FC Bayern München - Ex-FCB-Talent Armindo Sieb von Greuther Fürth im Interview: "Als mich Hansi Flick rief, fühlte ich gar nichts mehr"

Armindo Sieb zählt zu den vielversprechendsten Talenten des deutschen Fußballs. RB Leipzig, die TSG Hoffenheim und der FC Bayern München bildeten den 19-jährigen Flügelstürmer aus. Mittlerweile ist Sieb in der 2. Liga für Greuther Fürth aktiv.

Im Interview mit GOAL und SPOX spricht Sieb über seinen Karriereweg und erzählt, warum er beinahe mit dem Fußball aufhören wollte.

Zudem erklärt der deutsche U19-Nationalspieler, wie überrascht er vom Angebot des FC Bayern München war, wie er beim FCB von Wolke sieben in die Reha abstürzte und zu welchem Premier-League-Klub er eines Tages wechseln möchte.

Herr Sieb, Sie sind 2003 in Halle geboren und haben dort für die SG Motor Halle gespielt. Wie kam es, dass der Hallesche FC, der größte Verein der Stadt, nie auf Sie aufmerksam wurde?

Armindo Sieb: Meine zwei Geschwister haben bei Motor Halle gespielt, deshalb bin ich mit sieben Jahren auch dorthin gegangen. Mir ging es damals nur um den Spaß. Ein Wechsel zum HFC war zwischenzeitlich schon im Gespräch, einer ihrer Jugendtrainer war mal bei mir zu Hause. Als ich hörte, wie oft dort trainiert wird, dachte ich: Das ist nichts für mich! (lacht) Das erschien mir damals irgendwie zu ernst.

2014 wechselten Sie in die U11 der Nachwuchsabteilung von RB Leipzig. Wie hat man Sie entdeckt?

Sieb: Ich hatte viele Freunde, die dort gespielt haben. Einer der RB-Trainer hat dann einen meiner Freunde gefragt, ob er noch jemanden kennen würde, der in Halle Fußball spielt. Dabei nannte er mich. Schließlich hat mich ein Scout gesichtet und zum Probetraining eingeladen.

Halle ist von Leipzig nur rund 40 Minuten mit dem Auto entfernt. Haben Sie nach dem Wechsel weiterhin zu Hause gewohnt?

Sieb: Zunächst bin ich gependelt. Nach der Schule wurde ich von einem Bus abgeholt und zum Training gefahren. Als ich in die U13 kam, zog ich dann für ein Jahr ins Sportinternat und anschließend in eine Gastfamilie. Das war alles eine riesige Umstellung für mich. Anfangs habe ich oft geweint und wollte zurück nach Hause. Damals hatte ich auch noch nicht das Ziel, Profifußballer zu werden. Für mich stand weiterhin nur der Spaß im Vordergrund.

Armindo Sieb FC Bayern MünchenGetty Images

Wie sah als Leipziger Jugendspieler denn der Kontakt zu den Profis aus?

Sieb: Den gab es erst, nachdem das neue Trainingszentrum fertiggestellt wurde. Dann lagen unsere Athletikräume gegenüber und man konnte sie etwas beobachten. Ich weiß auch noch, wie einmal Terrence Boyd bei uns in der U13 mittrainiert hat. Nach der Einheit gab er mir seine Nummer und sagte, ich könne ihm künftig ruhig schreiben. Seitdem stehen wir in engem Austausch. Er hat mir viele hilfreiche Tipps gegeben und mich immer wieder motiviert, Vollgas zu geben und einen klaren Kopf zu behalten.

Wie hoch waren die Anforderungen in Leipzig im Vergleich zu denen bei Motor Halle?

Sieb: In Halle fand das Training eher unregelmäßig statt. In Leipzig hatten wir dann einen strikten Plan mit fünf Tagen Training, am Wochenende standen Spiele oder Turniere an. Das Niveau war auch ein Unterschied, aber da konnte ich mich eigentlich schnell anpassen. Die drei Jahre waren insgesamt eine Zeit mit Höhen und Tiefen. Manchmal wollte ich auch gerne mit meinen Freunden einfach draußen sein, aber das ging da nicht mehr so oft. Meine Mutter hat mich aber immer unterstützt und gesagt, dass ich es versuchen soll. Dafür bin ich ihr heute sehr dankbar.

Sieb: "Ich fragte mich oft, ob ich den Fußball aufgeben soll"

Mit 14 Jahren haben Sie dann Ihre Heimat verlassen und sind 2017 zur TSG Hoffenheim gewechselt. Warum?

