Gianluigi Buffon: The Making of Superman

Das Drama im Brutkasten, Tränen bei der WM 1990, ein paar Züge vom Joint und ein beunruhigend ruhiger Schlaf: Das ist die Geschichte von Gianluigi Buffon, von Mark Doyle

Vor jedem Spiel des AC Parma machte Nevio Scala einen Rundgang. Er schaute in den Zimmern seiner Spieler vorbei, um sich nach deren Befinden zu erkundigen. Am Abend vor dem Spiel gegen den AC Mailand am 19. November 1995 interessierte er sich für einen Spieler ganz besonders: für Gianluigi Buffon, damals 17 Jahre alt.

"Gigi hatte zuvor nie in der ersten Mannschaft gespielt und wir trafen auf ein Team voller Superstars: Roberto Baggio, George Weah und Paolo Maldini waren dabei", erinnert sich Scala im Gespräch mit Goal. "Ich fragte Gigi also, ob er bereit wäre, morgen zu spielen. Gigi sah mich nur an, er wirkte etwas verwirrt, und meinte nur: 'Mister, wo genau liegt das Problem?'"

Selbst als Teenager hat Buffon keine Herausforderung gescheut. "Schon als Kind mochte ich schwierige Aufgaben", erzählte der Torhüter von Juventus Turin vergangenen Monat: "Ich bin jemand, der große Herausforderungen sucht, auch jene, die unmöglich zu bewältigen scheinen. Das gehört zu meinem Charakter."

Dieser Charakter wurde in Carrara geschmiedet. In der kleinen toskanischen Stadt, bekannt für ihre Marmorsteinbrüche, brachte Maria Stella am Samstag, den 28. Januar 1978, einen kleinen Jungen zur Welt.

Maria und ihr Ehemann Adriano Buffon hatten nicht einmal die Chance, ihr Neugeborenes an sich zu nehmen, bevor es von einer Krankenschwester auf die Intensivstation gebracht wurde. Während Maria davon erzählt, atmet sie schwer. "Ich nehme an, dass es Schicksal war", seufzt sie. "Es war damals nicht einfach. Er schien eigentlich gesund zu sein, er wog vier Kilo, war also schon ziemlich groß. Aber er wurde von der Nabelschnur stranguliert. Er hatte eine Zyanose, eine bläuliche Verfärbung des Gesichtsgewebes."

Fünf oder sechs Tage habe der kleine Gianluigi dann in einem Brutkasten gelegen. "Wir wussten nicht, ob er bleibende Hirnschäden davontragen würde. Als die Ärzte ihn schließlich mir übergaben, sagten sie, das wisse nur Gott. Aber der liebe Gott war großzügig. Er war sehr gut zu uns. Gigi lernte das Gehen und Sprechen mit neun Monaten, vor allen anderen Kindern. Selbst dabei war er die Nummer eins", erzählt Maria.

Die Nummer eins ist Buffon immer noch, der teuerste Torwart der Welt. Dabei hatte er seine Karriere als Mittelfeldspieler begonnen. "Ich weiß, dass Gigi für andere eine Legende ist, aber für mich ist er immer noch der kleine Junge, der für Canaletto di La Spezia spielte, bevor er anfing, im Tor zu stehen", sagte Buffons Schwester Guendelina in einem Interview mit dem Corriere della Sera. "Er lief mit knallroten Wangen herum, hatte Haare wie ein Stachelschwein, fadendünne Beine und eine kleine Wampe, weil er so gerne aß."

Buffons Leidenschaft fürs Essen entstand in Udine, rund 130 Kilometer nordöstlich von Venedig. Sein Vater Adriano stammt aus Latisana, seine Geschwister lebten jedoch in der Nähe von Pertegada, wo Gigi in seiner Kindheit oft den Sommer verbrachte und bei seinem Onkel Gianni, seiner Tante Maria und seiner Großmutter Lina lebte. Sie bewohnten ein Apartment über einem Lebensmittelgeschäft, das sie mit Hilfe einer der anderen Tanten Buffons, Aldina, betrieben.

Für Gigi war es, wie er in seiner Autobiografie schrieb, eine "magische Welt": "Ich durchstöberte die Regale, rannte durch die Gänge und hatte immer einen vollen Magen. Mein Favorit war das Mortadella-Sandwich. Das habe ich immer in irrsinnigem Tempo verschlungen."

