Justin Kluivert

Tipps vom Vater, Traum von Barca:
Ajax-Juwel auf dem Weg nach oben

Es hat etwas mehr als ein Jahr gedauert, nun hat auch der Rest der Fußballwelt erkannt, was sie bei Ajax Amsterdam schon seit geraumer Zeit wissen: Justin Kluivert kann einer der besten Spieler der Welt werden.

Nicht mal 50 Spiele hat der 18-Jährige bislang für Ajax' Profis absolviert. Seine beeindruckende Geschwindigkeit gepaart mit seinen herausragenden technischen Fähigkeiten haben es Kluivert dennoch ermöglicht, in kurzer Zeit durchzustarten. Vom talentierten Jungen aus der hauseigenen Akademie zum Stammspieler in der ersten Mannschaft.

Nun ist Kluivert in aller Munde. Trainer und Experten werden nicht müde, ihn als nächsten Weltstar anzupreisen. Beim NxGn-Award 2018 hat er Gianluigi Donnarumma hinter sich gelassen, während sich die europäischen Top-Klubs um seine Unterschrift streiten. Und Kluivert? Der nimmt die Spekulationen um seine Zukunft dankend an.

Hier redet er von einem künftigen Transfer zu Real Madrid oder Barcelona, dort listet er Arsenal, Tottenham, Chelsea und Manchester United als alternative Ziele auf - und betont, dass die Möglichkeiten bereits da sind, zu einem Schwergewicht zu wechseln.

Es kommt selten vor, dass ein junges Talent so offen die brodelnden Gerüchte um seine eigene Zukunft anheizt. Aber Kluivert ist eben kein gewöhnliches Talent. Er umgibt sich mit einer Aura von Stolz. Und nichts kann ihn in Verlegenheit bringen.

Kluivert ist es gewohnt, unter Beobachtung zu stehen. Bei Ajax gilt er schon seit Jahren als das vielversprechendste Eigengewächs seit langem, hinzu kommt die Bürde, der Sohn von Ajax- und Barcelona-Legende Patrick Kluivert zu sein.

Die damit verbundenen Erwartungen scheinen Justin aber nicht im geringsten zu belasten. Er geht mit dem Hype ebenso spielend um wie mit den Verteidigern auf dem Platz: Gerade aus drauf zu, mit großem Selbstvertrauen und tiefer Entschlossenheit.

Bei Ajax hat er sich so inzwischen nach oben gedribbelt, die Zukunftsaussichten sind rosig, die Optionen zahlreich vorhanden. Kluivert träumt von einer Karriere im Camp Nou. So, als sähe er die Karriere des eigenen Vaters als Herausforderung an sich selbst.

"Mein Traumverein? Das ist Barcelona", sagt Kluivert bei der Verleihung des NxGn-Awards exklusiv zu Goal. "In die Fußstapfen meines Vaters treten? Ja. Das ist mein absoluter Traum. Ich könnte auch woanders hingehen, aber Barcelona ist der große Traum."

Nun muss man wissen, dass Kluivert keiner dieser Hochbegabten ist, die unter Realitätsverlust leiden. Er mag in vielerlei Hinsicht privilegiert sein. Aber er weiß ganz genau, dass er nicht einfach so durchs Leben und zum Superstar im Camp Nou spazieren wird. Er weiß, dass viel harte Arbeit nötig ist.

Gefragt, was ihn so besonders macht, entgegnet Kluivert: "Ich denke, dass ich schon immer vieles geopfert habe, um meine Ziele zu erreichen und eine erfolgreiche Karriere zu haben – und daran halte ich weiterhin fest. Das ist ganz entscheidend für junge Spieler, die es ganz nach oben schaffen wollen. Natürlich braucht man zudem Talent und muss im Training hart an sich arbeiten."

Kluivert weiß schon ganz genau, wie es ist, im Fokus zu stehen. Bereits als 13- oder 14-Jähriger sprachen alle plötzlich vom Sohn des großen Patrick Kluivert, dem Mann, der Ajax im Champions-League-Finale 1995 gegen den AC Milan zum Titel schoss.

