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Ex-BVB-Talent Scuderi im Interview: "Die Ärztin sagte mir: 'Ich kann nicht garantieren, dass Sie das Bein behalten'"


EXKLUSIV-INTERVIEW
Dario Scuderi durchlief bei Borussia Dortmund zahlreiche Jugendteams, gewann unter Hannes Wolf zwei Meistertitel und sollte 2016 bei den Profis von Thomas Tuchel umgeschult werden. Doch dann zog sich der damals 18-Jährige bei einem Youth-League-Spiel des BVB in Warschau "die schwerste Knieverletzung, die man sich nur vorstellen kann" zu.

Im Interview mit Goal und SPOX spricht Scuderi ausführlich über den tragischen Tag in Polen und die anschließende Not-Operation, bei der er fast sein Bein verloren hätte .

Der 22-Jährige, der heute als Trainer in der BVB-Fußballakademie arbeitet, äußert sich auch zu den Folgen von insgesamt elf operativen Eingriffen, seinem nicht für möglich gehaltenen Comeback nach 967 Tagen und erklärt, weshalb er dennoch die Karriere beendete .

Herr Scuderi, im Sommer 2009 sind Sie in die U10 von Borussia Dortmund gewechselt und durchliefen fortan sämtliche Nachwuchsmannschaften. Ab wann war Ihnen klar, dass Sie auf dem Weg nach oben nicht aussortiert werden?

Dario Scuderi:  Ich habe schon ab der U11 zusätzlich zu den Trainingseinheiten für mich trainiert, weil ich es unbedingt schaffen wollte. Ich habe im Grunde meine gesamte Kindheit und Freizeit geopfert, um eines Tages Profi zu werden. Als ich als einziger internationaler Spieler zur U15-Nationalelf Italiens eingeladen wurde, dachte ich zum ersten Mal, dass die ganze Arbeit wirklich Früchte trägt.

Da Ihre Eltern aus Sizilien stammen, wurden Sie im Februar 2013 italienischer U15-Nationalspieler. Insgesamt bestritten Sie vier Länderspiele für das Team, später kamen noch zwei für die U19 hinzu. Wie erinnern Sie sich an die erstmalige Einladung?

Scuderi:  Der italienische Verband hat beim BVB angefragt, ob ich nicht Lust hätte, für ein Probetraining nach Rom zu kommen. Und wie ich die hatte! Es wurden rund 100 für den Verband interessante Spieler eingeladen - alle kamen aus Italien, nur ich aus Deutschland. Daraus wurde schließlich der 18er-Kader für die U15 gebildet und ich war mit dabei. Danach dauerte es rund ein halbes Jahr, bis ich drei Wochen vor meinem Debüt gegen Belgien die Einladung bekam.

Zwei Jahre später gewannen Sie mit dem BVB unter Trainer Hannes Wolf die deutsche B-Jugendmeisterschaft, 2016 folgte der Titel mit der U19. Damals trainierten Sie auch unter Thomas Tuchel bei den Profis mit. Wie nervös waren Sie?

Scuderi:  Ich weiß noch, dass ich wie üblich am Nachwuchsleistungszentrum geparkt habe und von dort zu Fuß hinüber zum Profitrakt gelaufen bin. Dort fielen mir erst einmal die Augen heraus, als ich diesen Fuhrpark vor der Tür gesehen habe. Die dicken Karren habe ich mir dann in Ruhe angeschaut, da stand zum Beispiel der Lamborghini Aventador von Henrikh Mkhitaryan. So ein Auto kannte ich nur von Need for Speed auf der Konsole. Das war ja alles neu für mich und entsprechend nervös war ich auch, denn da wusste ich: Jetzt geht's echt ans Eingemachte.

Dario Scuderi - Borussia DortmundGetty Bild: Getty Images

Wie verhält man sich dann beim Betreten der Kabine?

Scuderi:  Ich habe mich einfach hingesetzt, abgewartet und die Spieler bestaunt, die all das erreicht haben, was ich selbst noch erreichen wollte. Es war gut, dass auch meine Teamkollegen Christian Pulisic, Felix Passlack und Dzenis Burnic nach oben gezogen wurden. Tuchel meinte nur: Du brauchst überhaupt nicht nervös sein - spiel' einfach so, wie du immer spielst. Das Training hatte dann ein unfassbar hohes Niveau. Gerade bei den Rondos ging es extrem schnell zur Sache. Das war ziemlich hart, aber ich war auch zuversichtlich, dass ich mich dort anpassen kann.

