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Belgien: Wie Thierry Henry Romelu Lukaku besser macht


HINTERGRUND

Es war eine dieser berühmten Szenen, die um die Welt gehen. Manchmal wählt man die Formulierung vorschnell, im Fall von Thierry Henry war es aber tatsächlich so. Frankreich gegen Italien, WM 1998, Viertelfinale, Elfmeterschießen. Henry, damals erst 20 und einer der aufgehenden Sterne jener Endrunde, hatte seinen Strafstoß wenige Augenblicke zuvor souverän verwandelt. Nun war Routinier Laurent Blanc dran - aber statt hinzuschauen, versteckte sich Henry lieber hinter Kumpel David Trezeguet. Erst, als Blanc getroffen hatte, lugte er wieder lächelnd hinter Trezeguets Trikot hervor.

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Kurz darauf sollte Frankreichs Weiterkommen durch Luigi Di Biagios Fehlschuss besiegelt werden, durch ein 3:0 gegen Brasilien im Finale wurden Les Bleus später im eigenen Land Weltmeister. Und der junge Henry mittendrin. "Er hat die Erfahrung eines Weltmeistertitels. Das ist unbezahlbar für uns, die mentale Barrieren überwinden müssen, um dorthin zu kommen", hatte Belgiens Cheftrainer Roberto Martinez bereits Wochen vor der WM 2018 bei FIFA.com gesagt.

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Henry ist seit zwei Jahren Martinez' Co-Trainer, steht nun vor einem ganz besonderen Duell gegen sein Heimatland, mit dem er vor 20 Jahren die WM gewann, zwei Jahre später dann auch die EM. Sein Anteil daran, dass es Belgiens Goldene Generation in Russland bis ins Halbfinale gegen Frankreich (Dienstag, 20 Uhr im LIVE-TICKER) geschafft hat, wird gefühlt von jedem Beteiligten immer wieder hervorgehoben.

Belgien: Vor allem Lukaku profitiert von Co-Trainer Henry

"Er macht sehr spezielle Übungen und lässt uns an seiner Erfahrung teilhaben. Er hat immer einen guten Rat, vor allem für die Stürmer", lobte kürzlich Rechtsverteidiger Thomas Meunier. Profit aus der Zusammenarbeit mit Henry schlägt dabei ganz besonders ein Angreifer: Romelu Lukaku.

Festmachen lässt sich das zunächst an Zahlen: Seit Henry und Martinez Belgien im August 2016 übernahmen, hat Lukaku in 22 Länderspielen 23 Tore erzielt, trifft im Schnitt also in jeder Partie. In den Jahren zuvor hatte der 25-Jährige von Manchester United in 51 Länderspielen "nur" 17 Treffer auf sein Konto gebucht, netzte durchschnittlich also nur in jedem dritten Spiel.

Lukakus Länderspielbilanz für Belgien:

Vor Thierry HenrySeit Amtsantritt von Thierry Henry (August 2016)
51 Länderspiele22 Länderspiele
17 Tore23 Tore
3 Assists5 Assists

"Seitdem wir zusammenarbeiten, bin ich doppelt so gut geworden", schwärmte Lukaku vor einigen Wochen bei The Player's Tribune. Bei Chelsea habe er einst von Didier Drogba, einem anderen seiner Idole gelernt, führte er aus. "Drogba war mein Vorbild, aber als wir zusammen trainierten, standen wir in Konkurrenz zueinander. Mit Thierry ist es anders, weil er mein Trainer ist."

Henry arbeitet sehr gerne im Detail, geht jeden noch so kleinen Teil von Bewegungsabläufen durch, seziert Ballannahmen, die Fußhaltung beim Schuss oder philosophiert über die richtige Dosierung des ersten Kontaktes. "Er hilft mir in allen Aspekten meines Spiels extrem", betont Lukaku. "Spielverständnis, Technik, meine Bewegungen im Strafraum richtig zu kontrollieren, bei meinem Schuss." In einer seiner ersten Trainingseinheiten bei Belgiens Nationalelf nahm Henry Lukaku, Christian Benteke und Eden Hazard zur Seite. "Er hat meine Art, mich vom Verteidiger zu lösen, korrigiert."

Lukaku ist dank Henry effektiver geworden, ruhiger vor dem Tor, besser im Reagieren auf Handlungen des Gegenspielers. Gleichzeitig hat der frühere französische Weltklassestürmer aber auch die Fähigkeiten Lukakus gestärkt, die viele ob der bulligen Statur des United-Stars erst gar nicht wahrnehmen: Lukaku kann auch Fußball spielen, verfügt über eine hervorragende Ballkontrolle, ist deutlich geschmeidiger an der Kugel als oft fälschlicherweise geurteilt.

