dass sie mir das so ehrlich gesagt haben, weil man dann weiß, wo man steht. Die Kommunikation ist sehr, sehr gut.

Müssten Sie Arsenal im Sommer nicht verlassen, wenn Sie weiterhin nicht spielen und die WM-Teilnahme nicht gefährden wollen?

Leno: Wie gesagt: Ich fühle mich bei Arsenal sehr, sehr wohl und habe noch ein Jahr Vertrag. Erstes Ziel muss es sein, hier zu spielen.

Ein Wechsel im Sommer ist aber nicht ausgeschlossen?

Leno: Ausschließen kann man sowieso nichts. Ich bin 30 Jahre alt, da könnte man denken, dass man trotz des Ehrgeizes und der Ungeduld vielleicht ein bisschen entspannter mit so einem Thema umgeht. Natürlich gibt es immer Anfragen. Aber wie gesagt, es geht darum, hier zu spielen. Das ist mein erster Anspruch. Wenn der Klub anders plant, muss er auf mich zukommen. Natürlich haben meine Agentur und ich die Situation im Blick.

Zuletzt gab es Gerüchte, Ihr Ex-Klub Bayer Leverkusen denke darüber nach, Sie zurück nach Deutschland zu holen. Könnten Sie sich das grundsätzlich vorstellen?

Leno: Ich habe das auch gelesen, weiß aber nichts davon. Da hieß es auch, ich würde unbedingt in mein Heimatland zurück wollen, aber das stimmt so nicht. Wie gesagt: Wir fühlen uns hier rundum wohl, auch wenn es für mich aktuell nicht so läuft.

Welchen Eindruck haben Sie von Hansi Flick?

Leno: Er hat einen frischen Wind reingebracht. Seine offene, direkte Art kommt sehr gut an in der Mannschaft. Er hat die Spieler auf seiner Seite, sie laufen für ihn. Fachlich ist er sowieso top. Die Ergebnisse waren gut und ich bin davon überzeugt, dass wir bei der WM auf jeden Fall zum Favoritenkreis dazugehören. Wir haben eine Top-Mannschaft und eine super Atmosphäre - und auch wenn es in den letzten Jahren nicht so lief, sind wir immer noch Turniermannschaft.

Viele beschreiben den Bundestrainer wegen seiner Art als Menschenfänger. Trifft es das?

Leno: Er hat eine sehr, sehr gute Bindung zu den Spielern. Ich war "nur" die Nummer drei. Er gibt mir aber das Gefühl, dass ich wichtig bin. Er kommt extra nach London, sagt dir klar, woran du bist, baut aber trotzdem keinen Druck auf. Er ermutigt vielmehr, seine eigenen Entscheidung zu treffen. Die Spieler zahlen das zurück. Ich bin mir deshalb relativ sicher, dass die WM ein Erfolg wird.

Leno: WM-Titel? "Wir brauchen uns nicht zu verstecken"

Ist das Zwischenmenschliche für einen Trainer heute noch wichtiger als früher?

Leno: Ich glaube, Julian Nagelsmann hat mal gesagt, dass zwei Drittel in der Arbeit eines Trainers das Menschliche betreffen. Ich bin davon überzeugt, dass das ein riesen Faktor ist. Fußball ist Kopfsache. Wir haben alle mal mit diesem Sport angefangen, weil wir Spaß daran hatten. Deswegen spielen solche Faktoren wie die Motivation oder das Klima innerhalb einer Mannschaft eine größere Rolle, als man denkt.

Welche Mannschaften gehören noch zu den WM-Favoriten?

Leno: Ich glaube, dass England auch dazugehört. Den EM-Titel haben sie ganz bitter nur knapp verpasst. Sie haben am Pokal geschnuppert und werden extrem viel Feuer haben. Sie haben eine goldene Generation, die jetzt auch schon über Jahre zusammen spielt. Brasilien hat eine Top-Mannschaft, auch Frankreich und Argentinien. Aber wie gesagt: Wir brauchen uns nicht zu verstecken.

Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu Familie und Freunden in Ihrer Heimat Bietigheim-Bissingen?

Leno: Sehr wichtig. Ich habe immer noch die gleichen Kumpels wie vor meiner Schulzeit. Auch viele Stuttgarter Jungs, mit denen ich in der Jugend beim VfB zusammengespielt habe, gehören zu meinem Freundeskreis. Wir treffen uns immer im Sommer, haben eine WhatsApp-Gruppe - 92er-Gruppe heiß die - der Kontakt ist nie abgerissen.

Gibt es noch andere Profispieler, die zur Gruppe gehören?