Falls seine Ernährung eine Rolle bei seinem schnellen Wachstum spielte, dann spielten seine Gene eine noch größere. "Ich habe stets vermutet, dass ich Sport in meiner DNA habe. Ich komme aus einer Familie voller Athleten", so Buffon. Sein Vater war Kugelstoßer, seine Mutter Diskuswerferin, seine beiden Schwestern spielten Volleyball. "Fünf Azzurri", erzählt Maria stolz: "Wir alle haben Italien repräsentiert, eine echte Sportlerfamilie. Wir hatten großes Glück. Wir haben immer Sport getrieben, und dann haben wir Sport gelehrt."

Tatsächlich waren Maria und Adriano Sportlehrer. Adriano trainierte sogar Gigis erste Mannschaft Canaletto di La Spezia. Trotz seiner Vergangenheit als Leichtathlet war Adriano stets ein Fußballfanatiker. Eine Leidenschaft, die der sechsjährige Gigi zunächst gar nicht teilte. Zu jener Zeit spielte er lieber Tischtennis.

"Zu Beginn hatte ich keine besondere Leidenschaft für das Team oder den Sport, aber ich mochte die Tasche, die Schuhe, die Trikots. Das war es, was für mich den Unterschied ausmachte."

Zudem half es, dass er in seinem ersten Spiel per Freistoß traf. Gigi war groß und stark für sein Alter, er hatte einen strammen Schuss, weshalb er als Standard-Spezialist ran durfte, besonders während seiner Zeit in Perticata, dem Carrara-Klub. Dorthin war er von Canaletto gewechselt, um näher an seiner Heimat zu sein.

Buffon traf sogar die Latte im San Siro, in seinem ersten Spiel, mit elf Jahren, zumindest behauptet er das. "Ich kann mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern, dass Gigi die Latte mit einem Freistoß getroffen hat", lacht Cristiano Zanetti im Gespräch mit Goal, "aber wenn Gigi sagt, es sei so passiert, dann muss es wahr sein. Er war stets ehrlich, und er ist es noch immer."

Zanetti muss es wissen. Er spielte mit Buffon für Juve und die italienische Nationalmannschaft. Es war der 5. März 1989, als die beiden im Giuseppe Meazza erstmals gemeinsam auf dem Rasen standen. "Ich kam aus Massa und Gigi aus Carrara. Die Städte liegen sehr nah beieinander, deshalb kannten wir uns gut. Wir waren immer Gegner, bis wir für ein Auswahlteam nominiert wurden, um vor einem Serie-A-Spiel zwischen Inter und Verona gegen eine Mannschaft aus Veneto zu spielen."

"Das San Siro", berichtet Zanetti, "war eine unglaubliche Erfahrung für kleine Jungs wie uns. Ich spielte als Zehner und Gigi hinter mir im Mittelfeld. Ich war damals winzig. Gigi nannte mich immer 'Zanettino'. Er war viel größer als ich, aber auch als alle anderen. Deshalb hat es mich auch nicht überrascht, dass er später die Position gewechselt und fortan als Torwart gespielt hat."

Der kleine Zanetti war nicht der einzige, der Buffons Potenzial als Torhüter erkannte, Adriano sah es ebenfalls. Er war das totale Gegenteil des vom Spielfeldrand kommandierenden Vaters. Bei Gigis Spielen stand er meist ruhig und gut versteckt am Rand. Adriano wollte keinen Druck auf seinen Sohn ausüben, Gigi sollte einfach Spaß haben.

Die Weltmeisterschaft 1990 änderte schließlich alles im Leben des jungen Gianluigi Buffon. Während des Turniers verliebte sich Gigi in Kamerun, insbesondere in deren talentierten Torhüter Thomas N'Kolo.

Buffon hatte ihn vor drei Jahren das erste Mal gesehen, als N'Kolo mit Espanyol Barcelona den AC Mailand im UEFA-Cup bezwang. Es waren aber erst N'Kolos Leistungen bei der WM in Italien, die Buffon verzauberten. "Er saß begeistert da und hat alle Spiele Kameruns gesehen", berichtet Maria: "Er ist sogar vor ein paar Jahren nach Afrika gereist, um ein Benefizspiel mit Thomas zu bestreiten."