Belgien bei der WM: Lukaku spricht mit Henry sogar über die Taktik von Düsseldorf

Seine herausragende Vorarbeit für Kevin De Bruyne zum 2:0 gegen Brasilien sei Beweis genug, gegen Japan ließ er den entscheidenden Pass von Meunier zudem geistesgegenwärtig durch, weil er Nacer Chadli in seinem Rücken wusste. "Romelu hat ein elitäres Fußballhirn und will immer der Beste auf seiner Position sein", lobte Chefcoach Martinez, der Lukaku im Viertelfinale gegen Brasilien mitunter in zurückgezogenerer Rolle agieren, ihn mit De Bruyne und Eden Hazard ein flexibles Offensiv-Trio bilden ließ, kürzlich im Goal-Interview.

"Thierry hat riesigen Anteil daran", sagte Martinez über die besondere Beziehung Lukakus zu Henry. "Er hat wirklich extrem gut mit Rom gearbeitet." Lukaku und Henry sind auf einer Wellenlänge, kommen beide aus schlichten Verhältnissen, mussten sich durchbeißen. "Ich verdanke ihm viel", sagt Lukaku. "Wir führen ganze Debatten über Fußball. Ich schaue die ganze Zeit Fußball und er genauso. Wir diskutieren über alles, ich meine, wir sitzen rum und debattieren leidenschaftlich über deutschen Zweitligafußball." Es gehe sogar so weit, dass er Henry frage: "'Hey, hast du Fortuna Düsseldorfs Taktik gesehen?‘ Und er antwortet: 'Sei nicht albern, na klar habe ich das'."

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Es ist vor allem diese Mischung aus Respekt und Nähe, die Lukakus Arbeit mit Henry so fruchtbar für den belgischen Stürmer macht. Im WM-Quartier zocken sie gemeinsam mit den anderen Jungs Playstation, Lukaku spricht Henry aber dennoch meistens weiterhin mit 'Monsieur" an. Und er saugt förmlich auf, was ihm sein Co-Trainer zu sagen hat: "Die Zeit, die ich mit ihm verbringe, nutze ich, um Fragen zu stellen. Ich nehme es nicht als selbstverständlich hin, mit ihm arbeiten zu können", sagte Lukaku mal bei NBC Sport. "Manchmal stelle ich ihm zwei Stunden lang Fragen."

Henry, der für seinen Co-Trainerjob lediglich 8000 Euro erhält, die er komplett für wohltätige Zwecke spendet, weiß indes, dass Fußball-Profis stets auch Entwicklungsprozesse durchlaufen, hat das bei der Arbeit mit Lukaku immer im Hinterkopf. "Es wird eine Umstellung für ihn, aber ich war mit 24 auch nicht der gleiche Spieler, der ich mit 28 war", erklärte Henry vergangenen Sommer nach Lukakus Wechsel von Everton nach Manchester. "Alles kommt mit dem Gewöhnen an das Spielen auf diesem Level, mit dem Spielen mit besseren Spielern. Was ich über ihn sagen kann, ist, dass er das Spiel ständig studiert. Alles, was er macht, macht er zu 100 Prozent."

Während der WM, die für Belgien bisher so erfolgreich verlief, sagt Henry derweil nichts. Aufgrund seines Vertrages mit einem englischen TV-Sender ist ihm das angeblich untersagt. Dennoch ist der 40-Jährige einer der heimlichen Stars der Endrunde, immer, wenn er mal wieder mit seiner ruhigen, aber bestimmten Art im Fernsehbild erscheint, schlägt das Herz eines jeden Fußballromantikers höher.

Henry mit Belgien gegen Frankreich: Das besondere WM-Halbfinale

Wahrscheinlich speziell das der Franzosen. Belgiens Gegner hätte einen wie Henry, eine Legende der Equipe Tricolore, vermutlich auch gerne im Boot - stattdessen weiß man ihn als wertvollen Ratgeber auf der anderen Seite. Klar, Henrys Aus in der Equipe Tricolore im Zuge der völlig verkorksten WM 2010 wirkt immer noch nach, auch sein irreguläres Tor im entscheidenden WM-Playoff 2009 gegen Irland kratzte an seinem Heldenstatus in der Grande Nation. Außerdem ist Henry heute kaum noch in Frankreich, lebt in London.

Frankreichs Verbandspräsident Noel Le Graet sagte am Sonntag zu AFP: "Wir hatten ihn ein bisschen aus den Augen verloren, er hatte kaum Kontakt mit dem Verband und ist schon lange in England." Und Lucas Hernandez, Linksverteidiger der französischen Elf, vermutete auf einer Pressekonferenz: "Ich denke, wenn wir gewinnen, wird er sich trotzdem freuen. Denn er ist immer noch in erster Linie Franzose."

Henry wird dem zwar nicht widersprechen. Und doch würde er sich am Dienstag, anders als vor 20 Jahren, in einem möglichen Elfmeterschießen wohl über einen französischen Fehlschuss freuen. Und sich diesmal vielleicht hinter Lukaku statt hinter Trezeguet verstecken, um nicht hinsehen zu müssen.

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