Leno: Ein paar gibt es. Alexander Merkel zum Beispiel, der früher bei Milan und beim VfL Bochum unter Vertrag stand. Oder Patrick Bauer, der aktuell bei Preston North End in der englischen 2. Liga spielt. Die anderen spielen heute unter anderem in Bissingen oder in Freiberg. Die Karrieren haben sich einfach in verschiedene Richtungen entwickelt. Ich bin froh, dass diese Freundschaften noch heute bestehen.

Bernd LenoN/A

Stimmt es, dass Sie mit Ihren Kumpels gerne zocken?

Leno: Ja, gerade während der Corona-Zeit habe ich das mit meinen Stuttgartern und Bietigheimern Jungs gerne gemacht. Man verabredet sich zum Zocken, quatscht nebenher und tauscht sich aus. Das macht Spaß und ich finde es auch wichtig, dass man in Kontakt bleibt.

Was wird dabei gezockt?

Leno: Zuletzt haben wir viel Formel 1 gespielt, dazu natürlich FIFA. Ich habe hier ja mit Freunden auch ein eigenes, professionelles Team aufgebaut. Mit leno-e-sports sind wir gut am Start.

Leno über den Abschied vom VfB und den Leverkusen-Wechsel

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit beim VfB zurück - und warum hat es für Sie dort nicht zum Profidebüt gereicht?

Leno: Ich hatte während meiner A-Jugend-Zeit schon rund 60 Drittliga-Spiele gemacht. Das war natürlich Gold wert für mich und das Beste, was mir hätte passieren können in diesem Alter. Während dieser Zeit konnte oder durfte ich aber nicht bei den Profis mittrainieren, weil der Klub im Abstiegskampf war. Sven Ulreich war gesetzt, weil er gut gehalten hatte. Im Sommer 2011 war ich dann so ein bisschen in der Vorbereitung oben mit dabei. Ich glaube, der Plan vom VfB war, dass ich Marc Ziegler nach und nach ablöse, er war damals die Nummer zwei.

Wie ging es weiter?

Leno: Weil die Drittliga-Saison ein paar Wochen vor der Bundesliga losging, stand ich da wieder im Tor. Natürlich war ich ziemlich enttäuscht, weil ich oben komplett dabei sein wollte. Ich habe das dann aber akzeptiert und wollte das Beste daraus machen. Und aus dem Nichts habe ich dann einen Anruf bekommen, dass Bayer Leverkusen mich haben will...

Was denkt man sich in so einem Moment? Damit konnten Sie ja nicht rechnen.

Leno: Nie im Leben. Ich weiß noch genau, dass mich mein Berater angerufen und gesagt habe, dass wir uns sofort treffen müssen. Ich habe dann erst überlegt, ob ich irgendwas angestellt habe. Dann hat er mir eben gesagt, dass Leverkusen mich holen möchte. Ich habe ihn dann gefragt, ob er die erste oder die zweite Mannschaft meint. Michael Reschke wollte mich unbedingt haben, Rene Adler hatte sich ja verletzt. Da war ich erst mal geschockt. Man weiß in dem Moment ja nicht, ob man schon so weit ist und das auch packt. So wie es dann gelaufen ist, war das der Jackpot für mich. Ich bin dem Verein und Michael Reschke noch heute dankbar, dass sie mich verpflichtet haben.

Nur wenige Wochen später feierten Sie direkt Ihr Debüt in der Champions League...

Leno: Das habe ich erst mal gar nicht realisiert. Mein erstes Spiel war in Bremen, das zweite ausgerechnet beim VfB - wo ich immer in die Kabine der Profis wollte - dann Dortmund und Augsburg und dann auf einmal Champions League gegen Chelsea. Mit Torres, Drogba, Czech und anderen Größen. Vier bis fünf Wochen davor spielte ich noch vor 2.500 Zuschauern in Regensburg. Das war wie im Film für mich. Es ist dann besser gelaufen, als ich im Vorfeld dachte. Der Mut - sowohl von Leverkusen als auch von mir - hat sich für beide ausgezahlt.

Verfolgen Sie Ihre beiden Ex-Klubs heute noch?

Leno: Leverkusen verfolge ich sehr intensiv. Wenn ich Zeit haben, schaue ich mir die Spiele schon an. Ich kenne noch viele Leute vom Staff, Simse (Simon Rolfes, Anm. d. Red.) und Kieß (Stefan Kießling, Anm. d. Red.) und ein paar Spieler. Der Kontakt ist schon noch da, Leverkusen ist mein Verein in Deutschland. Beim VfB kenne ich wirklich gar keinen mehr. Klar, Stuttgart ist meine Heimat. Aber die große Bindung zum Klub habe ich nicht mehr.

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