Sieb: Das war ein längerer Prozess. Ich hatte gegen Ende der Zeit in Leipzig einige Probleme mit der Schule. Dadurch hatte ich auch immer weniger Lust, zum Training zu gehen. Von Tag zu Tag wurde das schlimmer. Ich habe mich dann oft gefragt, ob ich das so noch machen will oder den Fußball lieber ganz aufgeben soll.

Was sorgte dafür, dass Sie diese Gedanken verworfen haben?

Sieb: Viele Gespräche mit einem Teamkollegen. Er meinte, ich solle mir erst einmal klar werden, was ich überhaupt möchte. Ich habe damals überhaupt nicht realisiert, was ich mit dem Fußball erreichen kann und welches Talent ich besitze. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mit dem Fußball mein Geld verdiene. Auch deshalb nicht, weil viele Spieler um mich herum aussortiert wurden, da es für sie nicht mehr reichte. Irgendwann war mir bewusst, dass ich weitermachen und in Hoffenheim nochmal neu anfangen will.

Auch wenn die Entfernung nach Hause beträchtlich war.

Sieb: Ja, denn mein Ehrgeiz war zurück. Ab da wollte ich Profifußballer werden.

Und wie lief es in Hoffenheim damit, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen und auch Schule und Fußball unter einen Hut zu bekommen?

Sieb: Für meine Mama war es besonders hart. Für sie fühlte es sich ein bisschen so an, als hätte sie ein Kind verloren. Für mich war es erneut schwer, auch wenn ich ja nicht zum ersten Mal von zu Hause weg war. Das lag wieder an der Schule, es war einfach schwer, immer alles unter einen Hut zu bekommen. Ich habe neue Kumpels kennengelernt und hatte Bock darauf, mit denen etwas zu unternehmen. Da rückte das Training wieder teils in den Hintergrund. Es ist doch nur Training, habe ich mir da einige Male gedacht.

Fehlte Ihnen die unbeschwerte Freiheit, die andere Jugendliche in diesem Alter leben können?

Sieb: Natürlich. Ich war mit meinem großen Bruder oft im Skatepark. Das hat mir gefehlt. Oder auch einfach nur die Tatsache, machen zu können, was man wollte: BMX fahren, Basketball spielen oder auf den Bolzplatz gehen, um nur zum Spaß zu kicken.

ONLY GERMANY Armindo Sieb Bayern Munchen 2020imago images / kolbert-press

Ab wann wurde Ihnen klar, dass es mit dieser Einstellung schwer wird, um es ganz nach oben zu schaffen?

Sieb: Mit 16, 17. Mir wurde klar, dass ich mich mehr auf den Fußball konzentrieren und im Training immer Gas geben muss. Es klappt einfach nicht, wenn man nicht bereit ist, gewisse Dinge zu opfern. Sonst kommt man nicht voran.

Armindo Sieb: "Bayern kam völlig aus dem Nichts"

Dann lief es auch für Sie: In den beiden Spielzeiten bei der Hoffenheimer U17 erzielten Sie 20 Tore in 40 Spielen.

Sieb: Als Spieler und Person habe ich mich zu dieser Zeit massiv weiterentwickelt. Es hat Klick gemacht. Man konnte sehen, was ich kann und welches Ziel ich verfolge: Ich bin hier, lasse nicht nach, gebe meinen Platz nicht her und will Profi werden. Ab und an schaute auch Julian Nagelsmann bei uns zu, er war damals Chefcoach der Profis. Das war immer eine extra Motivation. Ich wollte ihm zeigen, wie gut ich bin und dass ich in die Bundesliga will.

In Ihrer Zeit in Hoffenheim gab es am 9. Oktober 2019 den rechtsradikalen Terroranschlag in Halle. Wie haben Sie davon erfahren?

Sieb: Ich saß an diesem Tag bereits im Zug nach Halle, um ein paar Tage in der Heimat zu verbringen. Erst als mich meine Mutter anrief, erfuhr ich, was passiert war. Sie sagte, in Halle verlässt niemand das Haus, ich solle wieder zurückfahren. Das habe ich dann auch gemacht und war natürlich schwer schockiert - erst recht, als ich die entsprechenden Videos gesehen habe.

Konnten Sie anschließend dann nicht mehr in die Heimat fahren?

Sieb: Doch, zwei Tage später war ich da. Wir haben in der Familie viel darüber gesprochen. Das war etwas, was die Stadt und seine Bewohner tief im Mark erschüttert hat.

Nach drei Jahren in Hoffenheim wechselten Sie zur Saison 2020/21 in die U19 des FC Bayern München. Wie erging es Ihnen, als Sie das erste Mal vom Angebot der Bayern hörten?

