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"Kampfsuse" statt "Heulsuse": Andi Möllers Wechsel von Borussia Dortmund zum FC Schalke 04


HINTERGRUND

"Solche Transfers hätte es früher nicht gegeben." Mit Blick auf die Multimillionen-Wechsel von Neymar, Kylian Mbappe oder Paul Pogba fiel dieser Satz in den letzten Monaten immer wieder. Gerade die älteren Semester, können bei Summen jenseits der 100-Millionen-Marke nur noch genervt mit dem Kopf schütteln. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Vereinstreue noch großgeschrieben wird, lautet die allgemeine Meinung.  

Während heute dank der Macht des Geldes alles möglich scheint, gab es früher sowohl finanzielle als auch moralische Grenzen, die Transfers aus Sphären von Neymar und Co. verhinderten. Wer jedoch glaubt, "damals" ging es auf dem Transfermarkt langweilig zu, sieht sich getäuscht. Einen Beweis dafür liefert die Geschichte um den Wechsel von Andreas Möller, der als 32-Jähriger von Borussia Dortmund ausgerechnet zum Erzrivalen Schalke 04 wechselte. Es war im Jahr 2000 einer der spektakulärsten Bundesliga-Transfers aller Zeiten.

Denn Möller war um die Jahrtausendwende nicht nur irgendein Spieler, sondern nicht weniger als einer der besten deutschen Mittelfeldspieler seiner Zeit. Als Weltmeister, Europameister, Champions-League-Sieger und Weltpokalgewinner war er als Spielmacher zudem das Gesicht des BVB, was ihn rund 40 Kilometer westlich, in Gelsenkirchen, zur Reizfigur machte.

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Möller und Assauers Traum von Europa

Auch dank seiner unrühmlichen "Schutzschwalbe" oder unglücklichen Aussagen vor TV-Kameras, manifestierte sich der Hass und die Rivalität, die zu dieser Zeit zwischen den beiden Ruhrpottklubs herrschte, vor allem an Möller. Diese Abneigung ging derart tief, dass große Teile der S04-Fans alles taten, um den Namen des ehemaligen BVB-Taktgebers nicht in den Mund zu nehmen. Wenn also in und um Gelsenkirchen jemand von der "Heulsuse", dem "Weichei" oder auch nur von "Heintje" sprach, wusste sofort jeder, wer gemeint war.

Warum aber wechselt solch ein Spieler zum verhassten Rivalen und macht sein eigenes Leben freiwillig zum Spießrutenlauf, anstatt seine große Karriere ruhig ausklingen zu lassen? Der entscheidende Impuls für den Transfer war Schalkes Manager-Legende Rudi Assauer. "Ich dachte, verdammte Hacke, Möller! Vertrag läuft aus, ablösefrei, wupp. Das ging ratzfatz", erklärte der exzentrische Zigarrenliebhaber seinen Gedankengang. Denn Assauer war Möllers Image in erster Linie egal. Er sah in ihm nur einen etwas in die Jahre gekommenen Weltklassespieler und seinen Traum vom internationalen Fußball in der nagelneuen Arena auf Schalke. Da spielte es dem S04-Boss in die Karten, dass die Borussia mit einer Vertragsverlängerung zögerte und ihm bei einer möglichen Verlängerung die Bezüge kürzen wollte.

Und obwohl Möller den Anruf von Assauer zunächst für einen Scherz hielt, verabredeten sich der Spielmacher und die Schalker Chefetage zu einem Geheimtreffen in der Privatwohnung von S04-Vorstandsmitglied Peter Peters. "Andy hat bei diesem Treffen den neuen Vertrag auf Schalke unterschrieben. Ich weiß noch, wie ich die Gardinen zugezogen habe, damit keiner etwas mitbekommt", lacht Peters heute über den vielleicht spektakulärsten Transfer seiner Zeit.

