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Glasgow Rangers, Religion und Mo Johnston: Schottischer Mauerfall

Mo Johnston wurde in eine katholische Familie in Glasgow geboren, selbstverständlich unterstützte er als Kind den Celtic FC. Die Klubzugehörigkeit hängt in Schottland schließlich von der Konfession ab. 1984 unterschrieb der junge Nationalstürmer bei seinem Lieblingsklub, aus einem Fan wurde ein Spieler. Lebenstraum!

Bei Celtic traf Johnston im Schnitt in jedem zweiten Spiel. Er wurde Meister und Pokalsieger, aber nicht nur das: Er wurde zum Helden. Nachdem Johnston bei einem Old Firm gegen den protestantischen Rangers FC die Rote Karte gesehen hatte, bekreuzigte er sich auf dem Weg in die Kabine vor dem gegnerischen Fanblock. Diese so provokante Aktion löste bei den einen noch mehr Liebe aus, bei den anderen vergrößerte sie den Hass dagegen weiter.

Nach drei Jahren bei Celtic wagte Johnston den Schritt ins Ausland zum französischen FC Nantes, aber schon 1989 wollte er in die Heimat zurückkehren: Standesgemäß unterschrieb er zunächst erneut bei Celtic, ehe er nach einem erstaunlichen Meinungsumschwung völlig überraschend doch zum großen Rivalen wechselte. Tatsächlich verpflichteten die Rangers einen Katholiken und brachen somit ihr jahrzehntelang gültiges ungeschriebenes Gesetz. Aber nicht irgendeinen Katholiken: ein Celtic-Idol mit einschlägiger Vergangenheit.

"In Glasgow war dieser Transfer eine größere Geschichte als der Fall der Berliner Mauer im gleichen Jahr", sagt Danny Grant vom Rangers-Blog Ibrox Noise zu GOAL und SPOX, damals war er zehn Jahre alt. Zum 30-jährigen Jubiläum des Transfers schrieb die schottische Zeitung Daily Record: "Es war nicht nur ein Transfer, der den schottischen Fußball in seinen Grundfesten erschüttert hat. Es war auch einer der bedeutendsten Momente in der Geschichte dieses Landes."

Die Entstehung des Religions-Konflikts in Schottland

Um die Tragweite des Transfers zu verstehen, muss man das Land verstehen, seine beiden wichtigsten Fußball-Klubs und ihren Bezug zu Religion. Schottland war zunächst katholisch, ehe es im Zuge der Reformation im 16. Jahrhundert zum Protestantismus umschwenkte. Anders als die Nachbarinsel Irland. Als dort Mitte des 19. Jahrhunderts eine Hungersnot ausbrach, strömten abertausende Katholiken nach Schottland, wo sie sich fortan mit den ansässigen Protestanten um Arbeit und Wohnraum duellierten.

Getrennt waren die beiden Volksgruppen aber nicht nur in ihren religiösen Ansichten, sondern auch in den politischen: Während die einen für eine unabhängige Republik Irland eintreten, schwören die anderen auf die Monarchie und das Vereinigte Königreich. Zusammengemischt mit etlichen weiteren Zutaten sorgten diese Umstände für ein beachtliches Ausmaß an gegenseitigem Hass.

Ausgelebt wurde die Rivalität der Konfessionen bald auch auf dem Fußballplatz: Hier Celtic, entstanden aus der katholischen Kirche St. Mary's. Dort die Rangers, gegründet von protestantischen Studenten. Auf welcher Seite die Klubs stehen, sieht man bei jedem Spiel in den Fanblocks: Hier wehen irische Flaggen, dort Union Jacks.

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Rangers FC und das ungeschriebene Gesetz

Bei ihrem Umgang mit der Religion unterschieden sich die beiden Klubs aber bald. Das katholische Celtic stand seit jeher prinzipiell allen offen, einige der größten Klublegenden sind sogar protestantisch. Trainer Jock Stein etwa, der Celtic 1967 sensationell zum Gewinn des Europapokals der Landesmeister führte. Gefragt, ob er bei zwei gleich guten Spielern den Katholiken oder den Protestanten verpflichten würde, sagte Stein: "Den Protestanten, weil ich weiß, dass die Rangers den Katholiken sowieso nicht nehmen werden."

Bei den Rangers etablierte sich im Laufe der 1920er Jahre das ungeschriebene Gesetz, keine katholischen Spieler zu verpflichten. Zurückzuführen ist die Vorgabe auf Funktionäre und Spieler, die zu jener Zeit gleichzeitig dem Oranier-Orden angehörten. Diese radikal-protestantische Vereinigung ist benannt nach Wilhelm III. von Oranien, der in Irland einst das Heer des katholischen Königs Jakob II. besiegte.