Es flossen sogar Tränen bei Buffon, als Kamerun in der Verlängerung des Viertelfinales gegen England ausschied. Bis heute ist Gigi verärgert über die beiden umstrittenen Elfmeter, die Gary Lineker herausholte und verwandelte. Seine Bewunderung für N'Kolo dagegen hat weiterhin Bestand. Buffon nannte seinen ersten Sohn zu Ehren seines Idols Louis Thomas. Als N'Kolo davon hörte, klingelte er gleich bei Gigi durch, um zu gratulieren.

Mit N'Kolo hatte Buffon nicht nur sein erstes sportliches Vorbild gefunden, mit ihm fand er auch zu seiner Berufung. Als Papa Adriano das im Sommer 1990 erkannte, schlug er Gigi vor: "Warum probierst du es nicht mal als Torwart?" Buffon versuchte es. Oder: Er wollte es versuchen. Das Problem war: Perticata wollte nicht. Der Klub war nur an dem Mittelfeldspieler Buffon interessiert.

Mit N'Kolo hatte Buffon nicht nur sein erstes sportliches Vorbild gefunden, mit ihm fand er auch zu seiner Berufung. Als Papa Adriano das im Sommer 1990 erkannte, schlug er Gigi vor: "Warum probierst du es nicht mal als Torwart?" Buffon versuchte es. Oder: Er wollte es versuchen. Das Problem war: Perticata wollte nicht. Der Klub war nur an dem Mittelfeldspieler Buffon interessiert.

Gigi war inzwischen jedoch fest entschlossen, Torhüter zu werden. Er suchte und fand einen neuen Klub: Bonascola. "Bei Perticata hat Gigi Tore geschossen, aus dem Mittelfeld, mit Eckbällen, von überall", sagte Buffons früherer Trainer Avio Menconi in einem Interview mit Il Tirreno: "Er hatte einen großartigen Körperbau, er war stark am Ball, aber er wollte im Tor spielen. Ich sagte: 'Kein Problem, schickt ihn zu mir.'"

Menconi brachte ihm bei, richtig zu parieren. "Ich bestand darauf, dass er immer versucht, den Ball festzuhalten. Aber was all die anderen Elemente des Torwartspiels betrifft: Er wurde dazu geboren …" Es dauert nicht lange, bis das auch andere Vereine erkannten. Schon vor seiner ersten Saison als Keeper war Buffon gefragt. Der AC Mailand, Bologna und Parma luden ihn zum Probetraining ein.

Milan war besonders heiß auf Buffon, die Rossoneri schickten sogar einen unterschriftsreifen Vertrag an Gigis Eltern. Nachdem Maria und Adriano das Internat des Klubs besichtigt hatten, machten sie sich jedoch Sorgen wegen der großen Distanz, die bei einem Wechsel zwischen Eltern und Kind liegen würde.

Bologna schien deshalb die attraktivere Option zu sein, Gigi genoss sein Probetraining in Casteldebole. Doch nicht jeder im Verein war von Buffon überzeugt. Bologna zögerte. Ein fataler Fehler.

Zwar gab es auch in Parma Zweifel, ein Mann erkannte Gigis Potenzial aber sofort: Emres Fulgoni. "Als ich Gigi das erste Mal sah, dachte ich nur: Dieses Kind ist phänomenal", erzählt der frühere Torhüter Goal. "Parmas Sportdirektor war sich aber nicht sicher. Gigi war ein bisschen plattfüßig. Seine Technik war nicht gerade großartig."

"Ich wusste jedoch, dass wir daran arbeiten können. Ich habe den Verantwortlichen gesagt: 'Wir müssen Gigi verpflichten, sonst tut es jemand anders.' Zum Glück haben sie auf mich gehört." Im Alter von 13 Jahren verließ Buffon schließlich seine Heimat Carrara, um nach Parma zu ziehen. Noch bei seinem Abschied wurde er mit den Abschiedswünschen seiner Freude überflutet. Die Jungs hofften, über Gigi an Trikots, Hosen oder Stutzen des AC Parma heranzukommen.

Menconi war da schon etwas ambitionierter. Er war schon damals derart überzeugt von seinem Schützling, dass er Buffon um dessen erstes Trikot bat, das er in der Nationalmannschaft tragen würde. Gigi gab Menconi sein Wort, auch wenn er diese Bitte etwas absurd fand. Die Strahlkraft der Squadra Azzurra schien weit entfernt von der Tristesse, die Buffon zunächst in seinem neuen Zuhause, dem Internat Maria Luigia, empfand.