Sie waren damals in der Sommervorbereitung dabei und absolvierten Testspiele bei der ersten Mannschaft. Wie sah das Feedback von Tuchel Ihnen gegenüber aus?

Scuderi:  Er war nach den zwei, drei ersten Einheiten überzeugt, dass ich das Niveau spielen kann und hat mich mit ins Trainingslager nach Kitzbühel genommen. Ich war in der Jugend offensiver Außenspieler auf beiden Flügeln, doch Tuchel schulte mich zum Rechtsverteidiger um. Er wollte dort einen läuferisch und dynamisch starken Spieler haben, der sich auch im offensiven Eins-gegen-eins durchsetzen kann.

Wie empfanden Sie Tuchel als Trainer?

Scuderi:  Ich habe unter ihm so viel gelernt. Man merkt schnell, dass er den Fußball liebt. Er ist sehr detailverliebt und mag es, wenn Dinge nahezu perfekt laufen. Er schneidet das Spiel bis ins kleinste Detail aus und kann dir dadurch enorm wichtige Tipps geben, von denen du noch nie gehört hast und auf die du selbst niemals gekommen wärst. Doch in den Spielen merkte ich schnell, dass sie einem total helfen. Eine solche Herangehensweise kann einen Spieler nur besser machen. Wie er diese Dinge gecoacht hat, war schon bemerkenswert.

Was waren das für Tipps, haben Sie ein Beispiel?

Scuderi:  Er riet mir, immer den vom Gegner entfernten Fuß anzuspielen. Das wurde in Sechs-gegen-sechs-Übungen unter großem Druck trainiert, da war richtig Feuer drin. In solchen Situationen ist man eigentlich einfach nur froh, wenn man seine Pässe überhaupt schnell und druckvoll an den Mann bringt. Er gab mir dann diesen Tipp, weil so der Passempfänger mehr Zeit hat, um sich zu lösen und das Spiel fortzusetzen - und sei es nur eine Millisekunde. Unter Tuchel lernte ich, weshalb und wie man durch solche Details in Ballbesitz seinen Mitspielern helfen kann.

Wie sahen Ihre Perspektiven Richtung erste Mannschaft aus, stand Ihnen ein Profivertrag in Aussicht?

Scuderi:  Im Trainingslager habe ich in meinen und den Augen der Verantwortlichen überzeugt. Tuchel sagte, der Junge kann wirklich etwas und hat sich bewiesen. Der Plan war zunächst, in der U19 mehrere Spiele als Rechtsverteidiger zu machen, um mich weiter an die neue Position zu gewöhnen. Wir haben auch bereits über das Thema Profivertrag gesprochen, doch dann kam die Verletzung dazwischen.

Im September 2016 feierten Sie in Tschechien erst noch Ihr Debüt für die U19-Nationalmannschaft - keine zwei Wochen später erlebten Sie in Warschau bei einem Youth-League-Spiel Ihren schwarzen Tag. Die Diagnose lautete: Knie ausgekugelt, doppelter Kreuzbandriss, Außenbandriss und Meniskusschaden. Wie erinnern Sie sich an die Szene?

Scuderi:  Wir haben im Zentrum einen Fehlpass gespielt. Da ich sehr hoch stand, hatte mein Gegenspieler kurz danach freie Fahrt Richtung Tor. Ich habe dann alles was ich hatte in den Sprint zurück hineingelegt und holte ihn auch noch ein. Nur das Abblocken seines Schusses ist ziemlich scheiße für mich gelaufen.

Wurde Ihnen gleich bewusst, dass es dermaßen schwerwiegend sein könnte?

Scuderi:  In den ersten Sekunden war mir nur klar, dass etwas nicht stimmt. Ich kannte das ja gar nicht, da ich zuvor nie eine große Verletzung hatte - keinen Bruch, keine OP, nichts. Und dann sah ich, dass mein Kniegelenk herausgesprungen war.