Kluiverts Aufstieg in Ajax' Akademie verlief rasant, schon mit 16 spielte er für die U19. Und ein Jahr später, nach einigen Einsätzen für das B-Team in der zweiten Liga, verdiente er sich schon seine ersten Sporen bei den Profis.

Mit 17 Jahren, im Januar 2017, gab er sein Debüt im ersten Team. Er war lange daran gewöhnt, ja war damit aufgewachsen, regelmäßig mit seinem Vater, einem der größten niederländischen Torjäger aller Zeiten, verglichen zu werden. Statt darin einen großen Schatten zu sehen, der ihn belasten, vielleicht sogar erdrücken könnte, denkt Justin aber ganz anders. Er will Patricks Erfahrung zu seinen Gunsten nutzen, mithilfe seines Vaters Fehler vermeiden, die selbst einer Legende auf ihrem langen Weg nach oben unterlaufen sind.

"Er war sicherlich sehr wichtig für meine Entwicklung, weil er all das schon selbst durchgemacht hat" erklärt Kluivert junior. "Von ihm kann ich es aus erster Hand erfahren, daraus kann man nur lernen. Wenn man einen ganz bestimmten Fehler macht, ist es unwahrscheinlich, dass man den gleichen Fehler noch einmal macht."

"Ich bin eine eigenständige Person, aber seine Erfahrungen helfen mir, ich lerne sozusagen aus seinen Fehlern. Natürlich mache ich trotzdem noch Fehler, aber auch daraus lerne ich schnell. Das ist Teil meiner Entwicklung."

Bei allen Ratschlägen vom Vater ist Justin aber bewusst, dass seine Laufbahn keine gespenstische Reinkarnation der Karriere von Kluivert senior werden soll. Justin vertritt den klaren Standpunkt, dass er die Dinge auf seine individuelle Art und Weise tun will. Und damit hat er seinen Vater in einigen Punkten schon überholt: Bei seinem Profidebüt für Ajax etwa war Justin jünger als Patrick, zudem schaffte es Justin als erstes Mitglied der Kluivert-Familie, einen Hattrick in der Eredivisie zu erzielen.

Ohnehin sind die beiden offensichtlich verschiedene Spielertypen. "Er hat eine andere Physis und andere Stärken" sagt Ajax-Geschäftsführer Edwin van der Sar zu Goal. "Justin ist schneller und beidfüßig. Patrick dagegen war ein klassischer Mittelstürmer."

Die beiden vereine allerdings ein guter Torriecher. "Diesen Instinkt", meint van der Sar, "haben sie beide gemeinsam."

Zudem hat Justin eine großartige Ballkontrolle, kann feine Haken schlagen. Er weiß immer ganz genau, dass er sich mit seinen flinken Füßen aus schwierigen Situationen befreien kann, auch gegen mehrere Gegenspieler auf engem Raum.

Vergleiche zu Neymar kamen ob seiner Spielweise beinahe automatisch auf. Und in dem Brasilianer sieht Kluivert einen idealen Anhaltspunkt.

"Natürlich ist es schön, solche Vergleiche zu hören, aber Neymar ist weltklasse. Es ist mein Ziel, genauso gut zu werden wie er, dafür trainiere ich täglich hart. Sicher muss man auch mal schwierige Phasen überstehen, aber ich bin immer noch erst 18. Ich hoffe jedoch, dass ich irgendwann so gut bin wie Neymar."

"Genau wie ich ist auch er nicht übermäßig groß oder körperlich stark, aber dafür sehr schnell und beweglich. Ich sehe Elemente davon auch in mir. Und er hat diese freche Spielweise, die habe ich auch. Ich kann die Vergleiche nachvollziehen."

Neymar ist allerdings nicht der einzige Spieler, den sich Kluivert zum Vorbild nimmt. "Mein Vater ist eines meiner Vorbilder, ebenso wie Cristiano Ronaldo. Auch wegen der Dinge, die er außerhalb des Platzes tut", sagt der Youngster.

