Aus ‘Dollarumma’ wird wieder Milans Held: Die Rückkehr von Super Gigio
Der Keeper des AC Mailand verkam während der Saga um seine Vertragsverlängerung bei den eigenen Fans zur Persona non grata. Dann eroberte Gianluigi Donnarumma die Herzen der Anhänger zurück.
Am Abend des 13.Dezembers 2017 war er mit den Nerven am Ende. Mit gerade einmal 18 Jahrenschlug Gianluigi Donnarumma die geballte Wut der Fans des AC Mailand entgegen.
Als der Torhüter vor dem Pokalspiel gegen Hellas Verona auf sein Tor im San Siro zulief, blickte Donnarumma der Curva Sud entgegen. Er sah ein Banner, groß und deutlich.
"Verletzung der Moral heißt also, 6 Millionen Euro im Jahr zu verdienen und deinen parasitären Bruder zu ernähren? Verschwinde, unsere Geduld ist am Ende!", stand dort geschrieben. Auf jenem Banner, das diejenigen hochhielten, die ihn doch eigentlich lieben sollten.
Milans Kapitän Leonardo Bonucci eilte herbei, tat sein Bestes, um seinen noch so jungen Mitspieler zu trösten, ihn zu beruhigen. Doch Donnarumma konnte seine Tränen nicht zurückhalten.
Irgendwie überstand er das Spiel, blieb sogar ohne Gegentor. Doch nach Abpfiff fragten sich viele, wie er in solch einem Klima mit derart offen zur Schau gestellter Feindseligkeit durch die lange Saison kommen sollte.
Donnarumma war tatsächlich zutiefst erschüttert. Seit seiner Kindheit ist er Milan-Fan, er ist das vielversprechendste Eigengewächs des Klubs seit dem legendären Paolo Maldini. Und dennoch schreckten Milans Fans nicht davor zurück, die Identifikationsfigur in diesem Ausmaß zu verunglimpfen.
Trainer Gennaro Gattuso war fassungslos. "Ich fühle mich schrecklich deswegen. Diese Leute stellen ein Kind als Monster dar. Und das verdient er nicht", sagte er.
Tatsächlich war es aber nicht Donnarumma selbst, der Milan beschuldigt hatte, ihn durch "Verletzung der Moral", durch psychologischen Druck zur Unterschrift der Vertragsverlängerung gedrängt zu haben, sondern sein Berater Mino Raiola. Dieser sagt noch immer, dass er es gerne sehen würde, wenn sein Klient Milan verließe.
Donnarumma dagegen hat öffentlich immer betont, dass er dem Klub treu bleiben möchte, der ihm mit nur 16 Jahren zu seinem Profi-Debüt verhalf. Dass er eine Vertragsverlängerung dennoch zunächst ablehnte, war wohl eher dem Versuch Raiolas geschuldet, Donnarumma bei Real Madrid unterzubringen und seinen Klienten somit davor zu bewahren, weiter bei den sportlich mittelmäßigen Rossoneri zwischen den Pfosten zu stehen.
Donnarumma selbst zögerte also. So lange, bis der Vorstandsvorsitzender Marco Fassone am 15. Juni 2017 in einem offiziellen Statement verlauten ließ, Donnarumma werde seinen Vertrag nicht verlängern und Milan nach der laufenden Saison verlassen.
Die Fans waren empört. Schon bei der U21-EM wurde er beim Spiel gegen Dänemark mit Geldscheinen beworfen, Milan-Fans hissten ein Banner mit dem Schriftzug "Dollarrumma". Alle Zeichen standen auf Abschied.
Einen Monat später folgte die plötzliche Kehrtwende: Donnarumma und Fassone strahlten um die Wette und der Torhüter unterzeichnete einen neuen Kontrakt bis 2021. Beim ersten Spiel nach dem Ende der Transfer-Posse bereiteten ihm die Fans im San Siro einen warmen Empfang, er selbst bedankte sich im Anschluss sichtlich gerührt dafür. Alles schien wieder in Ordnung, das angeknackste Verhältnis gekittet.
"Ich habe das nicht erwartet, aber bin glücklich über die Art und Weise des Empfangs. Ich verspreche, immer alles für dieses Trikot zu geben", sagte Donnarumma nachdem Spiel in der Europa-League-Qualifikation gegen Craiova. "Sie wissen,dass ich Milans größter Fan bin. Für mich fühlt es sich an, als wäre nichts geschehen und ich bin stolz, das Milan-Trikot zu tragen."
Dann, im Dezember 2017, brachten neue Medienberichte die fragile, gerade erst wieder reparierte Liebe zwischen Donnarumma und den Tifosi erneut zum Einsturz. Raiola wolle Donnarumma mit allen Mitteln zu einem anderen Verein transferieren, berichteten italienische Medien übereinstimmend. Die Stimmung kippte ein weiteres Mal– und eskalierte an jenem Dezemberabend, an dem Donnarumma bittere Tränen weinte.