GER ONLY Dario Scuderi BVB II 2019imago images / Thomas Bielefeld
Bild: imago images / Thomas Bielefeld

U19-Teamarzt Dirk Tintrup renkte das Gelenk noch auf dem Platz wieder ein. Sie wurden dann mit einem Krankenwagen, in dem auch der sportliche Nachwuchsleiter Edwin Boekamp mitfuhr, weggebracht. Haben Sie das alles realisiert?

Scuderi:  Überhaupt nicht, ich stand völlig unter Schock. Wir sind zunächst in ein Krankenhaus gefahren, doch da war kein MRT möglich oder es war kein Bett mehr frei, das weiß ich nicht mehr genau. Dann sind wir ins Stadion von Legia Warschau gefahren, da es dort eine professionelle Medizinabteilung gab. Ich kam direkt ins MRT. Wenig später war klar, das alles in meinem Knie kaputt ist. Auch Doktor Markus Braun, der Mannschaftsarzt der Profis, war vor Ort. Er sagte, zurück in Deutschland werden wir die nächsten Schritte angehen.

Wie groß waren Ihre Schmerzen, war das alles überhaupt ertragbar?

Scuderi:  Im ersten Moment habe ich dank des Schocks und zahlreicher Schmerzmittel nichts gespürt. Als ich abends zurück im Hotel war, kochte mein Knie und war rot und dick wie ein Fußball. Amos Pieper war mit mir auf dem Zimmer. Er konnte die ganze Nacht genauso wie ich nicht schlafen, weil er unmittelbar mitbekam, wie sehr ich gelitten habe. Er wollte mir die ganze Zeit helfen, aber konnte ja nichts tun. Am nächsten Morgen wurde ich im Rollstuhl zum Frühstück geschoben, da war das Knie schon so dick wie zwei Fußbälle.

Und es herrschte höchste Alarmbereitschaft?

Scuderi:  Doktor Braun sagte, dass wir dringend nach Dortmund müssen, da die Gefahr eines Kompartmentsyndroms bestand, also zu viel Flüssigkeit auf Gewebe, Sehnen und Nerven drückt. Hans-Joachim Watzke bot mir an, einen Privatjet zu nehmen, aber ich bin dann wie ursprünglich geplant mit der Mannschaft zurückgeflogen. Auf dem Weg zum Check-In hat dann noch ein Flughafenmitarbeiter meinen Rollstuhl umgekippt und ich fiel mit ihm und meinem Knie auf dem Boden.

Wie erging es Ihnen auf dem Flug?

Scuderi:  Ich lag ganz vorne allein in einer Dreierreihe, unmittelbar vor Tuchel und Michael Zorc. Da die Druckunterschiede in der Luft jedoch so groß sind, wurde alles noch schlimmer. Ich konnte kaum mehr. Es wurde so unerträglich für mich, dass ich noch am Flughafen in einen Krankenwagen verfrachtet wurde und eine Not-Operation durchgeführt werden musste, weil einfach zu viel Druck im Knie war.

Wie sahen denn vor der OP die Prognosen der Ärzte aus?

Scuderi:  Es hieß, man würde mein ganzes Bein aufmachen, damit die Flüssigkeit herausläuft. Die Ärztin meinte vor der Narkose: 'Ich kann Ihnen aufgrund des hohen Drucks auf das Knie nicht garantieren, dass Sie Ihr Bein behalten werden. Damit müssen Sie rechnen, die Chancen stehen 50 zu 50.' Ich war komplett schockiert. Als ich wach wurde, habe ich meinen blutdurchtränkten Umhang sofort hochgehoben. Mir sind die Steine nur so vom Herzen gefallen, dass das Bein noch dran war. Da waren zwar Schrauben und jede Menge anderes Zeug drin, ich fühlte mich wie der Terminator. Doch das war mir in dem Moment vollkommen scheißegal.

Sie mussten in der Folge zehn weitere Operationen über sich ergehen lassen. Wie ist man da genau vorgegangen?

