NIKO KOVAC EINTRACHT FRANKFURT GERMAN BUNDESLIGA 09122016Getty Images

Wie Niko Kovac mit Eintracht Frankfurt die Bundesliga aufmischt


HINTERGRUND

Ein kühler April-Abend in Mönchengladbach. Es ging schon auf Mitternacht zu, als sich Branimir Hrgota den Ball auf den Elfmeterpunkt legte. Als er diesen dann links unten im Tornetz versenkte, brachen bei der Mannschaft und den mitgereisten Fans alle Dämme, an der Seitenlinie konnte auch Niko Kovac nicht mehr an sich halten. Er hatte Eintracht Frankfurt so nahe an einen Titel geführt wie ewig nicht mehr. Und was er in der Saison 2016/17 geleistet hatte, war viel mehr als nur der Finaleinzug im DFB-Pokal.

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Als sich Eintracht Frankfurt 2016 von einem Remis zum anderen hangelte und sich am Main langsam die Abstiegsangst breit machte, zog Heribert Bruchhagen Anfang März die Reißleine und enthob Armin Veh von seinem Traineramt. Kovac wurde als Nachfolger auserkoren, die Kritik war groß. Noch nie hatte der gebürtige Berliner einen Posten als Vereinstrainer inne gehabt und auch seine Karriere als kroatischer Nationaltrainer verlief alles andere als glatt.

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In Kroatien stieß man zunächst auf viel Zuspruch, als der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft zum Trainer der Auswahl berufen wurde. Doch zum Verhängnis wurde Kovac das letzte Gruppenspiel der Weltmeisterschaft 2014, das mit Stars gespickte Ensemble um Luka Modric, Ivan Perisic und Ivan Rakitic traf auf Mexiko, verlor und schied aus. Ein Mannschaftsgefühl entstand seinerzeit bei den Kroaten nie – eben jener Teamgeist ist nun aber unter Kovac zum großen Trumpf der Eintracht geworden.

Kovac: "Wir sind nicht alle gleich"

Der Start in der Bundesliga verlief zunächst holprig, Kovac musste die Eintracht von Grund auf sanieren. "Er muss gedacht haben: In was für eine Regionalliga-Mannschaft bin ich denn hier reingeraten? Er musste mit uns komplett bei null anfangen", erinnerte sich Ex-Profi Stefan Reinartz, seinerzeit bei den Frankfurtern angestellt. Nur über zwei Relegationsspiele gegen den 1. FC Nürnberg sicherte sich Frankfurt schließlich doch den Klassenerhalt. "Ästhetisch ist es nicht das Beste", gestand sogar Kovac nach dem mühevollen Erfolg gegen den Club.

Zusammen mit dem ebenfalls kritisierten neuen Sportdirektor Fredi Bobic krempelte Kovac in der folgenden Saison den Kader um. Frankfurt bastelte sich eine Multi-Kulti-Truppe zusammen mit Spielern aus etlichen unterschiedlichen Nationen. Und entgegen der Erwartung funktionierte dieses Unterfangen tadellos und der Kroate ließ mit einer Reihe an starken Vorstellungen seine Kritiker verstummen.

Kovac liebt die Arbeit mit seiner bunten Truppe, sagte im Interview mit der faz: "Jeder kann vom anderen lernen. Verschiedene Kulturen heißt: verschiedene Einflüsse, verschiedene Denkweisen. […] Du musst die Kulturen und ihre Besonderheiten kennen. Oft versuchen wir alle gleich zu behandeln, aber das ist grundlegend falsch. Wir sind nicht alle gleich."  

Die Frankfurter Transferstrategie geht völlig auf

Das Duo Bobic und Kovac bewies auch in dieser Saison sein goldenes Händchen auf dem Transfermarkt. Der Eintracht steht zwar nicht übermäßig viel Geld zur Verfügung, doch am Main holt man das Maximale aus dem limitierten Transferbudget heraus. Mit Simon Falette, der vom FC Metz kam und Carlos Salcedo aus Guadalajara holte die Eintracht zwei Verteidiger im Alter von Mitte 20, die unter dem Radar der Konkurrenz flogen, aber in Frankfurt das Grundgerüst der mit nur 23 Gegentoren zweitbesten Defensive der Bundesliga bilden. In der Offensive erzielte Sebastien Haller bereits zwölf Pflichtspieltreffer und schon abgeschriebene Talente wie Ante Rebic, der aus Florenz kam und Marius Wolf, den man sich von Hannover 96 schnappte, brachten ihre Karrieren unter Kovac wieder in Fahrt. Wo man auch hinschaut, passt das bunte Gebilde, das das Gesicht der neuen Eintracht bildet. 

Wie kaum ein anderer lebt indes Sommerneuzugang Kevin-Prince Boateng die Philosophie Kovac'. Der Deutsch-Ghanaer war bereits früh von den Trainerfähigkeiten des Frankfurt-Coaches überzeugt. "Die beiden haben schon zusammen bei der Hertha gespielt. Kevin wusste damals schon, dass er einmal unter Niko spielen will", verriet SGE-Sportdirektor Bruno Hübner. Bei der Abwehrarbeit der Eintracht gibt der Star mit dem Bad-Boy-Image oftmals die Härte seiner Mannschaft, die das Schlusslicht der Fairnesstabelle bildet, vor und ist mit seiner Vielseitigkeit der perfekte Spieler für Kovac' zahlreiche Systemumstellungen während der Partie.

Kovac setzt auf Variabilität

Kovac ging bei seiner Grundformation von einem 4-2-3-1 zu einem 3-5-2 über. "Früher gab es überall nur die Dreierkette, dann war es mal völlig tabu, jetzt ist sie wieder da […] Dinge kommen wieder und wir müssen mit der Zeit gehen", begründet Kovac. Von einer einzigen Formation zu sprechen, findet er jedoch veraltet und meint: "Es gibt eins für die Verteidigung und eins für den Angriff." Das Augenmerk der Eintracht liegt unter Kovac also vor allem auf der Variabilität, weshalb vor allem Spieler gefragt sind, die mehrere Positionen bekleiden können.

Zwar hat Kovac seit seinem Engagement als kroatischer Nationaltrainer noch nicht bewiesen, dass er auch große Namen zu einer Mannschaft einen kann. Allerdings hat er bei der Eintracht gezeigt, dass er auch aus einem Enfant terrible wie Boateng das Maximum herausholen kann und Spieler aus einer Vielzahl von Ländern unter einen Hut bringt. Innerhalb kürzester Zeit formte der Kroate aus einem Abstiegskandidaten entgegen aller Erwartungen einen Aspiranten auf das internationale Geschäft und könnte am Mittwochabend schon zum zweiten Mal in Folge in das DFB-Pokal-Halbfinale einziehen. Und vielleicht wird es dann ja wie im April des vergangenen Jahres.

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