Es war eine beeindruckende, farbenfrohe Villa, unweit des Stadio Tardini, aber es war eine komplizierte Umgebung für einen 13-Jährigen, der erstmals fernab seiner Eltern lebte.

Dank seines aufgeschlossenen, fröhlichen Charakters freundete sich Buffon jedoch schnell mit seinen Mitbewohnern an: Mit Andrea Tagliapetra, Steve Ballanti und Antonio Venturini. Venturini verabschiedete sich nach nur zwei Monaten, weil er seine Familie vermisste. "Anfangs war auch ich nicht glücklich. Schon das Wort 'Internat' hat nicht gerade positive Gefühle hervorgerufen. Aber mit der Zeit habe ich es lieben gelernt."

Auf der Maria Luigia waren Kinder aus allen Teilen des Landes, mit ganz unterschiedlichen kulturellen, sozialen und ökonomischen Hintergründen. Wie in vielen Schulen war Mobbing ein Thema, auch wenn Gigi diesbezüglich keine Probleme hatte. "Wer das einmal versuchte, hat es kein zweites Mal getan", erinnert sich Buffon.

Gigi war in dieser Zeit vor allem damit beschäftigt, sich auf dem Fußballfeld zu behaupten. Er arbeitete hart, er versuchte aber teilweise, den Gegner vorzuführen und machte deshalb leichtsinnige Fehler. Gigi dachte in seiner jugendlichen Naivität, noch immer jeden beeindrucken zu können, wie er es stets getan hatte, aber seine Fehler blieben nicht unbemerkt.

Nach einem groben Patzer in einem Trainingsspiel stellte Fabrizio Larini, der Leiter der Jugendabteilung Parmas, Gigi zur Rede. "Versuch dich zu ändern, ansonsten geh' nach Hause", sagte er Buffon in aller Deutlichkeit. Für Gigi kam das überraschend, doch die Warnung erzielte den gewünschten Effekt.

Buffon minimierte die Überheblichkeit in seinem Spiel, er spielte fortan seriöser. Nur einen Monat später hielt er im Finale eines Jungendturniers drei Elfmeter und traf sogar selbst vom Punkt. Es war ein besonderer Moment in seiner jungen Karriere, fortan sollten ihm all seine Jugendtrainer vertrauen.

Schon bald folgte auch internationale Anerkennung. Im Mai 1993 verhalf er Italien zum Finaleinzug bei der U16-Europameisterschaft in der Türkei. Der spätere König von Rom, Francesco Totti, spielte im Sturm, doch der 18 Monate jüngere Buffon stahl ihm die Show. Im Viertelfinale parierte er im Elfmeterschießen gegen Spanien zwei Elfmeter, im Halbfinale gegen die Tschechoslowakei hielt er sogar drei.

Am selben Tag erreichte die 16-jährige Tennisspielerin Maria Francesca Bentivoglio das Viertelfinale der Italian Open. Am nächsten Morgen hatte die Nation zwei neue sportliche Helden "Bentivoglio und Buffon – Italien applaudiert Euch!", war auf der Titelseite der Gazzetta dello Sport zu lesen.

Von diesem Tag an kannte jeder Buffons Namen. Nach der Rückkehr nach Rom nahm Buffon mit einigen Teamkollegen einen Zug nach Parma, alle waren sie noch stolz auf ihre Trainingsanzüge der Nationalmannschaft.

Einige Teenager sahen die Jungnationalspieler. "Ich habe in der Zeitung von der U16-EM gelesen. Der Torwart soll gut sein. Wie war noch sein Name? Buffon?", fragte einer. "Das bin ich", rief Gigi voller Begeisterung.

"Ich fühlte einen Anflug von Stolz", schrieb Buffon später in seinem Buch, "aber auch, dass sich etwas verändert hat, dass ein neues Kapitel in meinem Leben beginnt."

Und trotzdem wollte Gigi weiterhin Gigi sein. Der Gigi, der so oft er nur konnte zu seinem Heimatteam Carrarese reist. Buffon fuhr sogar alleine zu Auswärtsspielen seines Herzensklubs. Nicht weil er ein Fan war, Buffon war ein Ultra, ein Mitglied des Commando Ultra Indian Trips. Gigi hatte sogar ein eigenes Banner. Seine Handschuhe zieren noch heute die Kürzel der Gruppe.