Scuderi:  Ich war insgesamt drei Wochen lang im Krankenhaus. Jeden zweiten Tag wurde ich operiert, damit die Flüssigkeit weiter hinausläuft. Anschließend bin ich nach München zum renommierten Kniespezialisten Doktor Michael Strobel geflogen. Er meinte, so etwas Schlimmes habe er noch nie gesehen. Ich war nicht in der Lage, meinen Fuß zu heben, da durch den großen Druck ein Nervenschaden in der Wade entstand. Der kostete mich am Ende auch meine Karriere. Es hieß dann, man wolle zehn, elf Monate abwarten, ob sich der Nerv erholt, bevor operiert wird. In der Zwischenzeit humpelte ich mit meinen Krücken durch die Gegend. Ich bekam eine Streckschiene und bin täglich zum BVB in die Reha gefahren. Herr Strobel hat es schließlich aber geschafft, die Bänder im Knie gleichzeitig von vorne, hinten und seitlich zu operieren - das gelingt nicht vielen auf der Welt.

Strobel sagte damals: "Es war die schwerste Knieverletzung, die man sich nur vorstellen kann. Es war so ziemlich alles gerissen, was reißen kann." Fußballspielen im Hochleistungsbereich schloss er für Sie aus. Wie erging es Ihnen da, wie sahen Ihre dunklen Tage aus?

Scuderi:   Ich habe natürlich extrem gehadert, dass mir das so kurz vor dem Sprung zu den Profis passiert ist. Mir wurde aber schnell klar, dass ich nicht so viel Zeit mit Was-wäre-wenn-Szenarien verlieren darf. Also habe ich losgelegt. In der Reha tat ich viel für den Oberkörper, es gab Lymphdrainagen für das Knie, teilweise habe ich sogar mit der Streckschiene Klimmzüge gemacht. Ich wurde besessen davon, wieder fit zu werden, weil ich nicht wollte, dass es so endet. Ich wollte trotz der niederschmetternden Prognosen beweisen, dass ich es schaffe. Ich bin zwar auch ein Dickkopf, aber ich war wirklich davon überzeugt, da ich bei meinen Bewegungen und Übungen auch keine Schmerzen hatte.

Im August 2017, also fast ein Jahr nach Ihrer Verletzung, tauchte die Meldung auf, dass der BVB Ihnen ein Sportmanagement-Studium an einer Privat-Universität finanzieren wird. Was steckte dahinter?

Scuderi:  Ich habe in der U19 mein Fachabitur begonnen, doch dann kam die Verletzung und ich verlor so viel Stoff, dass es keinen Sinn mehr ergab. Daher habe ich mit Aki Watzke gesprochen, meinen Wunsch bezüglich des Studiums geäußert und wie ich das hinkriegen könnte. Da meinte er gleich: Nichts da, wir bezahlen dir das, du hast schon so viel durchgemacht. Ich nahm dann an der Privat-Uni an einer Weiterbildung zum Fußballmanagement teil, habe aber nebenher weiter trainiert und dabei gemerkt, dass mein Knie immer stabiler wird. Deshalb dachte ich mir: Du hast alles dafür geopfert, dann setze jetzt auch deinen vollen Fokus darauf, wieder dein altes Niveau zu erreichen. Wenn ich das nicht versucht hätte, würde ich es mir mein ganzes Leben lang vorwerfen.

Sie haben damals eine winzige Schiene bekommen, die man wie eine Einlage in Ihre Fußballschuhe einarbeitete, damit die Funktionsstörung Ihrer beschädigten Beinnerven aufgefangen wird. Ein Arzt in Rom soll Ihnen das empfohlen haben. Wie kam es dazu?

Scuderi:  Mein Bruder hat sehr viel für mich recherchiert und ist irgendwann auf diesen Arzt gestoßen. Die Schiene hat dafür gesorgt, dass der Fuß gerade im Schuh steckte und nicht mehr hängt, denn ohne sie bin ich leicht gehumpelt. Die Schiene war der Durchbruch, dadurch konnte ich wieder spielen.

Im März 2018 haben Sie wieder mit leichtem Lauftraining begonnen, Anfang April durften Sie das erste Mal joggen. Wie haben Sie sich gefühlt?