Assauer riskierte eine Spaltung des Vereins

Als diese Einigung wenig später an die Öffentlichkeit gelang, brach etwas aus, was man heute wohl als schweren Shitstorm bezeichnen würden. Im Videotext, den Nachrichten oder im Radio aufgeschnappt, verbreitete sich die Meldung auch ohne soziale Medien innerhalb von wenigen Minuten, was etliche gefallene Mundwinkel und große Augen zur Folge hatte. Egal ob bei schwarz-gelb oder blau-weiß, nahezu jeder hinterfragte den Verstand von Manager Assauer.

Während sich die Verachtung der BVB-Fans in erster Linie auf den vermeidlichen Söldner Möller konzentrierte, stand der Zigarre rauchende Macho Assauer in der Schusslinie der Schalker. Obwohl er sich darüber im Klaren war, welche Folgen solch ein Transfer haben könnte, nahm er in Kauf, dass binnen weniger Stunden hunderte Protestanrufe aufgebrachter Fans in der Geschäftsstelle am Berger Feld eintrafen und fast ebenso viele Anhänger ihren Vereinsaustritt unterschrieben – langjährige Fans, die zum Teil noch die großen Meisterschafen in den 1930er-Jahren erlebt hatten, kehrten ihrem Verein den Rücken. Alles wegen diesem Transfer.

Deshalb war es kein Wunder, dass sowohl Möller als auch Assauer während der ersten Bundesligaspieltage viel Kritik einstecken mussten. Plakate mit Aufschriften wie "Assauer und Möller, verpisst euch!" oder "Zecke Möller, willkommen in der blau-weißen Hölle" waren im August und September 2000 keine Seltenheit.

ONLY GERMANY Andreas Moller Christian Nerlinger FC Schalke 04 Borussia DortmundImago
Andreas Möller (r.) spielte zwischen 2000 und 2003 112-Mal für den FC Schalke 04 (11 Tore)

"Ohne Möller, habt ihr keine Chance"

Einen ersten Sinneswandel für viele S04-Fans gab es am 23. September, nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund. Während Möller über 90 Minuten konsequent ausgepfiffen wurde, dirigierte er das Spiel wie zu besten Juventus-Tagen und war für viele der beste Mann auf dem Platz, als Schalke eine Derby-Sternstunde erlebte, von der noch Jahre später gesprochen werden sollte. 4:0 gewann Königsblau an diesem Tag im Westfalenstadion und obwohl er selbst kein Tor erzielen konnte, war Möller für die Presse der gefeierte Held. "Ohne Möller habt ihr keine Chance", sangen tausende Schalker noch über eine halbe Stunde nach Abpfiff in Richtung der Südtribüne.

Auch weil Möller seinem Image als launische Diva auf Schalke nicht gerecht wurde, wurde er nach nur wenigen Monaten von den meisten Fans zumindest geduldet. Statt zu lamentieren sah man den 32-Jährigen in seinem ersten Jahr in Gelsenkirchen immer häufiger mit dreckigem Trikot und matschigen Stutzen – nicht aber, weil er selbst so oft von den Beinen geholt wurde, sondern weil Möller plötzlich das Kämpfen gelernt hatte. Er grätschte, ackerte und malochte, wie man es nie zuvor gesehen hat. "Schalke war die Möglichkeit, endlich mein Weichei-Image abzustreifen", erklärte er selbst den Schritt zum Erzrivalen und tat alles in seiner Macht stehende, um den Worten auch Taten folgen zu lassen.

Aus der Heulsuse machten die Fans im Laufe der Spielzeit die "Kampfsuse" Möller. Auch dank seiner starken Saison, in der er es immer wieder schaffte, das Sturm-Duo Ebbe Sand und Emile Mpenza mit Vorlagen zu versorgen, stand Königsblau Ende April 2001 plötzlich ganz oben in der Tabelle. Vor dem FC Bayern, den die Mannschaft von Huub Stevens in dieser Saison gleich zweimal besiegen konnte.

Dass es am 19. Mai 2001 doch nicht für die erste Deutsche Meisterschaft seit 1958 gereicht hat, ist längst Geschichte. Die Bilder des weinenden Andy Möller ebenso. Als Heulsuse geht er wegen dieser Bilder aber mit Sicherheit nicht in die Geschichte ein – sondern eher als einer der umstrittensten Spieler der Geschichte des Revier-Derbys. 

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