Germany Sweden SotchiGetty

Deutschland bezwingt Schweden in letzter Minute: Hut ab vor dieser Moral


KOMMENTAR

Nur wenige Augenblicke, nachdem Ola Toivonen Schweden gegen Deutschland in Führung geschossen hatte, lief die WhatsApp-Gruppe der in Russland anwesenden Goal-Korrespondenten aus aller Herren WM-Teilnehmerländer heiß. Der Adressat der unzähligen eingehenden Nachrichten: Ich.

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Ein Kollege hatte einen informativen Screenshot geschickt, der mich über die Flüge aufklärte, die noch am selben Abend von Sotschi nach München gingen (Reisedauer wegen mehrfachen Umsteigens rund 40 Stunden), ein anderer garnierte sein "hast Du Deine Koffer vorsichtshalber schon mit ins Stadion genommen?“ mit einem Winke-Emoji, ehe derjenige (Engländer), der über die komplette Dauer des Turniers aus Kasan berichtet, scherzte, ich müsse trotz des vorzeitigen Ausscheidens vorbeikommen, weil er sich nicht nehmen lassen möchte, endlich einmal einen Deutschen aufgrund fußballerischen Versagens aufzuziehen. Schadenfreude in Reinform. Verfrühte Schadenfreude, wie sich herausstellen sollte.

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DFB-Elf gegen Schweden: Wille, Risikobereitschaft, Glück

Dass man eine deutsche Nationalmannschaft, egal, wie prekär die Lage auch sein mag, nie abschreiben sollte, müssten Menschen, die sich Tag ein, Tag aus mit Fußball auseinandersetzen, doch eigentlich wissen. Sollte man zumindest meinen. In diesem speziellen Fall griff die Lineker’sche Regel, die mit "und am Ende gewinnen immer die Deutschen" schließt, weil Regisseur Toni Kroos noch einen letzten Geniestreich im Krimi-Drehbuch vorgesehen hatte.

Der siegbringende Freistoßtreffer in der fünften Minute der Nachspielzeit resultierte aus unbändigem Willen, war eine Mischung aus Lohn für herausragende Moral, das Risiko nicht zu scheuen und einer Portion Glück. Wie schon gegen Mexiko wirkte das Defensiv-Konstrukt nämlich nicht sonderlich sattelfest, offenbarte Lücken, die der Gegner für gefährliche Konter und die zwischenzeitliche Führung nutzte.

Germany Sweden Jerome BoatengGetty Images

Als Jerome Boateng dann, beim Stand von 1:1, rund zehn Minuten vor der größten Schmach der deutschen WM-Geschichte, dem erstmaligen Scheitern in der Gruppenphase, zu allem Überfluss noch vom Platz gestellt wurde, schmolz die Hoffnung auf einen obligatorischen Dreier komplett dahin.

Da mit einem Punkt zumindest noch auf dem Papier ein Weiterkommen im Bereich des Möglichen gelegen hätte, sofern Mexiko gegen Schweden gewinnen würde, freundete auch ich mich zähneknirschend damit an, das Heil des DFB-Teams in die Hände von Chicharito und Co. zu legen, wobei Deutschland gleichzeitig selbstverständlich gegen Südkorea gewinnen müsste, was ja bei dieser WM nun wahrlich auch keine Garantie ist.

Ich hatte meine Rechnung ohne die Risikobereitschaft Joachim Löws gemacht, der sich offenbar nonchalant dachte: "Wenn schon ausscheiden, dann doch bitte mit Pauken und Trompeten", aus seiner ehemaligen Viererkette eine Ein-Mann-Abwehr formte, indem er Jonas Hector vom Platz nahm und Julian Brandt aufs Spielfeld schickte. "Ein Gegenstoß und das Ganze hier ist zu Ende", war mein Gedanke.

Toni Kroos nach Schweden-Sieg: "Du musst Eier haben"

Stattdessen fuhr das dezimierte Team Angriff um Angriff, bemühte sich um Kreativität und machte trotzdem keinen überhasteten, kopflosen Eindruck. Obwohl die Zeitschinderei der betonanrührenden Tre Kronor für Unmut sorgte, behielt der amtierende Titelträger die Nerven.

Ich rechne Löw, der in den letzten Wochen so sehr in der Kritik stand, für seine Taktik bei Freundschaftsspielen, für die falsche Analyse der mexikanischen Spielweise, für seine Schützlinge Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die sich mit einem umstrittenen Politiker haben ablichten lassen, seinen Mut hoch an. "Du musst dann die Eier haben, in der zweiten Halbzeit so zu spielen“, sagte Kroos nach Abpfiff. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Nur ein Hinweis noch an meine Kollegen: So schnell werdet Ihr mich nicht los.

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