Sieb: Das kam völlig aus dem Nichts und auch sehr spät, denn ich führte damals einige Gespräche mit anderen Vereinen aus der Bundesliga und dem Ausland. Eine Entscheidung über meine Zukunft nahte, daher hat mich das plötzliche Interesse der Bayern sehr überrascht. Als ich die Nachricht bekam, dass sich die Bayern gemeldet haben, dachte ich nur: Wow, das hört sich gut an! Eigentlich wollte ich bei Hoffenheim bleiben und dort Profi werden. Das hätte ich auch getan, wenn mir der FCB kein Angebot gemacht hätte.

Ihr Transfer hat bei TSG-Manager Alexander Rosen für Ärger gesorgt. Er sagte: "Wir finden es irritierend, dass der Spieler ohne Abstimmung mit uns vom FC Bayern zu einer medizinischen Untersuchung bestellt wurde. Vor dem Hintergrund der aktuellen Coronakrise mit all ihren Einschränkungen und Herausforderungen fehlen mir für so ein Verhalten die Worte." Was war da genau los?

Sieb: Ich habe gegenüber der TSG offen kommuniziert und ich glaube auch nicht, dass zwischen mir und den Verantwortlichen etwas hängengeblieben ist.

Der Start in München verlief sehr vielversprechend. Sie haben gleich im ersten Spiel getroffen und zwei weitere Tore vorbereitet, im Junioren-Pokal gegen St. Pauli einen Hattrick geschossen und feierten anschließend sogar im DFB-Pokal gegen Düren Ihr Debüt bei den Profis. Das war Wolke sieben, oder?

Sieb: Absolut. Als ich wechselte, wurde mir versprochen, dass ich mich in der zweiten Mannschaft zeigen und in die 3. Liga hineinschnuppern darf. Es ging dann direkt Schlag auf Schlag. Nach dem Hattrick hat mir mein U19-Trainer Martin Demichelis gesagt, dass ich bei den Profis dabei sein darf. Das war unglaublich - ich dachte, ich träume!

Wie erinnern Sie sich an Ihr erstes Profitraining dort?

Sieb: Ich bin etwas ängstlich hingegangen, weil ich nicht wusste, was mich erwartet und ich auch eine gewisse Ehrfurcht hatte. Ich gab einfach mein Bestes und schaffte es in den Kader für das Pokalspiel. Als mich Hansi Flick dort dann zur Einwechslung rief, fühlte ich im ersten Moment gar nichts mehr. Mir kam es vor, als würde das alles gerade gar nicht stattfinden. Komisch war dann, dass meine Nervosität komplett verflogen war, als ich auf dem Platz stand. Da war das dann irgendwie ein Spiel wie jedes andere.

Leider mit einem unguten Ende für Sie: In der 87. Minute zogen Sie sich eine schwere Bänderverletzung zu.

Sieb: Das war meine erste Verletzung. Ich hatte extreme Schmerzen und konnte nicht mehr auftreten. Als man mir die Socken auszog, sah ich, dass mein Fuß lila und dick angeschwollen war. Die Ärzte meinten sofort, ich würde länger ausfallen, wahrscheinlich elf, zwölf Wochen. Das war ein schwerer Schlag für mich.

Wie erging es Ihnen dann in der täglichen Reha, das war ja dann auch Neuland für Sie?

Sieb: Es war schon ziemlich hart. Ich telefonierte oft mit meiner Mama. Sie hat versucht, mich zu ermuntern. Ich war allerdings sehr sauer und gekränkt, da hatte ich viel negative Energie in mir. Es war ein schlimmes Gefühl zu sehen, wie die anderen auf den Platz gehen und jeden Tag die Chance haben, besser zu werden - und ich musste meine Reha-Übungen machen. Irgendwann merkt man aber, dass das halt alternativlos ist. Ich habe dann aber erkannt, dass ich diese negative Energie für mein Training nutzen und in positive Energie umwandeln kann, um möglichst schnell wieder zurückzukommen.

Armindo Sieb: "Ich wäre bereit für Hannover gewesen"

Nach vier Monaten Pause gelang das auch. Neben weiteren Einsätzen in der 3. Liga standen Sie auch noch zweimal im Bundesliga-Spieltagskader der Profis.

Sieb: Die Erfahrungen bei den Profis waren insgesamt einfach der Wahnsinn. Man kann das auch gar nicht so richtig beschreiben wie es ist, wenn plötzlich all diese großen Namen im Training um dich herumstehen. Mit ihnen zu trainieren, gibt dir Mut und Energie. Das macht dich schlichtweg besser und man will nur noch genauso werden wie sie. Ein wirklich unfassbares Gefühl. Auch in der Kabine habe ich Dinge erleben dürfen, die von außen betrachtet ganz anders erscheinen. Es war ein sehr familiärer, aber auch direkter Umgang. Natürlich gab es da auch mal Unstimmigkeiten untereinander, aber es war immer erkennbar, dass alle nur ein Ziel hatten: Sie wollten das Beste für die Mannschaft.