"Er denkt nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere. Er macht viel für gute Zwecke und verschreibt sich wirklich komplett seinem Leben als Fußballer. Davon kann ich lernen und das sind Dinge, die ich selbst auch machen will."

Bei der Gretchenfrage zu Ronaldo und Lionel Messi hat Kluivert trotz all der Bewunderung für den Portugiesen sportlich aber eine eindeutige Vorliebe für den argentinischen Superstar seines Traumvereins aus Barcelona.

"Ich bin im Team Messi. Er ist der beste Spieler der Welt – aber Ronaldo ist dennoch ein Vorbild für mich."

"Ich bin sicher, dass auch Messi hart arbeitet, aber ich mag die Art, wie Ronaldo es schafft, diese Message über Social Media zu transportieren. Er ist ein Beispiel, dem man folgen sollte. Wegen der Art, wie er für das Spiel lebt. Das ist einfach großartig."

Bevor er seinen beiden Helden folgen und LaLiga im Sturm erobern könnte, hat Kluivert jedoch in seinem Heimatland einiges vor.

Sein oberstes Ziel ist es, mit dem Klub, für den er seit seinem achten Lebensjahr spielt, die niederländische Meisterschaft zu gewinnen. Dafür hat Kluivert mit Matthijs de Ligt, Frenkie de Jong, David Neres oder Donny van de Beek einige weitere herausragende junge Spieler an seiner Seite.

Vor allem De Ligt, der im NxGn-Ranking 2018 auf Platz vier landete, ist es, der neben Kluivert heraussticht. Van der Sar erwartet viel von den beiden Teenagern.

“Einen Titel oder eine individuelle Auszeichnung zu gewinnen, sollte sie motivieren, noch härter zu arbeiten. Damit ist es schließlich nicht getan, man muss weiter machen", sagt der frühere Torhüter von Ajax und Manchester United. "Hoffentlich treten sie in die Fußstapfen der vielen anderen großen Spieler, die aus der Ajax-Schule stammten, wie Johan Cruyff, Johan Neeskens, Frank Rijkaard, Marco van Basten, Dennis Bergkamp, Patrick Kluivert, Frank de Boer, Edgar Davids, Clarence Seedorf, Wesley Sneijder – es ist eine lange Liste. Hoffentlich sind sie zunächst bei Ajax erfolgreich und können dann den nächsten Schritt gehen."

Kluivert weiß jedenfalls, was Beständigkeit bedeutet. Nach seinem Debüt im Januar 2017 gegen Zwolle, bei dem er erstmals einem größeren Publikum eine Kostprobe seiner Fähigkeiten gab, verbrachte er die nächsten Monate auf der Bank.

Dann, in seinem dritten Startelfeinsatz in der Eredivisie, gelang ihm sein erstes Tor, von da an stieg sein Ansehen im Team von Trainer Peter Bosz. Mit Kluivert kämpfte Ajax bis zum Schluss mit dem späteren Meister Feyenoord um den Titel.

"Er hat diesen Instinkt, das ist seine Stärke", sagte Bosz zu Voetbal International. "Und er kennt keine Angst auf dem Platz. Er ist ein frecher Junge, aber auf eine positive Art und Weise."

"Er hat seine Emotionen unter Kontrolle. Für einen jungen Spieler mit all den äußeren Einflüssen, die auf ihn einströmen, macht er das sehr clever."

"Justin weiß, wie er sich verhalten muss, trotz der ganzen Dinge von außen, die es nicht leichter machen. Das zeugt von gutem Charakter."