Dass seine Form unter all diesen Ereignissen litt, war letztlich nur verständlich. Zwar hatte Raiola seinen verbalen Krieg mit Milans Sportdirektor Massimiliano Mirabelli beendet,doch die anhaltenden Gerüchte zehrten weiter an den Nerven.
Donnarummas Saison war lange geprägt von ungewohnten Fehlern und Konzentrationsmängeln, die man zuvor von ihm nicht kannte. "Dieser Junge hat keine innere Ruhe, das sieht man aus einer Meile Entfernung", sagte die besorgte Torwart-Legende Dino Zoffbei Corriere della Sera.
"Ich denke, das Ganze war größer als alles, wofür er bereit gewesen wäre. Schaut Euch nur die U21-EM an: Er war das ganze Turnier über nicht gut. Und unglücklicherweise habe ich das nach dem medialen Sturm, der auf ihn eingeprasselt ist, kommen sehen.Das hätte mich sogar getroffen, als ich 40 Jahre alt war. Also könnt ihr euch vorstellen, wie es für ihn gewesen ist", so Zoff.
Und das ist der Kernpunkt: Viele erfahrene Profis wären unter solch einem immensen Druck zusammengebrochen. Donnarumma jedoch nicht.
Er hat seine Top-Form nach dem holprigen Saisonstart wiedergefunden, ist auf Platz zwei beim NxGn-Award von Goal gelandet.
Als Donnarumma die NxGn vor einem Jahr gewann, wusste man bereits, dass er hochtalentiert ist und das Zeug dazu hat, eine Torhüter-Legende zu werden. Heute ist klar, dass er auch die mentale Stärke dazu hat. Wie sonst hätte er so gut damit umgehen können, plötzlich im Fegefeuer einer bitter geführten nationalen Debatte zu stehen?
Sinisa Mihajlovic, der Mann, der Donnarumma zu seinem Profi-Debüt bei Milan verholfen hatte, drückte es treffend aus: "Halb Italien wendete sich letztes Jahr plötzlich gegen den Jungen, der eigentlich dazu auserkoren wurde, sie alle stolz zumachen."
Sogar der Anführer der Lega Nord (eine politische Partei in Italien, Anm. d. Red.), Milan-Fan Matteo Salvini, fühlte sich genötigt, seine bekanntermaßen stets kontroverse Meinung zum Thema Donnarumma kundzutun. "Ich weiß nicht, ob ich ihn weiterhin im Trikot von Milan sehen will. Wenn man zu mir einmal Nein sagt, ist es vorbei", sagte er.
Milans Führungsetage war glücklicherweise deutlich nachsichtiger. Mirabelli sprach die Schuld für die unrühmliche Saga einem "Schauspieler, der versucht, unserem Klub zu schaden", zu. Eine ganz und gar nicht subtile Spitze in Richtung Raiola.
Und Gattuso, der Vincenzo Montella auf der Trainerbank beerbt hatte, sicherte Donnarumma zu: "Gigio wird unter meinem Schutz stehen." Er hielt Wort, verteidigt seine Nummer Eins bis zum heutigen Tage leidenschaftlich.
Donnarumma zahlt dieses Vertrauen zurück, er befindet sich seit Wochen in der besten Form seiner noch jungen Karriere. Abgesehen vom unglücklichen Fehler im Rückspiel des Europa-League-Achtelfinals beim FC Arsenal, zeigt er eindrucksvoll, warum er bereits mit 17 als designierter Nachfolger Buffons galt. Bei vier seiner letzten fünf Serie-A-Einsätze blieb der 19-Jährige ohne Gegentor. Und beim Halbfinal-Erfolg in der Coppa Italia gegen Lazio Rom avancierte er zum Turm in der Schlacht, parierte im Elfmeter-Krimi zwei Strafstöße der Römer.
Donnarumma hat den Kreislauf des Fußballerlebens bereits durchgemacht: From hero to zero und zurück. In sechs Monaten musste er mehr Gegenwind ertragen als die meisten Spieler in ihrer kompletten Laufbahn. Und trotzdem steht er heute noch. Aufrecht und selbstbewusst.
Donnarumma ist zwar erst 19 Jahre alt, er hat aber bereits bewiesen, dass es ihn nicht umwirft,wenn die Leute auf ihn einprügeln. Dass er – trotz der Tränen im ersten Moment– verkraften kann, wenn feindselige Banner ihn diskreditieren oder Spielgeldwerfer ihn als geldgeilen Verräter verunglimpfen.
Sein Trainer Gattuso wird nicht müde zu betonen, dass es angesichts des tränenreichen Abends Mitte Dezember im San Siro gegen Verona umso beeindruckender ist, wie stark Donnarumma zuletzt wieder aufspielte.
"Ich kann ihm nur für das danken, was er leistet", sagte Gattuso. "In seinem Alter ist er aktuell der beste Torhüter der Welt."
