Fernando Hierro Spain 03062018Getty

Spaniens neuer Nationaltrainer Fernando Hierro: Real-Legende, die fast durchs Raster fiel


FERNANDO HIERRO IM PORTRÄT

Dass im Fußball alles ganz schnell gehen kann, wusste Fernando Hierro schon immer ganz genau. Aber dazu später mehr. Seit Mittwochnachmittag, kurz vor 14 Uhr, ist die Verteidiger-Legende von Real Madrid neuer Nationaltrainer Spaniens und soll die Furia Roja plötzlich in Hauptverantwortung in Russland zum WM-Titel 2018 führen. Die kurzfristige Entlassung von Julen Lopetegui macht's möglich.

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Lopetegui, der seinen Vertrag als Nationalcoach eigentlich erst Ende Mai bis 2020 verlängert hatte, übernimmt ab kommender Saison als Nachfolger des zurückgetreten Zinedine Zidane Real Madrid. Der Verband erfuhr davon erst fünf Minuten vor Verkündung und sah laut Präsident Luis Rubiales keine andere Möglichkeit, als sich nur zwei Tage vor Spaniens WM-Auftaktspiel gegen Portugal am Freitag (20 Uhr im LIVE-TICKER) von Lopetegui zu trennen.

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Hierro, der seit Ende November 2017 als Sportdirektor der Nationalmannschaft angestellt war, soll es nun also richten. Wer ist der neue Coach, der Andres Iniesta und Co. nun in Russland zum Triumph anleiten soll? Goal stellt den 50-Jährigen vor.

Spanien-Coach Fernando Hierro: Real-Ikone der 90er und 2000er

Fußball-Romantiker der 1990er und frühen 2000er Jahre haben Hierro als umsichtigen, eleganten, aber dennoch resoluten Abwehrchef des großen Real Madrid in Erinnerung. 14 Jahre lang, von 1989 bis 2003, trug er das Trikot der Königlichen, wurde dreimal Champions-League-Sieger und fünfmal spanischer Meister, war jahrelang Anführer von Teams um Weltstars wie Raul, Roberto Carlos, Luis Figo oder Zidane.

Zudem absolvierte Hierro 88 Länderspiele für Spanien, erzielte dabei für einen zentralen Verteidiger bemerkenswerte 30 Tore. Bei zwei EM-Endrunden (1996, 2000) und drei Weltmeisterschaften (1994, 1998, 2002) war Hierro, der auch im defensiven Mittelfeld eingesetzt werden konnte, Stammspieler.

Dabei hatte es in Hierros Jugend nicht unbedingt danach ausgesehen, dass er solch eine große Karriere hinlegen würde. Im südspanischen Velez-Malaga, einem größeren Vorort rund 30 Kilometer von der 570.000-Einwohnerstadt Malaga entfernt geboren und aufgewachsen, waren es seine beiden älteren Brüder Manolo und Antonio, denen der Weg auf die große Fußballbühne vorgezeichnet schien.

Denn während Manolo und Antonio früh in die Nachwuchsabteilung des FC Malaga kamen, tauchte Fernando dort nur mal kurz als 16-Jähriger auf, wurde aber nach nur einem Jahr wieder zurück zu seinem Heimatklub nach Velez-Malaga geschickt. Dessen erste Mannschaft pendelte stets zwischen vierter spanischer Liga und den Amateurklassen, Hierro mochte es trotzdem, für Velez' Jugendteams zu kicken.

Hierro: In Malaga abgelehnt, auf Empfehlung des Bruders durchgestartet

"Wir hatten damals gar keine anderen Möglichkeiten, als Fußball zu spielen", erinnerte sich Hierro mal. "Für mich war es das Größte, für meinen Ort zu spielen. Es war etwas Außergewöhnliches, das sind diese Erinnerungen, die man sein ganzes Leben lang nicht vergisst."

Hierros Vorbild als Jugendlicher war der argentinische Superstar Diego Maradona. Er ließ sich nicht davon abbringen, seinen Träumen nachzujagen - und hatte irgendwann doch Glück. Beziehungsweise einer seiner älteren Brüder half seinem Glück auf die Sprünge.

Fernando Hierro Real Madrid 1998GettyFernando Hierro (2.v.l.) 1998 im Real-Trikot mit Abwehr-Kollege Manolo Sanchis (l.), Fernando Redondo (2.v.r.) und Raul (r.)

Manolo Hierro, sechs Jahre älter als Fernando, war Ende der 80er Jahre einer der Leistungsträger beim damaligen spanischen Erstligisten Real Valladolid. Er hatte sich einen Namen gemacht und konnte Valladolids Verantwortliche daher davon überzeugen, auch seinem kleinen Bruder Fernando eine Chance zu geben. Und der nutzte sie.

Mit 19 kam er zu Valladolid, spielte zunächst im B-Team, allerdings nur etwas mehr als einen Monat lang. Er war zu gut für die zweite Mannschaft, Hierros Spielverständnis, die Übersicht, sein Stellungsspiel und die Ruhe am Ball überzeugten den Coach der Profis, im Oktober 1987 gab er daher sein Debüt in LaLiga. Das erste Tor im spanischen Oberhaus folgte nur ein paar Monate später, wenige Tage nach seinem 20. Geburtstag.

Hierro: Doch Real statt Atletico

Schon nach seiner ersten Profi-Saison war plötzlich der FC Barcelona interessiert, holte aber dann doch seinen Bruder Manolo, der sich bei den Katalanen aber nie durchsetzen konnte. Fernando blieb bei Valladolid, war zwar der jüngste Spieler im Team, führte jenes in der Saison aber schon wie ein Großer auf Platz sechs. Der Wechsel zu einem der nationalen Granden war nun unausweichlich - und eigentlich hätte es Atletico Madrid werden sollen, Hierro posierte im Juni 1989 sogar schon mit dem Trikot der Colchoneros. Unterschreiben sollte er bei Atletico aber nie.