Haben Sie zu einem der Profis anschließend einen engen Draht entwickelt?

Sieb: Nein. Direkten Kontakt hatte man im Alltag nicht. Es waren aber alle sehr nett und hilfsbereit. Ich habe im Training viele Tipps und Anweisungen bekommen, alle dort haben mir schnell die Angst genommen und dadurch konnte ich mein Spiel auf den Rasen bekommen.

GER ONLY Armindo Sieb DFB DeutschlandImago Images

Im Winter 2022 wollte Sie Zweitligist Hannover 96 ausleihen. Stimmt es, dass Sie das gerne gemacht hätten, die Bayern Sie aber nicht ziehen ließen?

Sieb: Ja. Durch den Abstieg mit der zweiten Mannschaft spielte ich dort nur noch in der Regionalliga. Es war nicht mein Ziel, in dieser Liga zu bleiben. Ich wäre daher bereit für Hannover gewesen, um zu sehen, ob ich dort überhaupt mithalten kann. Meine Überzeugung war, dass mir das guttun würde. Jochen Sauer, der Leiter von Bayerns Nachwuchsabteilung, wollte mich aber behalten und meinte, ich könnte mich dann in einem halben Jahr nach Saisonende neu orientieren.

Wären Sie denn dann geblieben, wenn Bayern II in die 3. Liga aufgestiegen wäre?

Sieb: Das wäre eine andere Situation gewesen, die ich eventuell anders eingeschätzt hätte. Es war nicht so, dass ich unter allen Umständen in der 2. Liga spielen wollte. Ich wollte nur höher als Regionalliga spielen, da ich das ja auch bereits getan habe. Ich hätte in München auch verlängern können, doch die Regionalliga war nicht mein Anspruch. Ich wollte den nächsten Schritt gehen und von einem Verein einen konkreten Plan vorgelegt bekommen, wie mir der gelingt. Und genau das hat letztlich Fürth getan.

Welche Rolle spielte dabei der Wechsel Ihrer Berateragentur? Kurz zuvor haben Sie ROGON verlassen und werden seitdem von ICM Stellar vertreten.

Sieb: Es stand nicht fest, dass ich nur wegen des Beraterwechsels auch gleich einen neuen Verein finde. Ich wollte dann einfach den Markt neu sondieren und schauen, was für mich möglich ist. Relativ kurzfristig kam dann die Info, dass Fürth eine gute Option für mich sei. Dort wollte man mich unbedingt haben. Ich habe mir das dann vor Ort angeschaut und war schnell überzeugt, dass das zu diesem Zeitpunkt die richtige Adresse für meine Entwicklung ist.

Armindo Sieb: Der Traum von Manchester United

Was hat Fürth aus sportlicher Hinsicht geboten, was andere nicht geboten haben?

Sieb: Vor allem ein super Gefühl. Die Gespräche mit den Verantwortlichen und dem Trainer liefen sehr positiv. Auch die Vergangenheit hat gezeigt, dass junge Spieler in Fürth die Chance bekommen, sich zu zeigen und weiterzuentwickeln. Jamie Leweling, der heute bei Union Berlin spielt, ist da nur eines von vielen Beispielen, die ich mir vorher natürlich angeschaut habe.

Bislang standen Sie in sechs der zehn Pflichtspiele in der Startelf. Wo sehen Sie sich denn in fünf Jahren?

Sieb: Ich will zunächst in Fürth als Spieler zu mir selbst finden und mir meine Grenzen aufzeigen, um zu sehen, wie weit es mit mir gehen kann. Natürlich will ich der Mannschaft bestmöglich weiterhelfen und mich dadurch auch selbst weiterentwickeln. Wir sind ein sehr junges Team und haben einen großen Zusammenhalt. Da macht es einfach Spaß. Ich glaube, als Fußballprofi kann man nie sagen, was in fünf Jahren ist. Da gibt es so viele Faktoren. Für mich ist wichtig, immer Spaß an meinem Beruf zu haben. Mein größter Wunsch und auch mein Traum ist es aber, eines Tages in die Premier League zu wechseln.

Und dort dann zu welchem Klub, wenn man einmal von einer idealen Welt ausgehen würde?

Sieb: Mein Traumverein ist eigentlich der FC Barcelona. Vor zwei, drei Jahren habe ich mir aber tatsächlich das Ziel gesetzt, einmal für Manchester United zu spielen und dort Titel zu gewinnen.

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