Scuderi:  Ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind, weil ich auch dabei schmerzfrei blieb. Ich wollte allen zurufen: Seht her, ich kann's! Auch wenn viele Leute gesagt haben, das sei eigentlich unmöglich. Anschließend steigerte ich die Läufe: sie wurden häufiger, schneller, dann kamen Sprints und Richtungswechsel hinzu. Es glaubt mir heute kein Mensch, aber ich hatte nach der OP von Doktor Strobel kein einziges Mal mehr Schmerzen.

Sechs Monate nach dessen Operation stiegen Sie Ende Mai nach 623 Tagen Abstinenz wieder ins Mannschaftstraining ein - quasi zwei Jahre nach der gewonnenen U19-Meisterschaft. Zuvor stand die lang erwartete ärztliche Unbedenklichkeitsuntersuchung zum Leistungssport an.

Scuderi:  Diesem Tag habe ich sehr entgegengefiebert. Ich bin auch zuversichtlich hingegangen. Zahlreiche Test haben dann bewiesen, dass das Knie stabil ist. Das war der große Moment, an dem mir klar wurde: Der Fleiß und meine Sturheit haben sich gelohnt.

Im August 2018 wurden Sie dann in einem Testspiel der U23 gegen den Lüner SV eingewechselt. Wie haben Sie damals in die Zukunft geblickt?

Scuderi:  Ich war überglücklich und vollen Mutes, dass es jetzt wieder so richtig losgeht. Mir war bewusst, dass ich künftig mehr Stabilisationsübungen machen und besser auf mein Knie aufpassen muss. Ich habe mir aber gesagt: Bevor ich ängstlich spiele, kann ich es gleich sein lassen. Ich habe daher sofort wieder richtig durchgezogen, das entspricht auch meiner Mentalität. Alles andere hätte nur die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass doch noch einmal etwas passiert.

Anschließend standen Sie in keinem Spiel mehr im Kader. Was war passiert?

Scuderi:  Das war so abgesprochen. Mir wurde genug Zeit gegeben, um mich allmählich wieder an alles zu gewöhnen. Ich nahm an vielen Trainingseinheiten teil, niemand machte mir Druck. Es ging vor allem darum zu schauen, wie sich das Knie weiter entwickelt.

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Bild: imago images

Erst kurz vor Saisonende am 8. Mai 2019, bei einem 3:0 beim Wuppertaler SV, standen Sie erstmals seit 967 Tagen wieder in einem Spieltagskader. Auch in den beiden finalen Saisonpartien waren Sie dabei, haben aber keine Minute gespielt. Wieso nicht?

Scuderi:  Die Frage habe ich mir auch gestellt, die Antwort kenne ich bis heute nicht. (lacht) Ich habe schon gehofft, dass ich ein paar Minuten bekomme. Ich denke, man wollte einfach das Risiko einer weiteren Verletzung so gut es geht minimieren.

Ihr Vertrag bei der zweiten Mannschaft lief kurz darauf aus - und Sie beendeten Ihre Karriere. Wie kam die Entscheidung zustande?

Scuderi:  Es stand fest, dass der Vertrag nicht verlängert wird, da man mir mit meiner Vorgeschichte keinen festen Platz in der U23 garantieren konnte. Ich erhielt noch Angebote aus der Regionalliga, aber das entsprach nicht meiner Ambition. Ich habe mein ganzes Leben dafür gekämpft, um in die Bundesliga oder die 2. Liga zu kommen. Der BVB machte mir dann das Angebot, als Trainer in der Fußballakademie anzufangen. Das erschien mir zukunftssicherer als eine ungewisse Situation in Liga 4. Ich wollte den BVB ohnehin nie verlassen und so konnte ich bei meinem Herzensklub bleiben.

Nachdem Sie diese Offerte angenommen hatten, unterschrieben Sie dennoch kurz darauf beim FC Iserlohn 46/49 in Ihrer Heimatstadt.

Scuderi:  Genau. Ich habe in Dortmund als Trainer gearbeitet, wollte aber trotzdem nebenbei noch ein wenig kicken. In Iserlohn kannte man mich, ich hatte auch richtig Bock darauf und fühlte mich gut.

Am 18. August 2019 absolvierten Sie dann Ihr erstes Spiel für Iserlohn und gleichzeitig auch Ihr letztes überhaupt: 45 Minuten gegen DJK TuS Hordel. In der Woche darauf standen Sie noch im Kader, anschließend aber nicht mehr. Wie kam's?