All das war Buffons rebellische Seite, ein Versuch, seine Jugendjahre zu genießen, trotz der Opfer, die er für seinen Traum vom Profifußball bringen musste. Gigi begann mit 14 Zigaretten zu rauchen. Unterwegs mit den Ultras, zog er sogar mal am Joint. Er machte so einige Dummheiten, aber er machte nie denselben Fehler zweimal.

Als Teenager war Gigi teilweise unverschämt. Als er im Sommer 1995 mit den Profis des AC Parma auf eine Tour nach Nordamerika reiste, war seine Unreife offensichtlich. Während eines Aufenthalts in einem Hotel samt Golfplatz warnte Trainer Scala die Spieler davor, mit den Buggys herumzufahren. Gigi hörte nicht zu. Vor einem Trip zu den Niagarafällen befahl Scala, kein Junkfood zu essen. Gigi hörte nicht zu.

"Ich habe mir ein Eis bestellt, das so groß wie die Fackel der Freiheitsstatue war", sagte er: "Ich habe genau das Gegenteil von dem gemacht, was Scala mir gesagt hat. Ich hatte Angst, dass er wegen mir mal zum Psychologen gehen muss." In Wahrheit war Scala natürlich bewusst, dass Buffon ein ganz normaler Teenager ist, der seine Grenzen austesten will.

"Während meiner Zeit bei Coverciano, wo ich Psychologie studiert habe, habe ich alles darüber gelesen", verrät er bei Goal. "Gigi hat manchmal blöde Sachen gemacht, aber er war einfach noch ein Kind."

"Für mich war das nicht wichtig. Für mich war wichtig, dass er ein guter Mensch wird, dass er seine Trainer respektiert, seine Teamkollegen, seinen Verein. Ich würde nun gerne behaupten, dass er diese Dinge von mir gelernt hat, aber Gigi war schon immer ein guter Junge, sehr offenherzig, stets gewillt sich zu verbessern."

Fulgoni hatte ebenfalls nie Beschwerden. Eigentlich genoss er Buffons kecke Attitüde und sah darin die Charaktereigenschaft eines gut verträglichen Menschen, mit den Hindernissen umzugehen, die ihm das Spiel bescherte.

"Der Junge hatte großen Charakter, sowohl auf als auch neben dem Platz", sagte er. "Er war bescheiden, hatte aber eine große Persönlichkeit."

"Eines Tages, ich trainierte gerade einige Torhüter, die älter waren als er, wollte ich ihnen eine Motivationsspritze geben, da sie nur sehr schleppend mitmachten. Ich habe sie angebrüllt: 'Schaut euch diesen Jungen hier an. Von ihm könnt ihr euch eine Scheibe abschneiden. Er wird eines Tages für Italien spielen. Er wird mit 20 in der Serie A spielen!'"

"Gigi entgegnete: 'Aber Mister, was soll ich denn solange bis dahin machen?!' Das war Gigi, und solche Eigenschaften sollte man bei einem Kind nicht verändern. Es macht sie zu dem, was sie sind - sowohl als Mensch als auch als Spieler."

Und es war auch nicht verwunderlich, dass Scala sich wiederholt Gedanken machte, den jungen Gigi in den Profikader zu berufen - dieses Mal im November 1995, nachdem sich Luca Bucci verletzt hatte.

"Alessandro Nista war unser Ersatzkeeper, er war als für den Startelfeinsatz gegen Milan in der Pole-Position", gibt Scala zu. "Aber am Montag im Training war Buffon sensationell."

"Es war jeden Tag das gleiche: Buffon war nicht zu bezwingen, er hielt einen Ball nach dem anderen. Am Freitag habe ich mich dann an unseren Torwartrainer Enzo Di Palma gewandt und gemeint: 'Siehst du auch das, was ich sehe?!' Enzo antwortete: 'Der Junge ist sogar noch besser, als wir gedacht haben. Aber wir können ihn nicht gegen Milan starten lassen. Wenn er patzt, wird er sich davon vielleicht nie wieder erholen.' Ich entgegnete: 'Aber er war auch am Samstag wieder unglaublich, deshalb habe ich mich dazu entschieden, mit ihm an diesem Abend zu sprechen.'"