Trotz des ungeschriebenen Gesetzes spielten zwar vereinzelt Katholiken für die Rangers, mussten ihre Konfession dabei aber geheim halten. Der südafrikanische Stürmer Don Kitchenbrand etwa bekannte seinen Katholizismus erst Jahre nach seinem Abschied: "Ich konnte es damals nicht zugeben. Ich hätte mein wunderbares Leben zerstört."

Ab den 1970er Jahren wuchs der politische und mediale Druck auf die Rangers, ihre Vorgabe zu lockern. Gemunkelt wurde auch über FIFA-Untersuchungen wegen angeblicher Diskriminierungen. Immer wieder kündigten Rangers-Verantwortliche die Verpflichtungen katholischer Spielern an, für die Umsetzung wählten sie letztlich die größtmögliche Sensation.

Mo Johnstons vermeintliche Rückkehr zum Celtic FC

Mo Johnston hatte Celtic 1987 im Guten verlassen: Der Klub konnte und wollte die andernorts gebotenen Gehälter nicht bezahlen, weshalb die Fans Verständnis zeigten für den lukrativen Wechsel des damals 24-Jährigen nach Nantes. Als Johnston zwei Jahre später als Stammstürmer der schottischen Nationalmannschaft eine Rückkehr in die Heimat anstrebte, konnte es für ihn aber nur ein Ziel geben.

Am 12. Mai 1989 kündigte Celtic fast schon erwartungsgemäß eine Verpflichtung Johnstons an. Die beiden Klubs hätten sich auf eine Ablöse von 1,2 Millionen Pfund geeinigt, 400.000 davon seien schon an Nantes überwiesen worden. Angesprochen auf Gerüchte über ein angebliches Interesse von Manchester United, sagte Johnston: "Es gibt keinen anderen britischen Klub für den ich spielen könnte außer Celtic."

Tags darauf reiste Johnston mit seinen vermeintlich künftigen Kollegen im Mannschaftsbus zum abschließenden Ligaspiel. Eine Woche später verfolgte er auch das Pokalfinale im Stadion. Celtic besiegte den großen Rivalen, der sich in jener Saison aber schon den Ligapokal und Meistertitel gesichert hatte. In Glasgow verschoben sich gerade die Kräfteverhältnisse: Der Titel von 1989 war der Auftakt eines neun Jahre andauernden Meister-Abonnements der Rangers.

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Graeme Souness machte das Undenkbare möglich

Celtic stand nicht nur sportlich schlechter da als der Stadtrivale, sondern auch finanziell. So schlimm war es, dass der Klub offenbar Schwierigkeiten hatte, die ausstehende Summe für den Johnston-Transfer aufzubringen. Als Rangers-Trainer Graeme Souness von den Komplikationen erfuhr, kam ihm die Idee zum Undenkbaren. Er selbst konnte mit dem ungeschriebenen Rangers-Gesetz ohnehin nichts anfangen: seine Frau Katholikin, seine Kinder katholisch getauft. "Vielleicht war ich naiv, aber Religion war für mich nie ein Thema", sagte Souness.

Mit Verweis auf bessere sportliche Aussichten und ein höheres Gehalt überzeugte er Johnston von einem Meinungsumschwung, die beiden kannten sich von gemeinsamen Spielen für die schottische Nationalmannschaft. Trotz anfänglicher Skepsis stimmten letztlich auch die Rangers-Bosse dem Plan zu. "Es gab Widerstand im Klub und einige Direktoren befürchteten, dass uns scharenweise Fans verlassen würden", schrieb Souness in seiner Biografie. "Aber ich habe argumentiert, dass er die korrekt eingestellte Mehrzahl der Fans mit seinen Toren für sich gewinnen wird."

Tatsächlich hatte Souness dafür gesorgt, dass Johnston bereit war, seinen Lieblingsklub zu verraten. Und dass die Rangers-Bosse bereit dazu waren, ihr jahrzehntelang gültiges ungeschriebenes Gesetz zu brechen. Ein Problem gab es aber noch: Celtic und deren Vertrag mit Nantes. Die FIFA schaltete sich ein und entschied, dass Johnston ein Celtic-Spieler sei - sofern die ausstehende Summe überwiesen wird.

Celtic-Trainer Billy McNeill soll auf eine Zahlung gedrängt haben, nur um Johnston als Strafe für seinen unerhörten Verrat nie mehr einzusetzen. Der Klub aber entschied sich dagegen, bekam die bereits überwiesenen 400.000 Pfund zurück und ermöglichte somit Johnstons Wechsel zu den Rangers. Der Spieler durfte sich über ein höheres Gehalt freuen, Nantes über eine höhere Ablösesumme von nun 1,5 Millionen Pfund.

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Mo Johnstons Transfer löste einen Ausnahmezustand aus

Die breite Öffentlichkeit hatte von all den erstaunlichen Vorgängen nichts mitbekommen: Dass Johnston in der darauffolgenden Saison für Celtic spielen würde, stand bis zum 10. Juli 1989 gemeinhin außer Frage. Ziemlich genau zwei Monate nach seiner angekündigten Rückkehr zu Celtic stellten ihn die Rangers an jenem geschichtsträchtigen Tag als Neuzugang vor.