Scuderi:  Es stellte sich schnell heraus, dass sich der Job beim BVB und die drei wöchentlichen Trainingseinheiten in Iserlohn nicht vereinbaren lassen. Diese 45 Minuten waren super, ein tolles Gefühl. Ich weiß auch nicht, warum mich der Trainer zur Pause ausgewechselt hat. Das hätte es eigentlich nicht gebraucht. (lacht)

Was beinhaltete denn die Ausbildung zum Trainer in der BVB-Fußballschule genau?

Scuderi:  Mir wurde in Aussicht gestellt, dass ich die Trainerlizenzen machen und natürlich ständig dazulernen kann. Ich habe mittlerweile auch die B-Lizenz erworben und zudem an der IST-Hochschule in Düsseldorf eine sechsmonatige Weiterbildung zu den Themen Spielanalyse und Scouting absolviert, die ich jeweils mit 1,0 abschloss. Nun folgt die Elite-Jugend-Lizenz, aber das ist aufgrund von Corona derzeit nicht möglich.

Die Fußballschule hält Ferienprogramme und Sichtungstrainings ab, insgesamt sind 20 hauptamtliche Trainer bundesweit und international unterwegs. Wie verlief Ihr Start?

Scuderi:  Anfangs wusste ich nicht, ob mir das alles Spaß machen würde. Es ist auch Wahnsinn zu merken, wie intensiv der Trainerberuf schon auf dieser Ebene ist. Man trägt sehr viel Verantwortung. Als ich aber mein erstes Training leitete, war das richtig geil. Es ist toll zu sehen, wenn man diesen talentierten Kindern etwas beibringen kann.

Wie intensiv sieht denn Ihr Alltag aus?

Scuderi:  Man ist schon täglich durchgehend beschäftigt. Diese meist neun- bis elfjährigen Spieler, die bei den Ferienkursen positiv auffallen, werden zum Sichtungstraining eingeladen. Die besten davon dürfen dann ein- bis zweimal die Woche in der Akademie trainieren, weil man in ihnen das Potential sieht, für das NLZ in Frage zu kommen. Seit dem ersten Lockdown fand allerdings kein Training mehr statt. Daher steht nun viel Austausch und Theorie zu Spiel- und Trainingsformen auf dem Programm.

Wie geht es Ihrem Knie heutzutage?

Scuderi:  Super, ich habe keinerlei Probleme, aber eine Narbe von 115 Stichen. Ich kann auch ab und zu beim Training mitspielen und den Kindern zeigen, wie man richtig kickt. Ich kann normal gehen, aber bekomme meinen Fuß nicht richtig angehoben. Es hieß, der Nerv erholt sich von selbst wieder, aber es bleibt ungewiss, wie lange das dauert und ob das überhaupt geschieht.

Wie präsent ist Ihnen der Vorfall in Warschau jetzt, über vier Jahre später, noch?

Scuderi:  Wenn ich meine ehemalige Mitspieler in den Top-Wettbewerben sehe, denke ich manchmal schon: Mensch, mit denen warst du mal auf einem Niveau und jetzt sitze ich hier vor dem Fernseher. Vielleicht ist alles auch einfach Schicksal, vielleicht sollte ich so früh Trainer werden.

Sie können sich sicherlich nicht vorwerfen, nicht alles probiert zu haben. War es das wert?

Scuderi:  Auf jeden Fall. Ich würde alles noch einmal genauso machen. Ich würde auch sofort wieder den Sprint in Warschau anziehen, damit wir kein Tor kassieren. Diese gesamte elende Zeit der Verletzung hat mich als Mensch reifen lassen, gerade was Disziplin und Eigenmotivation angeht. Ich denke nun über Dinge nach, die zuvor nicht unbedingt in meinem Kopf waren.

Wo sehen Sie sich 2026, wenn die Verletzung zehn Jahre zurückliegt, Sie aber erst 28 Jahre alt sein werden?

Scuderi:  Mein Traum ist es, eines Tages als Scout oder Trainer im Dortmunder NLZ zu arbeiten. Und genau dort sehe ich mich dann auch.

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