Buffon's family business

Schließlich gab Buffons Gelassenheit den Ausschlag. "Nachdem ich gesehen habe, wie er so drauf war - ruhig und gefasst - habe ich mich dazu entschlossen, ihn von Anfang an zu bringen", so Scala.

Einige von Buffons Teamkollegen waren dennoch etwas beunruhigt, als sie sahen, wie er auf dem Weg ins Tardini im Bus vor sich hinschlief und wenig später Baggio oder Weah stoppen sollte. Sie wollten einen entspannten Keeper, aber nicht so einen entspannten.

Als Gigis Eltern schließlich im Stadion ankamen, wussten sie noch nicht, dass ihr Sohn in der Startelf stehen würde. "Er hat uns nicht erzählt, dass er sein Debüt feiern würde. Es hat uns gar nichts gesagt", verrät Maria Goal.

"Am Tag davor hat mir mein Bruder erzählt, dass es Gerüchte gibt, dass Gigi sein Debüt feiern könnte. Aber ich habe das nicht geglaubt. Mit seinen 17 Jahren war er immer noch ein Baby. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es mit solchen Fußball-Monstern von Milan wie Weah, Maldini oder Costacurta aufnehmen würde. Wir gingen also ganz entspannt ins Stadion, um das Spiel zu sehen."

Als sie dann drinnen waren, kam ihnen ein aufgewühlter Fulgoni entgegen, um ihnen mitzuteilen, dass ihr Sohn in der Startelf steht. "Sie waren geschockt", erzählte er lachend. "Aber ich habe ihnen gesagt: 'Macht euch keine Sorgen, er kann echt gut spielen. Er wird ein tolles Spiel machen.'"

In der Parma-Umkleide verspürte Buffon trotzdem plötzlich das erste Mal einen Hauch von Nervosität. Doch seine guten Teamkollegen, Massimo Crippa und Alessandro Melli, beruhigten den Youngster und sprachen ihm Mut zu.

Und selbst die Milan-Spieler hatten im Spielertunnel noch ein paar warme Worte für Buffon übrig, sein Gegenüber Sebastiano Rossi und Rechtsverteidiger Christian Panucci sprachen ihm gut zu. Danach wurde er von Paulo Maldini, der selbst mit 16 Jahren in der Serie A debütiert hatte, eine Weile gemustert, ehe er ihn anlächelte und viel Glück wünschte.

Buffon trat schließlich entschlossen auf den Rasen, er war bereit für das Spiel, er war motiviert, beinahe übermotiviert.

Am 19. November 1995 war letztlich zum ersten und einzigen Mal kein Torhüter auf dem offiziellen Match-Foto vor dem Spiel bei Parma zu sehen. Der Grund war so einfach wie kurios zugleich: Buffon war mit dem Prozedere einfach nicht vertraut. Er kam direkt aus der Primavera, wo es keine Teamfotos vor Anstoß gab.

Noch bevor die Seitenwahl stattgefunden hatte, lief Buffon direkt in den Strafraum. Auf den alten Bildern kann man sogar noch sehen, wie ihn seinen Parma-Kollegen zurückrufen wollten, aber es war bereits zu spät. Buffon hatte bereits Stellung zwischen den Pfosten bezogen, eine Tatsache, die bei Milan im Nachhinein noch für Verzweiflung sorgen sollte.

Der 17-jährige Parma-Debütant mag zwar einen Anfängerfehler gemacht habe, bevor das Spiel überhaupt begonnen hatte, aber im Anschluss wuchs er von der ersten bis zur letzten Sekunde über sich hinaus und zeigte eine Glanzparade nach der anderen - vor allem gegen Baggio, Weah und Zvonimir Boban. "Gigi ging raus und vollbrachte Wunder an diesem Tag“, erinnert sich Scala.

Viele weitere Wunder sollten folgen, nicht umsonst wurde Buffon später 'San Gigi' getauft.

Nachdem er in einem Liga-Spiel gegen Inter 1997 einen Elfmeter des großartigen Ronaldo gehalten hatte, wurde er von den dankbaren Parma-Fans gar mit einem 'Superman'-Shirt gefeiert. Zwei Jahre später feierte er genau in jenem Shirt den Gewinn der Coppa Italia.