"Ich bin hocherfreut, mich den Rangers anzuschließen. Ich bewundere Graeme Souness und habe das Gefühl, zu einem der größten, vielleicht sogar dem größten Klub Europas zu wechseln", sagte Johnston und grinste aus seiner blau-weiß-roten Rangers-Krawatte heraus. Souness erklärte: "Ich wäre ein völliger Trottel gewesen, hätte ich mich nicht um Mo bemüht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich mit Sektarismus nichts zu tun habe."

Kaum waren die Worte gesprochen, brach in Glasgow der Ausnahmezustand aus. Vor dem Rangers-Stadion Ibrox Park legten Fans Kränze nieder mit der Aufschrift "Das Ende von 116 Jahren Tradition", andere verbrannten in Tränen ihre Dauerkarten und Schals. Der Generalsekretär der Fanvereinigung David Miller sprach von "einem traurigen Tag für die Rangers" und sagte: "Ich will keine römisch-katholische Person im Ibrox sehen." Celtic Fans ließen auf der anderen Seite der Stadt unterdessen kurzerhand den "We Hate Mo Johnston Celtic Supporters Club" offiziell registrieren.

Rangers vs. Johnston: Mittelfinger und Schikanen vom Zeugwart

Der grün-weiße Ärger war wohl noch größer und nachhaltiger als der blau-weiß-rote. Zum Verrat kam nämlich der Umstand, vom Rivalen vorgeführt worden zu sein. "Natürlich nahmen die Rangers-Fans den Transfer nicht gut auf", sagt Blogger Grant. "Aber es war gleichzeitig ein großer Mittelfinger in Richtung Celtic-Fans. Sie werden nie darüber hinwegkommen."

Sportlich sollte sich der Wechsel für die Rangers lohnen: Johnston schoss seine neue Mannschaft in zwei Jahren zu zwei Meistertiteln. Besänftigt hatte der Stürmer viele Fans und vor allem den Zeugwart Jimmy Bell aber schon nach wenigen Monaten mit einem späten Siegtor im Old Firm. Erst ab diesem Zeitpunkt bereitete Bell in der Kabine auch Johnstons Trikot vor und versorgte ihn wie die anderen Spieler mit Schokoriegeln.

Klub-Ikone Bell verstarb kürzlich im Alter von 69 Jahren, beim Halbfinal-Rückspiel der Europa League gegen RB Leipzig gab es eine Schweigeminute zu seinen Ehren. Seit Johnston musste der Zeugwart regelmäßig Spielern mit der anderen Konfession die Trikots herrichten. Vor allem ab dem Legionäre-Influx in Folge des Bosman-Urteils wurden Katholiken bei den Rangers zur Normalität.

Schikanen gab es aber weiterhin: Der Italiener Gennaro Gattuso (1997/98 bei den Rangers) berichtete etwa, dass er in der Kabine seine Kruzifix-Halskette ablegen musste. Erst 1998 erlaubte der Klub seinen Spielern, sich öffentlich zu bekreuzigen (aber bitte nicht vor den eigenen Fans). Im Jahr darauf avancierte der Italiener Lorenzo Amoruso zum ersten katholischen Kapitän des Klubs.

Rangers und die Religion: Die aktuelle Situation

Auch wenn die Mannschaft religiös diverser wurde, blieb die Fanszene der Rangers selbstverständlich protestantisch und stolz darauf. Trotz Initiativen der beiden Old-Firm-Rivalen gibt es in ihren Stadien bis heute hasserfüllte Gesänge gegen die jeweils andere Religion zu hören. Die UEFA bestrafte die Rangers dafür bei etlichen Europapokalspielen, etwa 2006, 2007, 2011 und 2019.

"Diese Lieder werden nicht wirklich zur Beleidigung oder aus religiösen Gründen gesungen, sondern um den eigenen Klub anzufeuern", mutmaßt Blogger Grant. Lange galt der Hass auf die andere Konfession schließlich als Synonym für die Unterstützung der eigenen (und damit auch des eigenen Klubs). Vor diesem Hintergrund wurden vor Jahrzehnten Lieder gedichtet. Sich von diesen Traditionen zu trennen, fällt offensichtlich schwer.

"Es gibt in Glasgow immer noch Sektarismus, aber er ist nicht so schlimm wie früher", sagt Grant, für den "das Konzept Religion veraltet ist". Dass mit dem englischen Innenverteidiger Connor Goldson oder dem kolumbianischen Stürmer Alfredo Morelos aktuell Katholiken wichtige Rollen in seiner Mannschaft spielen, ist Grant völlig egal: "Sie dürften einäugige, schwule Saxophon-Spieler sein, solange sie mit dem Fußball umgehen können."

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