Denn Hierro erfuhr kurz darauf, dass auch Real Ambitionen angemeldet hatte, ihn in die Hauptstadt zu lotsen. Er entschied sich um, da er unbedingt zu den Königlichen wollte. Dass der damalige Atletico-Präsident Jesus Gil deshalb tobte, ihn einen "unreifen Jungen" nannte, brachte Hierro nicht davon ab. Er ging für heutige Verhältnisse läppische eine Million Euro ins Bernabeu, schrieb dort 14 Jahre lang die Geschichte eines der größten Vereine der Welt mit.

Spanien bei der WM 2018: Kader, Spielplan, Ergebnisse, Highlights

Obwohl erst 21 Jahre alt, wurde Hierro bei Real sofort Stammspieler, debütierte im September 1989 für Spaniens A-Nationalelf. Gut zwei Jahre zuvor hatte er noch bei seinem Heimatverein zum Spaß gekickt, nun war er plötzlich angekommen im Konzert der Großen. Gleich in seiner Premieren-Saison bei den Madrilenen gewann Hierro seinen ersten spanischen Meistertitel, stellte mit sieben Treffern gleich auch seine für einen Defensivmann beeindruckende Torgefahr unter Beweis.

Fernando Hierro Spain 2002GettyFernando Hierro (l.) bei der WM 2002 im Achtelfinale gegen Irland

Viele Experten hätten ihn auch deshalb lieber häufiger im Mittelfeld gesehen, die meisten Trainer hielten dem aber entgegen, dass das Spiel an Hierro im Mittelfeldzentrum zu häufig vorbeilaufen würde, er für diese Position vielleicht nicht spritzig genug sei. Also spielte er meist im Abwehrzentrum, erlebte bei Real so manche große Spielergeneration mit.

Hierro führte die Galacticos

Erst jene Anfang der 90er um Stürmer-Ikone Hugo Sanchez, Emilio Butragueno oder den rumänischen Superstar Gheorghe Hagi. Dann Ivan Zamorano oder Michael Laudrup Mitte der 90er, den Aufstieg Rauls vom Jugendspieler zum Nationalhelden, später die Vorboten der Galaktischen wie Clarence Seedorf, Fernando Redondo oder Roberto Carlos. Und dann die Galacticos höchstselbst um Luis Figo, Zinedine Zidane oder Ronaldo.

Hierro, im Deckungszentrum jahrelang mit seinem Kumpel Manolo Sanchis gesetzt, war stets der Anführer dieser fantastischen Teams. 1998, 2000 und 2002 gewann er mit Real die Champions League, 2003 dann noch den letzten seiner insgesamt fünf Meistertitel. Bei seinen fünf großen Turnieren mit Spanien kam er zwar nie über das Viertelfinale hinaus, scheiterte dort bei den Weltmeisterschaften 1994 und 2002 sowie bei den Europameisterschaften 1996 und 2000 aber jeweils nur äußerst unglücklich. Und eine Legende ist er auch bei der Furia Roja trotzdem noch heute.

Nachdem er Real mit 35 verlassen hatte, ließ Hierro seine Laufbahn noch zwei Jahre ausklingen, zunächst bei Al Rayyan in Katar, dann bei den Bolton Wanderers in England. Danach gönnte er sich eine Auszeit, blieb dem Fußball aber erhalten.

Hierro kennt spanischen Verband sehr gut

Es mag eine Mammutaufgabe sein, in nur wenigen Tagen eine Mannschaft zu erreichen, die er doch am besten bitte zum WM-Titel führen soll. Doch Hierro ist ob seiner Vita als Spieler, ob seiner Erfahrung ein angesehener Mann. Jeder spanische Spieler kennt ihn, die meisten auch persönlich - und Hierro kennt auch die Strukturen im Verband ganz genau. "Wir kennen ihn alle, 2010 (beim Titelgewinn in Südafrika, d.Red.) hat er uns schon sehr geholfen", sagte Spaniens Mittelfeld-Legende Xavi.

Schon von 2007 bis 2011 war Hierro sportlicher Leiter beim RFEF, war vor allem im Juniorenbereich integriert. In der Saison 2011/12 war er dann Manager beim FC Malaga, 2014/15 dann Co-Trainer von Carlo Ancelotti bei Real. Seine einzige Cheftrainer-Erfahrung sammelte er in der Saison 2016/17 beim spanischen Zweitligisten Real Ovideo, verpasste jedoch den Aufstieg, erreichte nur Rang acht und ging in gegenseitigem Einvernehmen nach nur einer Spielzeit schon wieder. Ende November 2017 heuerte Hierro schließlich ein zweites Mal als Sportlicher Leiter beim Verband an. Ein Grund dafür, warum er nun so kurzfristig nach dem Lopetegui-Beben als Lösung bereitstand.

"Man kann nicht in zwei Tagen umwerfen, was zwei Jahre Arbeit braucht", sagte Hierro bei seiner Vorstellung am frühen Mittwochabend. "Wir müssen intelligent sein und an einem Strang ziehen. Wir sind eine starke Gruppe und haben eine fantastische Mannschaft." Hierro weiß jedenfalls ganz genau, wie schnell sich Dinge im Fußball entwickeln können. Unter anderem auf diese seiner unzähligen Erfahrungen wird er zählen können, wenn er sich nun in kürzester Zeit auf eine nationale Aufgabe einstellen muss. Ausgang offen ...

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