Die Analogie schien zu passen. Ein Junge von seltener Größe und Kraft entwickelte sich in einen Helden mit geradezu übermenschlichen Fähigkeiten. Und selbst wenn er mal einen Fehler machte, hinkt der Vergleich nicht.

Als Buffon im Jahr 2016 aber nach einigen Patzern auf Vereins- und Nationalmannschaftsebene von zahlreichen Kritikern bereits abgeschrieben wurde, standen die Fans von Juventus zu ihm und zeigten vor dem Spiel gegen Udinese ein großes Banner. "Selbst Superman ist manchmal nur Clark Kent", stand darauf. "Gigi, für immer unser Superheld"

Doch Gigi fühlte sich nie als solcher. Trotz all des Ruhms hatte er seine Wurzeln nie vergessen - das, was ihm seinen Eltern beigebracht hatten.

"Sport war immer sehr wichtig für uns, nicht nur wegen der Bewegung an sich", erklärt Maria. "Für uns war das ein Weg, den Kindern beizubringen, wie man mit anderen umgehen sollte. Wie man mit Niederlagen und Schmerz umgeht. Und Gigi musste definitiv leiden. Er hatte insgesamt viel Glück, aber auch einige bittere Niederlagen und schlimme Verletzungen."

"Bei der WM 2010 rief er uns mit dem Handy aus seinem Bett an und stellte das Gespräch auf Lautsprecher, weil er solche Rückenschmerzen hatte, dass er es nicht mehr aushalten konnte. Der Sport kann dir, genau wie das Leben, beibringen, mit Leid umzugehen und es zu überwinden. Und man lernt dadurch, bescheiden zu sein. Trotz allem hat er sich nie verändert."

"Selbst nach seinem Debüt gegen Milan haben wir Gigi erst später gesehen, denn er stieg sofort ins Auto, um sich ein Volleyballspiel von Veronica in der Nähe anzusehen. Als wir dort ankamen, haben wir viele Komplimente bekommen: 'Euer Sohn ist unglaublich!', und weitere solche Sachen. Sie haben ihn mit Lev Yashin verglichen, wobei ich nicht mal wusste, wer das war."

"Als wir zurück nach Parma fuhren und Gigi mitnahmen, war er sehr ruhig. Am Abend sprachen sie im TV über 'Baby-Buffon', aber für uns war es immer noch der gleiche Gigi. Am Tag danach haben wir uns dann einige Zeitungen gekauft. Als wir zurückkamen, war Gigi gerade am Telefon und hielt uns an, leise zu sein. Ich fragte ihn: 'Warum dürfen wir nichts sagen?', wobei er darauf antwortete: 'Ich bin gerade live im TV!' Trotzdem: Er hat sich nie verändert, er war vom Charakter meinem Mann sehr ähnlich. Er ist ein sehr ausgeglichener Mensch."

Vater Adriano hat Gigi gut erzogen, er hat den Grundstein dafür gelegt, dass Superman auf dem Boden blieb. Während andere ihm sagten, wie außergewöhnlich Gigi doch sei, bezeichnete ihn Adriano immer nur als "ganz ordentlich".

Gigi wusste auch deshalb, dass er kein Superheld war. Dass er nichts ist, ohne die Leute, die ihn umgeben. Deshalb fiel es ihm nie schwer, sich bei anderen zu bedanken. Er half seiner Familie mit Geld und Arbeit aus, aber wenn er nach Hause kam, war er einfach nur Gigi, das kleine Baby der Familie.

Als er im Jahr 1997 in der russischen Kälte sein Debüt für Italien feierte, stellte er sicher, dass Avio Menconi wie versprochen sein Trikot bekam.

Als er mit Juventus für ein Spiel in der Coppa Italia vor zwei Jahren nach Parma zurückkehrte, traf er sich mit Ermes Fulgoni und plauderte über Vergangenheit und Zukunft.

Und als er vergangenes Jahr eine weitere Auszeichnung einheimste, rief er Nevio Scala an.

"Er sagte zu mir: 'Hallo Mister, wie geht es Ihnen? Wir haben uns lange nicht gehört, aber ich wollte mich einfach dafür bedanken, für alles, was Sie in den vergangenen Jahren für mich getan haben.' Ich war aber nicht überrascht. So ist er einfach. Das ist Gigi Buffon."

Und deshalb ist und bleibt er die Nummer 1.

Photo credit: Michael Phillips, Bologna Press