Kluivert beendete die Saison 2016/17 mit zwei Toren und vier Assists in 14 Eredivisie-Einsätzen. Internationales Ansehen erlangten Kluivert und seine Ajax-Kollegen in der Europa League. Kluivert, de Ligt, Neres, Kasper Dolberg, Davinson Sanchez und Co. warfen Schalke und Lyon raus, stürmten in Ajax' erstes Europapokal-Finale seit 21 Jahren. Dort, im Endspiel in Schweden, bei der 0:2-Niederlage gegen Manchester United, kam Kluivert zwar nichts zum Einsatz. Doch sein Plausch mit United-Coach Jose Mourinho nach dem Spiel an der Seitenlinie ließ sofort die Spekulationen über einen Wechsel nach Manchester aus dem Boden sprießen.

"Er kam zu mir und sagte: 'Ich kenne dich schon seit langer Zeit'", verriet Kluivert einige Monate später über das Gespräch mit Mourinho.

"Ich schaute ihn etwas verwirrt an und er erklärte mir, dass er Co-Trainer bei Barcelona war, als mein Vater dort spielte. 'Ich kenne dich schon seit langer Zeit, seit du eine Woche alt warst.'"

"Er sagte, dass es schön sei, mich jetzt zu sehen. Und ich sollte Grüße an meinen Vater ausrichten. Also nichts von dem, was die Medien hinein interpretierten. Wir haben alle hinters Licht geführt."

Und während die Presse ihn schon zu den absoluten Granden der Fußballwelt schrieb, wurde Kluivert am Anfang der laufenden Saison daran erinnert, dass er sich erst einmal bei Ajax etablieren muss.

Unter dem neuen Trainer Marcel Keizer wirkte er auf dem rechten Flügel gehemmt. Nach ein paar Spielen verlor Kluivert seinen Stammplatz kurzzeitig an Neres. Ein Rückschlag, der nicht lange währte: Denn nach Amin Younes' Verletzung im November durfte Kluivert wieder seine Lieblingsposition auf dem linken Flügel ausfüllen – und ergriff die Gelegenheit, zu glänzen.

Bei seiner Rückkehr in die Startelf legte Kluivert beim 8:0 gegen NAC Breda einen Treffer für Donny van de Beek auf, eine Woche später glückte ihm ein spektakulärer Hattrick gegen Roda Kerkrade. Es war ein Auftritt, der Kluivert weltweite Aufmerksamkeit einbrachte. Die drei auf so unterschiedliche Weise, aber jeweils wunderschön erzielten Tore zeigten die ganze Vielseitigkeit seines Potenzials.

Seitdem blieb Kluivert stets Stammkraft, auch unter dem im Dezember auf Keizer gefolgten Coach Erik ten Hag. Ins Konzept des früheren Trainers von Utrecht und Bayerns zweiter Mannschaft passt Kluivert mit seinem Spielstil perfekt.

Was ihm derzeit noch fehlt, ist die rar gesäte Fähigkeit, große Spiele zu entscheiden. All seine Tore in dieser Saison hat Kluivert gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte erzielt. Gegen Mannschaften wie Eindhoven, Feyenoord, Alkmaar oder Utrecht blieb er hingegen meist blass. Diesbezüglich sind ihm de Jong oder de Ligt momentan noch voraus.

Kluivert selbst ist sich dessen bewusst. Nach einer schwachen Leistung bei der 2:3-Niederlage gegen Vitesse Arnheim gestand er ein: "Ich muss in den Spielen noch viel mehr zeigen. Das nehme ich mir für die kommenden Partien vor."

"Ich muss mir eingestehen, dass ich gegen Vitesse nicht gut war. Ich will ein Spieler sein, der sein Team mitreißen kann."

Es ist letztlich eine Form der Anerkennung seines Talents, dass die taktisch klugen Mannschaften aus der Eredivise Kluivert ständig doppeln. So hob Feyenoord-Coach Giovanni van Bronckhorst im Januar hervor: "Er hat alle Qualitäten, die ein Flügelspieler im modernen Fußball haben muss."

Für Kluivert ist das nur eine Grundvoraussetzung. Er strebt nach Höherem. Und längst ist allen klar: Justin Kluivert wird ein großartiger Spieler. Auf seine ganz eigene Art und Weise.